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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Bücherbesprechungen / Zeitschriftenschau
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hier Geistreichrum; dort Gleichmass, hier immer
wechselnde malerische Anschauung; dort ein tradi-
tioneller, bei allem Reiz fast starrer Erzählerton,
hier vibrierendes Leben. Dies Kennzeichen Sle-
vogtscher Kunst tragen alle Blätter des Buches.
Der fabelhaften Schärfe seines Auges, die jede
vorbeihuschende Bewegung im Nu packt, ver-
danken sie ihre Entstehung. Reiter werfen sich
vorn über und schwingen ihre krummen Säbel,
Pferde stampfen mit den Hufen, Räuber blicken
scheu, grimmig und verwegen um sich und halten
finstern Rat, Köpfe werden abgeschlagen, Dolche
blitzen, Sterbende krümmen sich, orientalische
Musik erklingt, und allerlei andere aufgeregte und
bewegte Scenen werden mit flotten Abbreviaturen
angedeutet. Jetzt kritzelt die Feder eilig ein paar
Umrisse, nun lässt uns der Tuschpinsel ein male-
risches Halbdunkel sehen. Sehr reizend ist dabei
ein immer mitklingender scherzhaft-ernsthafter
Nebenton, der das Groteske und Burleske heraus-
arbeitet, das die phantastisch-grausame Geschichte
für uns in sich birgt. Von naivem Vergnügen an
der alten Erzählung ist dieser moderne Illustrator
himmelweit entfernt; er ironisiert sich selber als
Leser und Zeichner.

Aus allen diesen Gründen ist das Buch natürlich
so ziemlich das Ungeeignetste, was man einem
Kinde in die Hand geben könnte. Für dies Raffine-
ment, für diesen genialen Geistreichtum kann ein
heranwachsender Erdenbürger kein Gefühl haben;
er wäre die schönste Schule für angehende Aesthe-
ten, vor denen uns der Himmel in Gnaden be-
wahren möge. So stehen die Illustrationen nicht
nur zum Text, sondern auch zu der ganzen Aus-
stattung des Bandes, die ausdrücklich auf dasKinder-
buch hinweist, in einemWiderspruch, der zu hübsch
ist, um irgend einen Tadel hervorzurufen. Was
Slevogt mit diesem Ali Baba geschaffen hat, ist das
erste Exemplar einerneuen Gattung, die man etwa
„Bilderbücher für Erwachsene" nennen könnte.
Es ist ein Buch, das ich in keine Rubrik meiner
Bibliothek hineinbekomme, und das ich mir darum

— auf den Tisch lege.

Max Osborn.

«

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Oesterreichische Kunst im neunzehn-
ten Jahrhundert." Ein Versuch von Ludwig
Hevesi. 3 34 Seiten mit 2fi Abbildungen. Verlag
von E. A. Seemann, Leipzig. —

Giebt es eine österreichische Kunst? Das heisst,
eine Kunst des europäischen Völkergemisches, das
in der österreichischen Monarchie vereinigt ist?
Ganz gewiss nicht! Man kann dieses Konglomerat
von Kunstbestrebungen ebensowenig als eine Ein-
heit betrachten, als die Litteratur der betreffenden
Länder. Bei dieser richtet freilich die Verschieden-
heit der Sprachen deutliche Trennungsscheiden

auf; [aber die Verschiedenheit des Formgefühls
und der kulturellen Voraussetzungen giebt dem,
der in der Kunst die höchsten Rasse-Offenbarungen
zu suchen gewöhnt ist, hier kein minder mannig-
faltiges und unzusammenhängendes Bild. Darum
wird hier für den Geschichtsschreiber kluge Selbst-
bescheidung zu einem Gebot der Selbstbehauptung.
Bliebe doch schliesslich zwischen diesem Gewoge
deutscher, czechischer, polnischer, ruthenischer,
slovakischer, slovenischer, kroatischer und italieni-
scher Künstler als letzte Einheit — die österreichi-
sche Gulden- resp. Kronen Währung übrig! Aber
ob man in Gulden, Mark oder Francs zu darben
hat, das ist für das Nationalgefühl des schaffenden
Künstlers verflucht egal!

Ludwig Hevesi scheint sich der in dieser Stoff-
welt lauernden Gefahren klar bewusst gewesen zu
sein. Denn er hat mit ruhiger Entschiedenheit
sein Thema beschränkt. Er lässt zwar gelegentlich
den Blick weiterschweifen und stattet in den Pro-
vinzen freundliche Musterungsvisiten ab, aber in
der Hauptsache giebt er doch eine Geschichte der-
jenigen künstlerischen Entwickelungen, die sich in
Wien als dem treibenden Mittelpunkt bewegen.
Und er hat gut daran gethan. Seit etwa vierzig
Jahren ist Hevesi (aus Ungarn gebürtig) in der
Wienerstadt heimisch und hat ein gutes Stück
Kunstentwickelung auf diesem sehr empfindlichen
Boden miterlebt und aufs intimste durchgekostet.
Aber bei seinem geübten Blick für allerhand Anti-
quarisches, Anekdotisch-Charakteristisches, Lokal-
Kurioses hat er nach und nach auch eine Menge
Einzelkenntnisse aus früheren Jahrzehnten, teils
aus vergilbten Zeitschriften und Büchern, teils aus
dem Mund rückblickender, vielfach längst ver-
storbener Menschen bei sich aufgestapelt. Hevesi
hat etwas von einem getreuen Chroniqueur, frei-
lich von dessen höchstem und sublimstem Typus.
Aufs engste fühlt er sich mit dem Boden, auf dem
er haust, verwachsen, und ist angefüllt mit dem
regsten Interesse für alles Kleine und Grosse, das
sich daselbst begeben hat. Aber als ein viel-
gereister und in den mannigfaltigsten Wissens-
disziplinen festbeschlagener Mann, als eine kräftige
und echte, dabei höchst sensible Schriftstellernatur
brauchte Hevesi nicht zu befürchten, dass seine
im Engen thätige Liebe ihm auch den Horizont
werde verengen können. Vielmehr ergeben sich
ihm aufs müheloseste und selbstverständlichste
hinausweisende Parallelen, an deren Hand er das
Heimatliche tiefer deutet und wertet.

So hat denn Hevesi ein Buch geschrieben, das
mancherlei intime Reize und doch zugleich etwas
Weltmännisches besitzt. Aber das Lokal-Intime
ist ihm doch durchaus die Hauptsache. Hier steckt
des Buches eigentümlichster Zauber, hier steckt
auch seine leise Schwäche. Will man diese be-
zeichnen, so mag man etwa sagen: Das Buch

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