Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

DOI Artikel:
Servaes, Franz: Die Wiener Kunstgewerbeschule
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0441

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
kenntnis und praktischen Lösbarkeit moderner neben einander, von denen die jüngere,
kunstgewerblicher Stilaufgaben betrachtet grösstenteils durch Myrbach berufene, führend
werden. Die „neue Bewegung" war die Ge- geworden ist, während die ältere so gut nach-
legenheitsursache, die die Kräfte freimachte; zukommen sucht, als sie kann oder mag. Eine
sie war der Wind, der in die breit und schön völlig harmonische Ausgleichung der Anschau-
ausgeschnittenen, aber noch schlaff dahängen- ungen und Methoden würde jedenfalls noch
den Segel blies und hierdurch das Fahrzeug weitere Veränderungen im Lehrkörper zur
mobil machte. Voraussetzung haben. Wir wollen hier vor-
Es ist nicht meine Absicht, hier die Lei- wiegend die Resultate der jüngsten Unterrichts-
stungen des wiener Kunstgewerbes als solche phase ins Auge fassen.

zu charakterisieren und abzuwerten. Sie sind Etwa gleichzeitig mit Myrbach kamen
ja nicht mehr unbekannt und, wenn auch mit Josef HofFmann und Kolo Moser an die Kunst-
verschiedenen Wärmegraden begehrt und be- gewerbeschule. Mit einer Energie und Ge-
urteilt, doch in ihrer typischen Bedeutung und schwindigkeit, die etwas Verblüffendes hat
Eigenart durchaus geschätzt. Ich möchte hier (und doppelt in Wien'.), griffen beide durch
nur davon berichten, was Wien thut und und stellten binnen Jahresfrist gleichsam ein
weiterhin zu thun gedenkt, um seine gegen- neues Schülermaterial auf die Beine. Die
wältige Blüte im Gebiet der angewandten junge Generation schien auf die Ankunft
Kunst nicht zu einer rasch schwindenden Zu- dieser Lehrer nur gewartet zu haben, um sich
fallserscheinung zu machen, sondern ihr eine mit Feuereifer in ein völlig neues Fahrwasser
möglichst sichere Gewähr für zeitliche Dauer- zu werfen. Bei dem vorgeschrittenen Cha-
barkeit zu geben. Dieses geschah durch eine rakter, den die von Moser, HofFmann und
Reorganisation der alten Kunstgewerbeschule, Myrbach geleiteten Klassen tragen, lag in
die 1899 der Leitung Felician von Myrbachs diesen Lehrerfolgen jedoch eine nicht zu
unterstellt wurde und seitdem nach durchaus unterschätzende Gefahr, wenn es nicht gelang,
modernen Prinzipien und mit stellenweise fast nun auch den Mann zu finden, der die all-
beängstigenden Erfolgen geleitet wird. Nie- gemeinen Grundlagen des Unterrichtes in
mals hat sich rascher und tiefer ein Um- kongenialer Weise zu reorganisieren verstand,
schwung an einer Schule vollzogen als hier. Dieser Mann erstand sehr schnell in Alfred
Ich blicke in eine Publikation, die der frühere Roller, gleich den drei Vorgenannten einem
Direktor der Schule, Josef von Storck, von Mitgliede der'Wiener Secession, die demnach
Arbeiten der österreichischen Kunstindustrie durch die Kunstgewerbeschule sich einen be-
aus den Jahren 1868—1893 herausgegeben deutenden Einfluss auf die künstlerische Zu-
hat: eine totale Abhängigkeit von den histo- kunft Oesterreichs gesichert hat. Rollers
rischen Stilen tritt uns entgegen, ein handwerk- Thätigkeit ist im gegenwärtigen Augenblick
lieh überaus geschicktes, aber in Erfindung an der Kunstgewerbeschule wohl bereits be-
und Empfindung schülerhaftes Ausschroten endet, nach dreijährigem Wirken. Er hat
gegebener Formen; keinerlei eigene künst- soeben einem Rufe Folge geleistet, der ihn
lerische Sprache, nicht einmal der Ansatz und zum Chef des Dekorationswesens an der
der Wille dazu; eine selige Selbstgenügsam- wiener Hofoper gemacht hat, nachdem er
keit im wahnvollen Glauben an die „Ewig- mit seinen Dekorationen zu „Tristan und
keit" geschichtlich gewordener Formen. Von Isolde" daselbst einen ungewöhnlich starken
solch formalistischem Traditionsglauben sucht Erfolg errungen hatte. Zweifellos aber wird
man sich jetzt völlig freizumachen. Das ist in Rollers Geist an der Kunstgewerbeschule
stellenweise bereits aufs klarste durchgeführt; weitergearbeitet werden. Er hat mit sicherer
stellenweise wird auch noch bedächtig oder Hand die Grundlinien der neuen Unterrichts-
widerstrebend hin und her laviert. Es stehen methode gezogen, und es kann jetzt einem
eben zwei Generationen von Lehrkräften Nachfolger nicht mehr schwer fallen, im

432
 
Annotationen