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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 8
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Berliner Bühne, [1]: November-Februar
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0326

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CÄSAR KLEIN, BÜHNENENTWURF FÜR MAETERLINCKS
„PELLEAS UND MELISANDE"

BERLINER BÜHNE

November-Februar



SeitPirandellos,,SechsPersonen suchen einenAutor"
(Komödie. Regie Reinhardt. Bühnenbild Krehan) über
ganz Europa hin seinen Weg nahm, müßte eigentlich jede
Geschichte des modernen Theaters mit diesem Werke be-
ginnen. Denn indem es so bewußt mit den psychologischen
Daten des heutigen Theaters und seines Publikums rechnet,
wie es sonst für gewöhnlich nur Schwankschreiber und
Librettisten verstehen, erhellt es die ganze Situation der
Bühne in dieser Weltsekunde. Pirandello erwählt in seiner
Tragigroteske als Hauptdarsteller das Publikum selbst. Das
Stück auf der Bühne läßt die Vorstellungen von „Realität"
und „Schein" auf dem Seil über den Bewußtseinsabgrund
tanzen, am Zuschauerraum wird dasselbe Experiment zwi-
schen den Werten „komisch" und „tragisch" vollzogen.
Es gelingt trefflich dank der Geschicklichkeit des philoso-
phischen Dichters und seiner Darsteller. Die Entehrung
der eigenen Tochter in einer bis zum Zerreißen schmerz-
haften Begebenheit wird vom Zuschauer auf die unschul-
digste Weise mit Gelächter entgegengenommen. Jetzt ist
die Bühne eigentlich erst aufgeschlagen: hinter uns wird
ein zweiter Vorhang hochgehen und das unsichtbare Parkett
dort rückwärts die Bravourleistung dieses schmerzlichen
Gelächters mit Klatschen — oder wer weiß es —, mit Tränen
anstaunen. Denn das Großstadtvolk, dem Abend für Abend
die Wahl zwischen dreißig verschiedenen Bühnenwerken
und unzähligen Films freisteht, das sich im „Prinz von Hom-
burg" gesichert und gestärkt fühlt, weil es ja weiß, daß
morgen für ihn an derselben Stelle die Türen zu „Charleys
Tante" offenstehen, es kann ja nimmer vom Blutstrom lösen-
den Schmerzes und heller Heiterkeit wahrhaft durchströmt
sein. Das Theater selber liefert zuviel Vorbehalte um

ernsthaft theatralisch wirken zu können. Auf dieser Tat-
sache errichtet Pirandello seine Dichtung, projiziert die Vor-
stellung „Bühne" ebensosehr ins rampenlichtkomödiantische
wie ins weltanschaulich-philosophische (etwa im Sinne von
Calderons „Das Leben ein Traum") und entläßt uns doch
vielleicht mit dem heißen Wunsch nach Klärung der zu
Schemen gewordenen Welten. Es ist wie Shaws „Heilige
Johanna" im höchsten Sinne ein kämpferisches Stück, weil
es ohne Entscheidung im Zuschauer eigentlich gar nicht zu
Ende gespielt ist. Bei Shaw bedeutet das Nachspiel ge-
wissermaßen den Prolog zu dem Werk „Die Wiederkunft
der Johanna" (in uns selber vollzogen), bei Pirandello wei-
chen die sechs Gestalten unerlöst wieder ins Dunkel zurück,
woher sie gekommen. Vielleicht bist du oder du der rechte
Autor, der sie zu Ende führt. Dieses Spiel ohne Rahmen
und über den Rahmen hinaus war trotz des hierfür unge-
eigneten, viel zu genießerischen Hauses der „Komödie" bis
ins Vollkommenste gelungen. Ein verfehlter Ton des Dar-
stellers kann dieses ganze Hauchgebilde zwischen Sein und
Schein zum Einsturz bringen und die Dichtung damit bis
zur Unverständlichkeit entstellen. Aber diese sechs Per-
sonen waren so sehr Geschöpfe eines Geistes, daG es nicht
verwunderlich erschienen wäre, hätten sie sich plötzlich
zerteilt und verwandelt wie Figuren eines Schattentheatets.
Dabei ist das Eigenartige, daß diese unendliche Spiegelung
der Handlung von Bühnenraum zu Bühnenraum, wirkend
wie die sinnverwirrende Vielfalt wiedergespiegelter Kerzen
zwischen zwei Spiegelflächen, von einer unendlich banalen
Allerweltshandlung ausstrahlt, wie sie zu jeder Stunde ge-
schehen kann. Und gerade um dieser Banalität im Vorgang
willen desto geistiger in seiner Deutung. Würde dies Werk

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