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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Hannover, Emil: Die Seele Giorgiones
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0357

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sich einem ungebeten unter die Feder, wenn zu diesen Bildern von so gelehrten Stätten
man versucht, über diese Kunst zu schreiben, holte, so zeugt der Umstand, dass ihr Inhalt
Was anders sollte man wohl von dem „Kon- vier Jahrhunderte hindurch unverständlich war,
zert" im Pitti sagen können, als dass ja nur um so mehr von seinem Mangel an
auch dieses ein in Moll abgestimmtes Stück Fähigkeit zu einer sachlichen Erzählung in
ist? Aber es sind nicht bloss die paar Bilder seiner Kunst. Schon in demselben Jahrhundert,
von Giorgione, in denen die Darstellung von in dem Giorgione wirkte, war man ausser
Musikinstrumenten oder von Musizierenden stände zu begreifen, was er mit mehreren
uns an seine Pflege dieser Kunst gemahnt, seiner Arbeiten gemeint hatte. Der eben er-
die zu solchen Gleichnissen verlocken. Seine wähnte anonyme Reisende aus dem Anfange
Bilder haben alle etwas an sich, das auf das des id. Jahrhunderts konnte aus dem Bilde,
Gemüt wie Musik wirkt. Oder richtiger: das jetzt Evander und Aeneas benannt wird,
sie enthalten die Mystik, deren Erzeugung nichts anderes oder mehr herausbekommen als
sonst speziell der Musik vorbehalten ist. Diese „Drei Philosophen", und dem Bilde im Palazzo
Mystik ist es, die es schwer oder unmöglich Giovanelli gab er nur den Titel „Die Zigeu-
macht, passende Titel zu seinen Bildern zu nerin und der Soldat". Vasari gesteht ehrlich
finden. Besser als in Worten könnten sie ge- und ein wenig ärgerlich, dass es ihm ganz un-
wiss in Noten ausgedrückt werden. begreiflich sei, was Giorgione mit den jetzt
Kürzlich hat allerdings ein gelehrter deut- leider verschwundenen Fresken gemeint habe,
scher Kunsthistoriker herausgefunden,* dass die er in den Jahren 1506—1508 auf dem
Giorgione seine Motive zu ein paar Kompo- Fondaco de Tedeschi an der Rialtobrücke
sitionen, für die sich ganz besonders schwer gemalt hatte, und er fügt hinzu, dass er ver-
Namen finden Hessen, „Die drei Landmesser" geblich gesucht habe, jemand zu finden, der
auch genannt „Die drei Astronomen" in Wien ihm diese „reinwillkürlichenPhantasiefiguren"
(pag. 347), „Rafaels Traum", nur von Marc erklären könnte.

Antons Stich bekannt, sowie „Giorgiones Rein willkürliche Phantasiefiguren: gerade
Familie", auch genannt „Das Gewitter" im als solche müssen Giorgiones Gestalten — ab-
Palazzo Giovanelli in Venedig (pag. 3 50), von gesehen von den Porträts — aufgefasst werden,
römischen Heldengedichten geholt hat. Er Aber mit diesen Worten allein bestimmt man
giebt scheinbar gute Gründe dafür, dass das doch nicht den Geist in seiner Kunst. Was
erste dieser Bilder König Evander darstellt, der, diesem Geiste eigentümlich ist, und was ihn
begleitet von seinem Sohne, Aeneas Rom zeigt; — trotz allem, was Giorgiones Schule und
er giebt weit weniger gute Gründe dafür, dass Richtung heisst — einsam und fremd in seiner
das zweite Bild einem Kommentar des Servius Zeit und fast modern macht, ist sein Zittern
zum Virgil entstammt, und er scheint voll- mitten zwischen Lebensfreude und dem Ge-
ständig irregeleitet von seinem Drange, Gior- fühl, für das man erst in unserem Jahrhundert
gione zu einem ebenso gelehrten Menschen den Ausdruck Weltschmerz gefunden hat. Es
zu machen, wie er selbst ist, wenn er im dritten ist ein Gefühl, das zumeist der Jugend angehört
Bilde eine Illustration zu Statius' Erzählung und nicht zum wenigsten der Jugend, die früh-
von König Adrastus und der Königin Hypsipyle zeitig ihren Lebensdurst löschen wollte. Wir
finden will. Aber wenn dem so wäre, wenn wissen von Vasari, dass die Askese nicht Gior-
Giorgione wirklich — trotz allem, was wir giones Sache war; wir wissen, dass er zu Vene-
über die Ungelehrtheit der Venetianer im digs jeunesse doree gehörte; wir wissen auch,
Gegensatz zu den florentinischen und römischen dass sein Leben mit seiner Jugend zu Ende
Künstlern zu wissen glauben — die Motive war.

* Franz Wickhoff, Giorgiones Bilder zu römischen Helden- «g$>

gedichten. (Jahrb. der königl. preuss. Kunstsammlungen, Bd. XVI,
Berlin 1896, p. 34 fr.).

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