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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Delacroix, Eugène: Aus dem Tagebuche, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0409

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oftetwas unüberlegte Bewunderung der Antike
aufkam. In einem glücklichen Augenblicke
wurde er sich über die Schwächlichkeit und
Schlaffheit dieser schmählichen Produktionen
seiner Zeit klar. Die philosophischen Ideen,
die zu gleicher Zeit um sich griffen, die Ideen
von der Grösse und Freiheit des Volkes,
mischten sich zweifellos in den Ekel, den er
vor der Schule, aus der er hervorgegangen
war, empfand. Dieser Widerwille, der sein
Genie ehrt und der sein grösster Ruhmestitel
ist, führte ihn zum Studium der Antike. Er
schloss sich, sozusagen mit dem Laocoon, dem
Antinous, den Fechtern, mit diesen männlichen
Schöpfungen des antiken Genies, ein. Er hatte
den Mut, sich ein neues Talent zu schaffen,
darin dem unsterblichen Gluck ähnlich, der
in vorgerücktem Alter auf seine italienische
Manier verzichtet und sich in reineren und
naiveren Quellen verjüngt hatte. Er wurde
der Vater der ganzen modernen Schule in
Malerei und Plastik. Er reformierte sogar die
Architektur, ja sogar die Möbel für den täg-
lichen Gebrauch. Er setzte Herculanum und
Pompeji an die Stelle des Bastard- und Pom-
padurstiles und seine Prinzipien hatten eine
solche Macht über die Gemüter, dass seine
Schule ihm gleichkam und Schüler hervor-
brachte, von denen einige ihm ebenbürtig
sind. Er herrscht in gewisser Beziehung heute
noch, und trotz gewisser Umwandlungen, die
der Geschmack seitdem durchgemacht hat,
ist es doch klar, dass alles noch von ihm und
seinen Prinzipien ausgeht. Aber welches waren
seine Prinzipien und bis zu welchem Grade
hat er sich an sie gehalten und blieb er ihnen
treu? Die Antike war sicherlich die Basis,

der Grundstein seines Gebäudes. Die Einfach-
heit, die Majestät der Antike, das Massvolle
der Komposition, der Gewänder, das er noch
weiter trieb als Poussin.

Davids Einfluss beherrschte die Plastik
ebenso wie die Malerei.

Man muss versuchen, die „koloristische
Farbe" und das „leuchtende Licht", von dem
Frau Cave sprach, zu vereinigen. Wenn man
die breiten Lichtflächen zu sehr vorherrschen
"lässt, so vernichtet man die Halbtöne und
wirkt infolge dessen farblos. Verfällt man
ins Gegenteil, so schadet das namentlich bei
grossen Kompositionen, die aus der Entfernung
gesehen werden sollen, wie Plafonds u. s. w.
In Malereien letzterer Art ist Paul Veronese
Rubens durch die Einfachheit der Lokalfarben
und die Breite des Lichtes überlegen. (Susanne
und die Greise im Louvre, ein Bild, an dem
man etwas lernen kann.) Der Lokalton bei
Veronese muss sehr gesteigert sein, um bei
einem so breiten Licht nicht farblos zu wirken.
Die malevischen Lizenzen. — Jeder Meister
verdankt oft ihnen die erhabensten Wirkungen.
Das Unfertige bei Rembrandt. Das Ueber-
triebene bei Rubens. Die Mittelmässigkeit
kann solche Sachen nicht riskieren, sie ist nie-
mals ausser sich . . .

HS-
Tizian wusste wahrscheinlich nicht, wie er
ein Bild fertig machen würde . . . Rembrandt
wird es wohl oft ebenso gegangen sein. Seine
ausserordentlichen Gewaltsamkeiten sind
weniger beabsichtigt, als die Folge von un-
unterbrochenem Experimentieren.

MS.
 
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