Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kritische Berichte zur kunstgeschichtlichen Literatur — 3-4.1930-1932

DOI Artikel:
Landsberger, Franz: Gotizismus
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.71972#0265

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
GOTIZISMUS

Die Ausführungen Hubert Schrades in Heft i, 1931/32, die sich vor allem
gegen meine Neuprägung eines Gotizismus während der Kunst der Goethezeit
richten1), legen es mir nahe, noch einmal in aller Kürze zu sagen, wie ich zu diesem
Begriffe gelangt bin. - Daß der Klassizismus die Periode von 1750-1830 durch-
zieht, aber nicht ausfüllt, war schon vorher bekannt. Auf das Wiederaufleben -
nicht nur Nachleben - des Barock in den Berliner Bauten eines Gontard und Unger
nach den stilleren Formen eines Knobelsdorff u. a. hatte schon Dehio gewiesen;
er fand, „daß die Bibliothek in der Wiederaufnahme des Barocks von allen Bauten
des Königs am weitesten geht und damit in auffallenden Widerspruch tritt zu
den bereits klassizistischen Bauten des Opernhauses und der Universität" (Hand-
buch der deutschen Kunstdenkmäler). Für die Plastik sah ich eine ähnliche Auf-
frischung barocker Tendenzen in Wien bei dem Bildhauer Messerschmidt im
Gegensatz zu der klassizierenden Ruhe eines Raphael Donner. - In der Malerei
der Epoche galt eine romantische Stilstufe in den Werken der Nazarener, früher
und ausgeprägter noch in den Werken eines Runge und C. D. Friedrich, als
gesichert. Ebenso lag der Einstrom des Sturm und Drang in die Kunstanschauung
eines Herder, Heinse, Goethe, Merck, Lavater offen zutage. Daß auch bildende
Künstler von dieser Strömung ergriffen wurden, hatte ich schon in meinem Tisch-
bein-Buche skizziert. Hamann hatte dann in seiner Deutschen Malerei vom Rokoko
bis zum Expressionismus ein ganzes Kapitel mit „Sturm und Drang-Realis-
mus" überschrieben und darunter sämtliche Maler der „Generation von 1740"
gruppiert. Gegenüber solcher Ausweitung verhielt ich mich kritisch, zählte nur
einige wenige dem Kreise zu. Ob Ferdinand Kobell unter ihnen ist, ist durchaus
diskutabel; daß die gotische Ruine auf einem seiner Gemälde schon auf hollän-
dischen Bildern vorkommt, freilich kein Einwand, da ja diese Sturm- und
Drang-Malerei vielfach von der niederländischen Kunst profitiert; warum sollte
sie ihre Gotikliebe nicht auch einmal über diesen Umweg bezogen haben? Auch
daß nicht alle Werke Kobells dazu gehören, spricht nicht dagegen: Strömungen
belegen oft nicht den ganzen Menschen. Jedenfalls ist Wilhelm Tischbein während
der Schweizer Jahre, ist Füßli (dessen antiklassischen Bildaufbau gerade Schrade
herausarbeitet), ist der Maler Müller und der junge Goethe - die letzten drei
ja auch als Dichter dem Sturm und Drang verpflichtet - mit der Richtung verknüpft,
Grund genug, um auch in der bildenden Kunst einen „Sturm und Drang" zu
statuieren. - Daß ferner zwischen dem Sturm und Drang und der Romantik ein
äußerer Zusammenhang und eine innere Verwandtschaft bestehen, ist dem Literar-
historiker ganz geläufig. In der bildenden Kunst, die den Klassizismus stärker
herausarbeitet als die Dichtung, ist der Zusammenhang noch enger: beide Rich-
tungen nämlich nähren sich vom Widerspruch gegen den Klassizismus, be-
tonen gegen eine umsichgreifende Vernünftigkeit das Recht des Gefühls. Dem
9 Daß er dabei meine Klärung der Entwicklungsphasen des Klassizismus - also den
Hauptteil meines Buches — kaum erwähnt, ist verwunderlich.

251
 
Annotationen