nicht untereinander einem Raumkontinuum einordnet. „Die Linienperspektive
umfaßt niemals alle Gegenstände im Bildraum von einem einheitlichen Augen-
punkte aus, die Reflexe gehen niemals von einer einheitlichen Licht- und Farben-
quelle auf alle Gegenstände über." Daß solche Erscheinungen mangelnder
Raumeinheit nicht einfach negativ von einer bestimmten Norm aus zu bewerten
sind als unvollkommene Beherrschung der in Frage kommenden Darstellungs-
mittel, sondern daß hier bestimmte stilistische Züge vorliegen, die in Zusammen-
hang mit den künstlerischen Grundanschauungen der behandelten Epoche zu
bringen sind: diese Position mußte von Riegl erst errungen werden. Für die
Spätantike wurde sie mit folgenden, für die kunstgeschichtliche Betrachtungs-
weise revolutionären Sätzen gegeben: „Selbst wenn sie die Gesetze der Linien-
perspektive, wie sie die neuere Mathematik festgestellt hat, genau gekannt
hätten, würden sie keinen Gebrauch davon gemacht haben ... Die antiken
Künstler konnten die perspektivische Raumeinheit nicht wollen, denn sie hätte
ihnen keine künstlerische Einheit geboten."
Die vorstehenden Bemerkungen sollen lediglich hindeuten, daß innerhalb der
rein formengeschichtlichen Betrachtung die Befreiung von normativer Ästhetik
und normativen Stilbegriffen einen entscheidenden Gewinn brachte und daß
eine Analyse von der Basis der Rieglschen Begriffs bildung her anschauliche
Qualitäten zu fassen vermag, die anderen Theorien entgehen.
Mit diesen Beispielen für die faktische Leistung der Rieglschen Begriffswelt
ist indessen die Frage nach ihrer gesamten Reichweite für die gegenwärtige
Kunstgeschichtsschreibung noch nicht beantwortet. Es ist die Frage, die Hans
Sedlmayr in seiner Einleitung zu dem vorliegenden Band aufwirft und mit dem
Nachweis der „inneren Aktualität" der Ideen Riegls beantwortet. Sedlmayr hat
die Möglichkeiten, die sich aus der Rieglschen Position ergaben, sehr lebendig
und treffend charakterisiert und betont mit Recht, das Gebäude der Ideen Riegls
sei sehr viel umfangreicher als es bei oberflächlicher Betrachtung erscheine. In-
dessen wird man sagen müssen, daß die Aktualität Riegls weniger in der Möglich-
keit, sich in dem Gebäude der von ihm so genial entfalteten Begriffswelt ein-
zurichten, besteht, als in dem eminent heuristischen Wert, den diese für die
Methodenbildung besitzt. Neuerdings ist von archäologischer Seite die Aktuali-
tät Riegls — wenigstens in einem Punkte - scharf bestritten worden. Guido
Kaschnitz weist in seiner an ausgezeichneten Beobachtungen reichen Besprechung
der Neuauflage von Riegls Spätrömischer Kunstindustrie auf den zeitlich be-
dingten Wert der Rieglschen Begriffe in ihrer Anwendung auf die Kunstgeschichte
hin, ohne im übrigen die Bedeutung der Rieglschen Leistung zu verkennen
(Gnomon V, 195 ff). Es sei nicht möglich, mit Hilfe der Rieglschen Begriffe „das
wirkliche Wesen der künstlerischen Entwicklung von der klassischen Zeit zur
Spätantike zu erfassen", und im besonderen wird „auf den fragwürdigen Wert
von Begriffspaaren, die immer erst von außen an die Kunstentwicklung heran-
gebracht werden müssen" verwiesen. Wieweit diese Einwürfe, die bei Kaschnitz
näher begründet werden und die aus einer neuen Einsicht in den historischen Ab-
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umfaßt niemals alle Gegenstände im Bildraum von einem einheitlichen Augen-
punkte aus, die Reflexe gehen niemals von einer einheitlichen Licht- und Farben-
quelle auf alle Gegenstände über." Daß solche Erscheinungen mangelnder
Raumeinheit nicht einfach negativ von einer bestimmten Norm aus zu bewerten
sind als unvollkommene Beherrschung der in Frage kommenden Darstellungs-
mittel, sondern daß hier bestimmte stilistische Züge vorliegen, die in Zusammen-
hang mit den künstlerischen Grundanschauungen der behandelten Epoche zu
bringen sind: diese Position mußte von Riegl erst errungen werden. Für die
Spätantike wurde sie mit folgenden, für die kunstgeschichtliche Betrachtungs-
weise revolutionären Sätzen gegeben: „Selbst wenn sie die Gesetze der Linien-
perspektive, wie sie die neuere Mathematik festgestellt hat, genau gekannt
hätten, würden sie keinen Gebrauch davon gemacht haben ... Die antiken
Künstler konnten die perspektivische Raumeinheit nicht wollen, denn sie hätte
ihnen keine künstlerische Einheit geboten."
Die vorstehenden Bemerkungen sollen lediglich hindeuten, daß innerhalb der
rein formengeschichtlichen Betrachtung die Befreiung von normativer Ästhetik
und normativen Stilbegriffen einen entscheidenden Gewinn brachte und daß
eine Analyse von der Basis der Rieglschen Begriffs bildung her anschauliche
Qualitäten zu fassen vermag, die anderen Theorien entgehen.
Mit diesen Beispielen für die faktische Leistung der Rieglschen Begriffswelt
ist indessen die Frage nach ihrer gesamten Reichweite für die gegenwärtige
Kunstgeschichtsschreibung noch nicht beantwortet. Es ist die Frage, die Hans
Sedlmayr in seiner Einleitung zu dem vorliegenden Band aufwirft und mit dem
Nachweis der „inneren Aktualität" der Ideen Riegls beantwortet. Sedlmayr hat
die Möglichkeiten, die sich aus der Rieglschen Position ergaben, sehr lebendig
und treffend charakterisiert und betont mit Recht, das Gebäude der Ideen Riegls
sei sehr viel umfangreicher als es bei oberflächlicher Betrachtung erscheine. In-
dessen wird man sagen müssen, daß die Aktualität Riegls weniger in der Möglich-
keit, sich in dem Gebäude der von ihm so genial entfalteten Begriffswelt ein-
zurichten, besteht, als in dem eminent heuristischen Wert, den diese für die
Methodenbildung besitzt. Neuerdings ist von archäologischer Seite die Aktuali-
tät Riegls — wenigstens in einem Punkte - scharf bestritten worden. Guido
Kaschnitz weist in seiner an ausgezeichneten Beobachtungen reichen Besprechung
der Neuauflage von Riegls Spätrömischer Kunstindustrie auf den zeitlich be-
dingten Wert der Rieglschen Begriffe in ihrer Anwendung auf die Kunstgeschichte
hin, ohne im übrigen die Bedeutung der Rieglschen Leistung zu verkennen
(Gnomon V, 195 ff). Es sei nicht möglich, mit Hilfe der Rieglschen Begriffe „das
wirkliche Wesen der künstlerischen Entwicklung von der klassischen Zeit zur
Spätantike zu erfassen", und im besonderen wird „auf den fragwürdigen Wert
von Begriffspaaren, die immer erst von außen an die Kunstentwicklung heran-
gebracht werden müssen" verwiesen. Wieweit diese Einwürfe, die bei Kaschnitz
näher begründet werden und die aus einer neuen Einsicht in den historischen Ab-
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