ZUR GESCHICHTE DES ARCHITEKTENBERUFS
(Anläßlich MARTIN S. BRIGGS: The Architect in history, Oxford 1927.)
I.
Die Bereicherung und Vertiefung, welche die Kunstwissenschaft in den letzten
Jahrzehnten nach der formgeschichtlichen wie nach der geistesgeschichtlichen
Seite hin erfahren hat, brachte nur einen schwerwiegenden Nachteil mit sich:
Die von der Kunsthistoriographie des 19. Jahrhunderts gepflegten Grenzgebiete
nach der Gesellschaftsgeschichte hin blieben wenig bearbeitet liegen. Aus all
diesen Gebieten, deren Durchforschung so fruchtbare Ergebnisse auch für das
Verständnis form- und geistesgeschichtlicher Probleme zeitigen würde, entstan-
den nur wenige Untersuchungen, etwa die Geschichte der Kunstkritik von
A. Dresdner, die Studien über den Kunstgeschmack im holländischen Barock von
Floerke und von Martin, die Dissertation über Künstler und Werkstatt in der
Spätgotik von Huth, die Beobachtungen zur Künstler-Ausbildung in Meders
klassischem Werk über die Handzeichnung und vor allem die verschiedenen Ar-
beiten Julius von Schlossers aus der Geschichte des Sammelwesens. Aber jede
zusammenfassende Geschichte des Kunstsammelns (mit den Anhängen über Fäl-
schung und Expertise), der Kunstausstellung, des Kunstunterrichts, des Kunst-
handels fehlt bis zum heutigen Tage, — und zwar nicht nur in der deutschen
Wissenschaft. Allerdings ist der Mangel an Interesse für kunstsoziologische Pro-
bleme bei uns ärger als in Frankreich und England, wo man dafür bekanntlich
unsere methodologischen und stilgeschichtlichen Fragestellungen so gut wie gar
nicht kennt.
Diese Sachlage gibt die Begründung dafür, daß für ein nach so vielen Seiten
aufschlußreiches Gebiet wie die Geschichte des Architektenberufs die einzigen
vorhandenen Darstellungen englisch und französisch sind. Das hier zur Anzeige
stehende Werk erschien 1927, ein französisches Buch mit einem ähnlichen Titel
schon ' früher. Aber die Arbeit des Rechtsanwaltes Geo Minvielle: Histoire et
Condition juridique de la Profession de l'Architecte (Bordeaux 1923) ist dem eng-
lischen Autor unbekannt geblieben, wie sie leider auch dem Referenten noch nicht
zugänglich war. Wie er hört, soll sie etwa 50 Seiten über die Geschichte des Be-
rufes und etwa 300 über die juristische Stellung von Architekt und Unternehmer
enthalten1).
Was nun das Werk von Briggs angeht, so war sein Verfasser zur Bewältigung
seiner Aufgabe dadurch besonders geeignet, daß er unmittelbar vorher eine
Geschichte des Bauhandwerker-Standes2) geschrieben hatte und daß er selbst
Architekt ist. Denn in England hat die Kunstwissenschaft ganz allgemein das
Stadium der „Architekturgeschichte durch den Architekten" erst seit ganz
kurzem überwunden, was ja dem vom deutschen so völlig verschiedenen Verhältnis
der englischen Baukunst des 20. Jahrhunderts zum Historismus des 19. ent-
, Wolfgang Stechow hatte die Freundlichkeit, das Buch in Paris einzusehen.
2) A short History of the Building Crafts, Oxford 1925.
97
(Anläßlich MARTIN S. BRIGGS: The Architect in history, Oxford 1927.)
I.
Die Bereicherung und Vertiefung, welche die Kunstwissenschaft in den letzten
Jahrzehnten nach der formgeschichtlichen wie nach der geistesgeschichtlichen
Seite hin erfahren hat, brachte nur einen schwerwiegenden Nachteil mit sich:
Die von der Kunsthistoriographie des 19. Jahrhunderts gepflegten Grenzgebiete
nach der Gesellschaftsgeschichte hin blieben wenig bearbeitet liegen. Aus all
diesen Gebieten, deren Durchforschung so fruchtbare Ergebnisse auch für das
Verständnis form- und geistesgeschichtlicher Probleme zeitigen würde, entstan-
den nur wenige Untersuchungen, etwa die Geschichte der Kunstkritik von
A. Dresdner, die Studien über den Kunstgeschmack im holländischen Barock von
Floerke und von Martin, die Dissertation über Künstler und Werkstatt in der
Spätgotik von Huth, die Beobachtungen zur Künstler-Ausbildung in Meders
klassischem Werk über die Handzeichnung und vor allem die verschiedenen Ar-
beiten Julius von Schlossers aus der Geschichte des Sammelwesens. Aber jede
zusammenfassende Geschichte des Kunstsammelns (mit den Anhängen über Fäl-
schung und Expertise), der Kunstausstellung, des Kunstunterrichts, des Kunst-
handels fehlt bis zum heutigen Tage, — und zwar nicht nur in der deutschen
Wissenschaft. Allerdings ist der Mangel an Interesse für kunstsoziologische Pro-
bleme bei uns ärger als in Frankreich und England, wo man dafür bekanntlich
unsere methodologischen und stilgeschichtlichen Fragestellungen so gut wie gar
nicht kennt.
Diese Sachlage gibt die Begründung dafür, daß für ein nach so vielen Seiten
aufschlußreiches Gebiet wie die Geschichte des Architektenberufs die einzigen
vorhandenen Darstellungen englisch und französisch sind. Das hier zur Anzeige
stehende Werk erschien 1927, ein französisches Buch mit einem ähnlichen Titel
schon ' früher. Aber die Arbeit des Rechtsanwaltes Geo Minvielle: Histoire et
Condition juridique de la Profession de l'Architecte (Bordeaux 1923) ist dem eng-
lischen Autor unbekannt geblieben, wie sie leider auch dem Referenten noch nicht
zugänglich war. Wie er hört, soll sie etwa 50 Seiten über die Geschichte des Be-
rufes und etwa 300 über die juristische Stellung von Architekt und Unternehmer
enthalten1).
Was nun das Werk von Briggs angeht, so war sein Verfasser zur Bewältigung
seiner Aufgabe dadurch besonders geeignet, daß er unmittelbar vorher eine
Geschichte des Bauhandwerker-Standes2) geschrieben hatte und daß er selbst
Architekt ist. Denn in England hat die Kunstwissenschaft ganz allgemein das
Stadium der „Architekturgeschichte durch den Architekten" erst seit ganz
kurzem überwunden, was ja dem vom deutschen so völlig verschiedenen Verhältnis
der englischen Baukunst des 20. Jahrhunderts zum Historismus des 19. ent-
, Wolfgang Stechow hatte die Freundlichkeit, das Buch in Paris einzusehen.
2) A short History of the Building Crafts, Oxford 1925.
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