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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0411

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DRESDEN

Aus Aachen gelangte in den Besitz der Gemälde-
galerie ein Bild des iy. Jahrhunderts, deutsche
Schule, das die auf diesem Gebiete bestehende
Lücke in interessanter wenn auch natürlich nicht
in vollständiger Weise ausfüllt. Das unbezeichnete
Bild rührt nämlich von der Hand jenes fesselnden
Meisters her, den man mit dem Kupferstecher,
gemeinhin der Meister des amsterdamer Kabinetts
genannt, identifiziert hat. Das Hauptbild des
Meisters ist wohl die Kreuzigung in Freiburg und ge-
rade mit diesem zeigt unser Gemälde in den Typen —
die breit gezogenen schmalen Augen der Frauen,
ihre Grübchen-Kinne, die lockigen Jünglinge, der
seltsam in die Stirn herabgezogene Kopfputz der
Frauen — die unverkennbarste Aehnlichkeit.

Es giebt nicht viele deutsche Gemälde des iy.
Jahrhunderts, die einen so interessanten Wettstreit
zwischen realistischer und konventioneller Auf-
fassung zeigen wie die neue Beweinung Christi
der dresdener Gemäldegalerie. Die Komposition
bewegt sich völlig in den herkömmlichen Bahnen.
Schwerer Goldgrund verdeckt den Himmel und
undurchsichtige Heiligenscheine überschneiden die
Gesichter. Die Landschaft zeigt links und rechts
konventionelle Kulissen, dagegen liegt das Grab
rechts in einer eigenartigen Hügel-Höhle. Am
Leichnam Christi sind die Nägel der Füsse und
der Hände blau unterlaufen und es zeigen sich
noch andere Spuren der feinsten Beobachtung, die
verraten, wie realistische und genaue Studien der
Meister an wirklichen Leichen gemacht hat, ehe

C. MARR, DAS KIND AUK DEM LANDE

BERLINER GROSSE KUNSTAUSSTELLUNG

er das Bild malte. Ganz eigenartig ist die um-
gedrehte Stellung des linken Fusses Christi. So
malt kein gedankenloser Heiligenmaler, so malt
ein Mensch, der auch bei dem allerhäufigsten Vor-
wurf und der allergewöhnlichsten Bestellungs-
arbeit sich noch über jede kleine Einzelheit
Rechenschaft giebt.

Ganz überraschend ist das Bild von Jerusalem
im Hintergrund. Die Häuser sehen keinem Bau
des Occidents irgendwie ähnlich. Sie sind aber
noch weniger phantastische Gebäude, sondern
peinlich genaue Darstellungen der dach- und

A. OBERLÄNDER, AUF DER HIMMELSWIESE

BERLINER GROSSE KUNSTAUSSTELLUNG

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