Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kritische Berichte zur kunstgeschichtlichen Literatur — 3-4.1930-1932

DOI Artikel:
Pächt, Otto: Das Ende der Abbildtheorie
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.71972#0011

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DAS ENDE DER ABBILDTHEORIE
Es gibt eine Art, Kunstwerke zu beschreiben, die den Anschein erwecken muß,
als sollten die Werke der bildenden Kunst mit poetischen Mitteln wiedergegeben,
in Worten abgebildet werden. Gerechterweise wird man diesem Verfahren zu-
billigen müssen, daß es nicht wenig zur Popularisierung der Kunstgeschichte bei-
getragen hat, und selbst wenn dies ein sehr zweifelhaftes Verdienst sein sollte,
wird man doch das eine sagen dürfen, daß es offenbar einem lebendigen Bedürfnis
unserer Zeit entgegengekommen sein muß. Ganz zum Unterschied von diesem
hohen Ansehen, das die „poetische" Beschreibung genießt, steht es mit ihrer
theoretischen Fundierung denkbar schlecht. Denn sie setzt notwendig die Gültig-
keit eines Begriffs wissenschaftlicher Wahrheit voraus - Wahrheit als getreuer
Abspiegelung, Imitation der Wirklichkeit -, der unhaltbar geworden ist, seitdem
es eine moderne Erkenntnistheorie gibt1). Jede Wissenschaft geht in erster Linie
auf eine begriffliche Fassung ihrer Gegenstände aus. Begriffe aber sind kein Ersatz
und keine Abbildung des Objektes der wissenschaftlichen Betrachtung, sondern
Zeichen und Symbole, die man so zu wählen hat, daß mit ihnen zugleich etwas
vom Wesen des bezeichneten Objekts verständlich wird.
Macht man mit dem nachdichtenden Reproduzieren eines Kunstwerkes völligen
Ernst, so beabsichtigt man im Grunde nichts anderes als den künstlerischen Ge-
halt aus dem einen in ein anderes ästhetisches Mittel zu transponieren. Zunächst
einmal ist eine solche Übersetzung eine rein künstlerische Aufgabe, setzt die
seltene Gabe dichterischer Formkraft voraus, verlangt ästhetische Produktivität,
nicht Reproduktivität. Der Wissenschaft würde man zumuten, sich bei einer ihrer
elementarsten und alltäglichsten Beschäftigungen auf die Zufälle dichterischer
Inspiration und die Gnade glücklicher Stunden zu verlassen. Wir sehen hier ganz
von anderen unausweichlichen Schwierigkeiten ab, so von dem heiklen Problem,
wie bei der Übertragung in einen notwendig heterogenen Stil die Subjektivität
der Interpretation vermieden und das unumstößliche Postulat der wissenschaft-
lichen Objektivität gewahrt werden könnte, und wollen nur die eine Überlegung
anstellen, was denn eigentlich mit dem Übergang aus der visuellen in die sprach-
liche Sphäre erreicht werden soll. Offenbar dies: dem künstlerischen Gehalt eine
Form zu geben, in der Sinn und Bedeutung leicht zu erfassen sind. In einem
rationalistischen Vorurteil befangen meint man nun, ein literarisches Produkt
sei kritischer Reflexion leichter zugänglich, da sein Ausdrucksmittel, die Sprache,
auch dem kritischen Verstand als Organ dient2). Selbst wenn dem so wäre,
9 Vgl. M. Schlick, Allgemeine Erkenntnislehre, 2. Aufl., Berlin 1925, S. 55fr. Ferner mit
direktem Bezug auf die spezifisch geschichtstheoretische Problematik A. Vierkandt, Gesell-
schafts- und Geschichtsphilosophie, S. 919,
') Der richtige Gedanke, der hinter diesem Vorurteil steckt, fuhrt, voll und ganz begriffen,
notwendig zur Aufdeckung des inneren Widerspruchs der poetischen Beschreibung und ihrer
Halbheiten. Selbst dieses „Abbilden" wird erst dadurch möglich, daß Worte - auch die, denen
ästhetische Absichten zugrunde liegen - einen begrifflichen Kern haben, wenn auch der begriff-
liche Gehalt denkbar unbestimmt, verwaschen und fluktuierend ist. Ein Abbilden bloß durch

I
 
Annotationen