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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 8
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Berliner Bühne, [1]: November-Februar
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0327

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von seinen Darstellern nur als Handlung begriffen, die
nicht seltenen Brutalitäten und Konstruktionen müßten den
Anblick unerträglich machen; Reinhardts Interpretation,
Pallenbergs und Gülstorffs aus den Quellen schöpfenden
Spiel-Kunst vollzogen die notwendige Übersetzung vom
„Existenten" ins „Mögliche". Pirandello aberscheint mir von
Shaw mit Recht — wenigstens für dies Werk — den Meistern
europäischer Dichtung an die Seite gestellt worden zu sein.

Hohe Theaterkunst war auch die Aufführung des „Prin-
zen von Homburg", Staatstheater. Regie L. Berger. Büh-
nenbild Rudolf Bamberger.

Nicht unbezeichnend für die ganze Aufführung, daß die
Treppe in der Gartenszene, jenes Symbol traumhaften ins
Ungemessene Schreitens und vom Ungemessenen Herabstei-
gens, im Bühnenbild kaum zur Geltung kam. Statt Per-
spektive ein paar von der Seite gesehene Stufen. Alles,
was in diesem Drama ins Irrationale hinübergreift: der
schlafwandelnde Prinz und das Gaukelspiel um Kette und
Lorbeer, der maßlose Zusammenbruch Homburgs tönte nicht
voll und rein. Dagegen erstand in strahlender Schönheit
das Preußendrama, herrlichste Predigt an die deutsche Nation.
Das mag zum kleinsten Teil, was das Negative angeht,
Schuld des Regisseurs gewesen sein, dem wirkte vor allem
die schauspielerische Natur Paul Hartmanns entgegen, der
mehr einen schöntönenden Siegfried, denn ein Geschöpf
kleistischer Besessenheit (so hin- und widergerissen zwischen
Traumhelle, Blutmacht und kantischem Pflichtgesetz) auf
die Bühne stellte. In seinen Grenzen dann scharf umrissen
und untadelig. Aber der Zusammenbruch des Helden vor
Natalie, Zorn aller um Preußens Größe besorgten Ober-
lehrer, konnte so nicht glaubhaft erscheinen. Präzise,
prachtvolle Feinarbeit hingegen etwa die Szene der Parole-
ausgabe oder die Schlachtszene im packenden Zusammenspiel
der Einzelgestalten. Schauspielerisch schien der Akzent vom
Prinzen sehr auf den Kurfürsten verschoben, so sparsam, so
eindringlich von Werner Krauß umrissen, daß von ihm recht
eigentlich die „preußische" Atmosphäre desWerkes ausströmte.

Sehr matt und nichtssagend, die pure Leinwand, stan-
den die Kulissen herum, denen man noch nicht einmal die
historische Treue der Kostüme nachzusagen vermochte.
Ein Glück, daß Kleist darauf verzichten kann.

Vielleicht stehe ich allein da mit der Meinung, daß die
Aufführung von Pelleas und Melisande von Maeterlinck
im Wallner-Theater (Regie E. Kind, Bühnenbild Cäsar Klein)
zu den wichtigeren Theaterereignissen dieses Winters gehört
hat. Allein deswegen, weil der „bessere" Berliner nicht
nach der Janowitzbrücke zu fahren gewillt ist, um „Kunst"
zu sehen, dann aber, weil die Bedeutung dieses Abends
sicher nicht von der Darstellung ausging, die vor allem in
Ernst Deutsch einen allzu unnaiven „Pelleas" gefunden
hatte. Doch wichtig war die Begegnung mit dieser dra-
matisierten Ballade, weil in ihr die ganze ästhetisch ver-
färbte Müdigkeit der Jugendstilperiode einen Duncanschen
„Natur-Tanz" vor unsern Augen aufführt. Und das wirkt
so rührend, so hilflos-unfrei und so fern wie ein Märchen.
Die Zeit, da man seine Müdigkeit in Brokat wie einen
Priesterrock trug, ist für uns endgültig vorbei. Das Gehör
ist nicht mehr so zart, die Hand ballt sich lieber zur Faust,
als daß sie mit den Fingerspitzen die Formen umschmei-

chelt. Eine reinlichere Scheidung verwechselt Mystizismus
nicht mehr mit Mystik. Zwischen uns und Maeterlinck liegt
die europäische Krisis. Jetzt also hebt man das empfind-
same Filigran wieder ans Licht. Ach, unsere harten, schar-
fen Augen. Wie sind wir aufgewühlt, daß wir solch edlen
Schönheitskult nicht mehr ertragen, wie sind wir dem Ziele
entgegengespannt, daß wir die Umschreibungen einer zeit-
losen Zuständlichkeit nicht mehr dulden. Von uns abgesehen

— es ist ein edles Werk am Rande des Lebendigen, dort
wo Jenseitiges und Nebuloses so dicht aneinanderwohnen.

Bemerkenswert und eigenartig an dieser Einstudierung
schienen mir eigentlich nur Cäsar Kleins Bühnenbilder,
von denen hier zwei Proben gebracht werden. Vielleicht
für dies gobelinhafte Märchen noch eine Nuance zu bunt,
zeigten sie doch Formwille und Leuchtkraft der Töne in
hohem Maße. Der Wald mit dem Brunnen, satt-grün mit
Licht-Funkeln an den Stämmen, das Zimmer klar abgesetzte,
teppichartige Flächen in Blau, Violett und Rot. Diese Bilder
gehörten zu den erfreulichsten Bühnen-Ausstattungen, die
man diesen Winter gesehen und versöhnten mit dem ver-
fehlten Wallenstein-Experiment.

Auch eines jungen Berliner Regisseurs erstes Bühnen-
stück bekamen wir im Rahmen einer Matinee der „jungen
Bühne" im Deutschen Theater zu hören, Carl Zuckmayers
„Pankraz erwacht oder die Hinterwäldler". (Regie
H. Hilpert. Bühnenbild Strohbach.)

Während der Aufführung dieses sympathischen Werk-
leins — sympathisch trotz der Goldräuber und unvermeid-
lichen Blutschande — bei dieser Ausführung riefen in den
heiter angeregten Pausen ein paar Zuschauer: „es lebe Carl
May". Das war auch ganz richtig — aber es verfehlte
seine Wirkung, denn es klang uns mehr als Lob denn als
Tadel. Der vielgelästerte Carl May hat der abenteuernden
Sucht unseres Blutes weite Jagdgründe erschlossen und
nicht jeder ist ein Old Shatterhand, daß er hingehe und
fünf mit der Faust erledige. Carl Zuckmayer hat, der euro-
päischen Krisen überdrüssig, die Büchse von der Schulter
gerissen und ein Dutzend Wildwestbilder auf uns abgefeuert.
Flinte und Pulver sind guter, solider Stoff — getroffen hat
es nicht. Das lag wohl an der zweifellos schlechten Technik,
ohne die der gutmeinendste Schütze nun einmal nicht aus-
kommt. Keine Szene greift in die andere, wenig Worte
stehen Brust an Brust gegeneinander. Wie Brechts „Dickicht"

— mit dem es mehr als einen Zug gemein hat — macht
es aus der Not eine Tugend, gibt sich als Ballade, weil
zum Drama weder die Geduld noch der innere Mut reicht.
Das Ganze ein Symptom: wie sich in Brechts „Dickicht"
die Familie aus dem Westen in das „Dickicht" der Groß-
stadt verirrt hat, bis die Dornen über den schmerzwunden
Häuptern zusammenschlagen, so sind hier umgekehrt Vater
und Töchter von der Stadt nach dem Westen in den großen
Wald gewandert, bis sie „Holz, Holz, Holz" in dem Urwald
ihrer Triebe zu Tode hetzt. Rückbildung menschlich durch-
formten Daseins in die Tiefen des Werdens und Gärungs-
prozesses selber, da der mütterliche Urnebel berauschend
und vergiftend zugleich alle Wesen in sich zurückzieht;
aber dies mehr Schrei denn Heimweg — wie das heute
vielleicht nicht anders sein kann. Ein um die Großstadt-
differenziertheit verfeinerter und vertiefter Carl May. —

'•lli

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