ZUM BEGRIFF DER „STRUKTURANALYSE"
(Noch einmal Coudenhove-Ehrtals Fontana-Monographie)
Die Bemerkungen zu Coudenhove-Ehrtals Fontana Buch im vorletzten Heft dieser Zeit-
schrift sind im gewissen Sinn tatsächlich kein „kritischer Bericht". Sie sollten ursprünglich
an einem Ort erscheinen, wo die Begründung der kritischen Ergebnisse anderen Veröffent-
lichungen vorbehalten werden durfte. In die „Kritischen Berichte" wurden sie aufgenommen,
weil die Redaktion den Beitrag auch in dieser Form für eine mögliche und legitime Art der
Kritik hielt. Daß die Ergebnisse, mit denen ich operiere, aus durchgeführten Strukturanalysen
stammen, ist nach den Forderungen, die gerade wir aufgestellt haben, nur selbstverständlich.
Die Einwände Wittkowers geben mir Gelegenheit, meinen Beitrag zu jener Form zu ergänzen,
die ich ihm gegeben hätte, wenn er ursprünglich als „kritischer Bericht" abgefaßt worden
wäre und bilden zugleich einen Anlaß, die vielfach mißverstandene Unterscheidung zwischen
„guter" und „schlechter" Beschreibung (unverbindlicher Beschreibung, Strukturanalyse, Stil-
analyse) an einem konkreten Beispiel auf einfache Weise klarzumachen.
In meinen Andeutungen im dritten Heft habe ich versucht, die herrschende
Vorstellung von der Kunst Fontanas - die auch bei W. weiterbesteht - durch
die These umzuformen, daß Fontana „Ideen haben konnte, die zwischen Borro-
mini und Fischer von Erlach zu den neuesten und wesentlichsten gehören".
Die schöpferischen Möglichkeiten Fontanas sollten nicht nach San Marcello,
sondern nach zwei andern Werken beurteilt werden. Diese Behauptung ist
gewonnen aus Strukturanalysen dieser drei (und noch anderer) Werke. Die
Richtigkeit der Ergebnisse zweier Analysen wird von W. bestritten. Eine Ent-
gegnung wäre überflüssig, wenn es nicht möglich wäre, mit Gründen zu einer
Entscheidung zu kommen. Ich glaube im folgenden zeigen zu können, daß die
Entscheidung eindeutig ausfällt.
a) San Marcello. Die Richtigkeit der Behauptung, die Fassade von San Mar-
cello sei „die Edition kursierender Gedanken Berninis", wird von W. bestritten.
Außerdem hält er die Aussage für leer, er glaubt, daß ihr keine konkrete Be-
obachtung zugrunde liegt. In Wirklichkeit formuliert sie ganz bestimmte Be-
obachtungen; sie ist das Resultat einer ausgeführten und ausführlichen ver-
gleichenden Strukturanalyse, die sie in knapper Formel zusammenfaßt1). Und
zwar:
Die Fassade von San Marcello ist die spätbarocke Umformung der hoch-
barocken Fassade von San Vincenzo ed Anastasio des jüngeren Martino Lunghi
(datiert 1650)2). Es ist bezeichnend, daß weder C. noch W. das bemerkt haben.
Das ist eine schlechte Legitimation für einen Kritiker der „zweiten" Kunst-
wissenschaft. Denn das Folgende wird klarmachen, daß derjenige von San
Marcello so gut wie nichts verstanden haben kann, der nicht imstande ist, diesen
Zusammenhang zu bemerken.
Um den genetischen Zusammenhang zu sehen, muß man zunächst die drei eng
9 Es muß mir erlaubt sein, der von W. anerkannten Beschreibung C.s meine Beschreibung
entgegenzustellen, nicht, wie W. es möchte, ihr verkürzt formuliertes Ergebnis.
2) Eine fürs Gröbste genügende Fotografie bei Brinckmann, Handbuch der Kw., Abb. 117.-
Aufriß und Grundriß in großem Maßstab bei Domenico Rossi, Studio, III, Tafel 39 und 40.
146
(Noch einmal Coudenhove-Ehrtals Fontana-Monographie)
Die Bemerkungen zu Coudenhove-Ehrtals Fontana Buch im vorletzten Heft dieser Zeit-
schrift sind im gewissen Sinn tatsächlich kein „kritischer Bericht". Sie sollten ursprünglich
an einem Ort erscheinen, wo die Begründung der kritischen Ergebnisse anderen Veröffent-
lichungen vorbehalten werden durfte. In die „Kritischen Berichte" wurden sie aufgenommen,
weil die Redaktion den Beitrag auch in dieser Form für eine mögliche und legitime Art der
Kritik hielt. Daß die Ergebnisse, mit denen ich operiere, aus durchgeführten Strukturanalysen
stammen, ist nach den Forderungen, die gerade wir aufgestellt haben, nur selbstverständlich.
Die Einwände Wittkowers geben mir Gelegenheit, meinen Beitrag zu jener Form zu ergänzen,
die ich ihm gegeben hätte, wenn er ursprünglich als „kritischer Bericht" abgefaßt worden
wäre und bilden zugleich einen Anlaß, die vielfach mißverstandene Unterscheidung zwischen
„guter" und „schlechter" Beschreibung (unverbindlicher Beschreibung, Strukturanalyse, Stil-
analyse) an einem konkreten Beispiel auf einfache Weise klarzumachen.
In meinen Andeutungen im dritten Heft habe ich versucht, die herrschende
Vorstellung von der Kunst Fontanas - die auch bei W. weiterbesteht - durch
die These umzuformen, daß Fontana „Ideen haben konnte, die zwischen Borro-
mini und Fischer von Erlach zu den neuesten und wesentlichsten gehören".
Die schöpferischen Möglichkeiten Fontanas sollten nicht nach San Marcello,
sondern nach zwei andern Werken beurteilt werden. Diese Behauptung ist
gewonnen aus Strukturanalysen dieser drei (und noch anderer) Werke. Die
Richtigkeit der Ergebnisse zweier Analysen wird von W. bestritten. Eine Ent-
gegnung wäre überflüssig, wenn es nicht möglich wäre, mit Gründen zu einer
Entscheidung zu kommen. Ich glaube im folgenden zeigen zu können, daß die
Entscheidung eindeutig ausfällt.
a) San Marcello. Die Richtigkeit der Behauptung, die Fassade von San Mar-
cello sei „die Edition kursierender Gedanken Berninis", wird von W. bestritten.
Außerdem hält er die Aussage für leer, er glaubt, daß ihr keine konkrete Be-
obachtung zugrunde liegt. In Wirklichkeit formuliert sie ganz bestimmte Be-
obachtungen; sie ist das Resultat einer ausgeführten und ausführlichen ver-
gleichenden Strukturanalyse, die sie in knapper Formel zusammenfaßt1). Und
zwar:
Die Fassade von San Marcello ist die spätbarocke Umformung der hoch-
barocken Fassade von San Vincenzo ed Anastasio des jüngeren Martino Lunghi
(datiert 1650)2). Es ist bezeichnend, daß weder C. noch W. das bemerkt haben.
Das ist eine schlechte Legitimation für einen Kritiker der „zweiten" Kunst-
wissenschaft. Denn das Folgende wird klarmachen, daß derjenige von San
Marcello so gut wie nichts verstanden haben kann, der nicht imstande ist, diesen
Zusammenhang zu bemerken.
Um den genetischen Zusammenhang zu sehen, muß man zunächst die drei eng
9 Es muß mir erlaubt sein, der von W. anerkannten Beschreibung C.s meine Beschreibung
entgegenzustellen, nicht, wie W. es möchte, ihr verkürzt formuliertes Ergebnis.
2) Eine fürs Gröbste genügende Fotografie bei Brinckmann, Handbuch der Kw., Abb. 117.-
Aufriß und Grundriß in großem Maßstab bei Domenico Rossi, Studio, III, Tafel 39 und 40.
146