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Kritische?
Anzeiger kur Literatur und Kunkt.

Beiblatt zu 113 der Zeitschrift:
„Das Rheinland wie es ernst und heiter ist."

Sonntag, AO. September

1840.

13.

Kunst.
Neber Analogien im Gebiete des Schönen.
Ein Entwurf von vr. Hartenfels.
Die Musik versetzt den Geist in eine unsichtbare/ unäußer-
liche Sphärenwelt von Gefühlen, welchen durch das Lied eine
Begebenheit, ein sichtbares, bestimmtes Verhältniß vorgeschrieben
wird. Der Sänger, welcher durch den Sinn des Gehörs
unsere Thcilnahme für einen Gegenstand in Anspruch nimmt,
reizt zugleich den Sinn des Gesichts, indem dieses mit dem
geistigen Auge der Phantasie nach den äußeren Umständen der
in Klang und Ton versetzten Handlung blickt. Wir versetzen
uns in die Gemüthsbewegungen der Handelnden; wir fühlen
ihre Freuden, ihre Sehnsucht und ihre Schmerzen. Unser Blick
schweift in der Spannung der Gefühle umher. Wir suchen sie
in unserer angeregten Empfindung zu erblicken; unsere Ein-
bildungskraft schafft uns Gestalten, Pantomimen und Bewe-
gungen, welche die herrschenden Empfindungen und Situationen
aussprechen. Und doch vermißt man beim Liede eine dem
Inhalte entsprechende Zeichnung, auf welcher das Auge ruhen
kann, wenn das Gefühl anfängt, sich in die Lage der Handeln-
den zu versetzen. Es ist zu verwundern, daß man besonders
beim Unterrichte der Jugend, deren Sinn so leicht zu Eindrücken
geneigt ist, nicht darauf gerathen ist, durch Anschauung gedie-
gener Zeichnungen der Phantasie eine edle Richtung zu geben.
Sicher würde dadurch das Vorstellungsvermögen geläutert und
eine edle, künstlerische Grundlage bekommen.
In meinen jüngst herausgegcbenen Liedern, welche mit den
Inhalt vergegenwärtigenden Zeichnungen mehrerer Künstler der
Düsseldorfer Maler-Akademie ausgestattet waren, habe ich diese
Aufgabe zu lösen gesucht. Jedoch lag mir nicht blos der an-
gegebene zufällige Vortheil einer Zusammenwirkung mehrerer
Künste vor. Vielmehr sollte es auf eine innige Verschmelzung
der Künste unter sich hindeuten, und zwar durch Harmonie und
Symmetrie, welche ebenso in den Schöpfungen der Dichtkunst,
der Musik, Malerei, wie auch in jeder andern Kunst, Gemüth
und Geist dem Irdischen entheben und auf rauschendem Fittig
zum Reiche des Schönen und Idealen tragen!
Aus ihnen treten Gestalten, Formen und Farben hervor;
die Poesie übt durch sie ihre begeisternde Kraft, und die Saiten
stimmen sich durch sie zu wundervollen Tönen. Diese Vereini-
gung der Künste in ihnen scheint mehr aus einer natürlichen
Nothwendigkeit zu entspringen, als daß man erst durch gesuchte
Ableitungen auf sie hingewiesen würde.
Die Quelle jeder reinen Kunst entspringt aus dem Ge-
müthe des Menschen, welcher die Sympathie für das eigentlich
wahre Schöne aus dem Chaos der Schöpfung mit herüber-
getragen hat und sie leider nur zu oft einer Welt der Ver-
witterung und Vcrstumpfung gegenübersetzen muß. Wohl mag
dieser ächte Schönheitssinn beim Menschen aus der Ahnung
eines Ueberirdischen hervorgegangen sein, welche der Mensch in

Formen, Farben oder Töne einzukleiden sucht, um sie seinem
hohen Ideale näher zu bringen. Daher dienen die Künste auch
den heiligsten Zwecken und haben besonders in religiösen Schöpfun-
gen die edelsten Früchte getragen. Diese Quelle ist eine all-
gemeine und gleiche für die verwandten Ströme, welche aus
ihr cmporsprudeln: die Musik ist das rauschende Getöse ihrer
Wellen; aus ihrem frischen Farbenglanze ergießen sich die Töne
des Malers; und die majestätischen Wassersäulen dieser näm-
lichen Quelle sind jene ersten Säulen, welche die künstlerische
Hand des Menschen bald in massive von Stein nachgebil-
det hat.
Diese gemeinschaftliche Quelle aller Künste muß diese auch
in ihrer unwillkürlichen Trennung eben so unwillkürlich wieder
mit einander verschmelzen können. Das rauschende Wasser fließt
in das farbenglänzende, welches zur Säule emporsteigt, die sich
auf die glänzende Welle zurückwirft, deren Rauschen sich wieder
in die bildende Säule verliert. In ihrem heterogenen Ein-
drücke werden demnach die Farben zu Tönen, und die schweben-
den Töne tauchen sich in die erglühten Farben. Die Einen
theilen mit der Andern ihre innere, unsichtbare Individualität,
welche nur in der Darstellung nach Außen eine andere Gestalt
annimmt, in ihren Causal-Momenten indessen gleich ist. Mit
Recht sagt deshalb Göthe: „ Auch die Farben haben ihre
Musik!" und Friedrich von Schlegel: „Architektur ist gefrorne
Musik!"
Wenn das Wasser gefroren ist, so bildet es Gestalten, in
welchen das Auge dasselbe Gesetz des Schönen findet, welches
in seiner Bewegung die Töne, Farben und Formen darbieten.
Die Künste sind demnach versetzte Elemente. Derselbe Gegen-
stand eignet sich zu einem Gedichte, zu einem Gemälde, zu
einer Tonsetzung oder zu einer plastischen und architektonischen
Darstellung. Der Maler und Bildhauer ergreift dieselben Mo-
mente, welche der Dichter und Musiker bezeichnen muß, und
ihre Darstellung muß dasselbe Gefühl in der Seele des Be-
schauers erwecken, was die Töne des Dichters und Komponisten
dem Herzen eingibt. Die Regeln des Gleichmaaßes, Charak-
teristischen und Harmonischen, welche die Grundrisse der Zeich-
nung beherrschen, walten auch in den Erzeugnissen des Dichters
und Tonsetzers, und der Architekt würde Unsinniges hervor-
bringen, wenn er anders als mit gleichmäßiger Uebereinstimmung
der einzelnen Theile, sowohl gegen sich selbst als gegen das
Ganze, seine Werke bilden wollte.
Wenn nun zwar jede Kunst nur den ihr ergebenen Sinn
in Anspruch nimmt, z. B. die Musik das Ohr, die Malerei
das Auge, so daß den andern Sinnen durch Befriedigung des
Einen Jndifferentismns auferlegt wird, so wird hierdurch der
Harmonie, durch welche in der Kunst Alles so verbunden ist,
daß es zum Schönen führt, nur ein passiver Dienst erwiesen,
und sie ließe sich eher dadurch erheben, wenn der unbeschäftigte
Sinn unerwartet von den Schöpfungen umgeben würde, durch
welche die andern in Thätigkeit gesetzt wurden. Dadurch würde
jene Harmonie in ihrem allgemeinen Prinzip sich immer mehr
befestigen, und die Gemeinschaft, welche zwischen den Kunst-
 
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