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Kritischer
Anzeiger kirr Literatur rind Arrnlt.

Beiblatt zu 110 der Zeitschrift:

„Das Rheinland wie es ernst und heiter ist."

is.

Sonntag, 13. September

1840.


Literatur.
WilhelmWaiblinger's gesammelte Werke, mit des
Dichters Leben von H. v. Canitz. (Mit Waib-
lingens Bildniß.) Hamburg, Georg Grubel,
1839-40. (1—gter Band. Preis: 5 Rchlr. 6 gGr.
oder 9 fl. 27 kr.)
Der 1830 zu Rom im sechsundzwanzigsten Jahre seines
Alters verstorbene Dichter, dessen Werke uns hier gesammelt
vorliegen, nimmt eine eigene Stellung in unserer Literatur ein.
Er scheint bald ein „wärmerer Platen", bald ein „gemäßigter
Byron" und bald wieder ein „deutscher Horaz (aber ohne
Mäcen) in Rom" zu sein. Daß Waiblinger ohne einen andern
Mäcen als den Musengott war, daß er nur die Muse zur
Mäcenatin hatte, — dies giebt seinem Dichterleben ein tragisches
Relief, das seinen Ramen besser der Nachwelt verkündet, als
ein Stein, der sich auf seinem Grabhügel bei der Pyramide
des Cestius erhübe. Die Manifestationen dieses reich-poetischen
Talentes würden vielleicht weniger verschiedenartig, aber auch
weniger glänzend ausgefallen sein, wenn hohes Glück ihn nach
einer Krone hätte greifen lassen, bei der Apollo zürnend seine
Locken geschüttelt hätte. Wenn wir nämlich eine Aeußerung
Waiblinger's in einem seiner wundervollsten Gedichte recht ver-
stehen, so war sein höchstes Sehnen, Dichter der Hohenstaufen
zu werden. In ihm, der ein Ghibelline von Namens
wegen war, mochte sich der Gedanke firirt haben, daß es
seine eigentliche und einzige Mission sei, der Tragöde der Waib-
linger zu werden.
„Und wo der Waiblinger in freiecn Lagen
Gethront, denkt ost ein Dichter d'ran, den Namen
Der Großen einst zu feiern, die ihn tragen."
(Lieder aus Capri.)
Allerdings eine erhaben-poetische Mission, die er aber nicht
angetreten, und — zu seinem Glück als Dichter! — nicht an-
getreten hat. Wohl mochte er vielleicht sein Leben in Italien
nur als ein Vorstudium zu dem „einzigen Werke", als eine
Lehrzeit an Ort und Stelle der Geschichte betrachten; aber die
kleineren Früchte, die er davon geerntet und womit er die Welt
beschenkt hat, sind glänzender und für seinen Namen bedeut-
samer ausgefallen, als je die „größere Frucht" im Sinne
Raumer-Raupach's ausgefallen sein würde. Waiblingers „Anna
Bullen" beweist als die einzige Rachlassenschaft seiner drama-
tischen Feder, daß das Drama der einzige gefährliche Riff
für das Admiralschiff seines Dichterruhms hätte werden können.
Waiblinger und Platen sind die beiden einzigen deutschen
Dichter, welche es verstanden, antike Versmessungen unserm an
den Reimklang gewöhnten Ohre nicht blos erträglich, -—- nein,
sogar möglichst annehmlich zu machen. In noch höherem Grade
als Platen ist dies Waiblinger geglückt, welcher, wenn er antik
einherschreitet, immer griechisch-melodisch ist, während Platen —
der große klassische Former — mehr an die hart und stolz
tönende römische Lapidarsprache erinnert.

Wie sehr Waiblinger die Formen des Alterthums dem deut-
schen Ohre zusagend und melodisch zu machen wußte, mag ein
Stück aus der unvergleichlichen Ode „An die Berge von
Latium" darthun:
„Und du Gandolfo, Grotta ferrala du.
Mit deines Klosters sinniger Einsamkeit,
Du Adlerhorst, am Felsen hängend,
Rocca di Papa mit deinen Wundern,
Ihr alle frascatanische Gärten, wo
Das Äug' aus überschwellender Ueppigkeit,
Lus Tusculums erhab'nen Trümmern
Trunken hinüber zum sonn'gen Rom blickt,
Das, einer Milchstraß' ähnlich, die farbige
Campagna hin sich lagert voll Majestät,
So groß und ewig wie das Meer, das
D'rübec die schattige Erd' umarmet." —
Von Waiblinger's übrigen, der Poesie im engern Sinne
angehörenden Produktionen sind es hauptsächlich seine „Er-
zählungen aus dem heutigen Griechenland", womit
er seinen Namen für alle Zukunft sicher stellte und welche ihm
sogar das Prädikat eines „deutschen Byron" verschafften. Es
sind die schönsten Novellen, welche die deutsche Literatur in
Versen aufzuweisen hat. Sie sind — das dokumentirt jede
Zeile — ganz unabhängig von Byron entstanden, wenn auch
der Lord (höchst-poetischen Andenkens) mit seinem „Korsar",
mit „Lara" und dem „Giaur" kein unbekannter Vorgänger
für unfern Waiblinger war. Waiblinger's neugriechische Er-
zählungen könnte man füglich „der Liebe und des Hasses Kämpfe"
benennen, denn der rothe Faden, der sich hindurchzieht, ist der
blutig-rothe des großen Freiheitskampfes. Mit dem allgemeinen
Hasse zwischen Griechen und Türken kontrastiren die einzelnen
griechisch-türkischen Amouren. Der politische Haß kann nicht
glühender sein als die nichts nach Politik fragende Liebe. Hier
hat Waiblinger, wie nicht wieder, mit der ganzen Gluth seiner
Phantasie gedichtet.
Waiblinger hat uns auch ein nicht unbedeutendes Ver-
mächtnis novellistischer Prosa zurückgelassen. Namentlich sind es
seine „Briten in Rom" (ein meisterliches Charaktergemälde!)
und sein „Francesco Spina", welche ihn auch als novel-
listischen Prosaisten mit Auszeichnung nennen lassen.
Seine Mittheilungen über den Autor des „Hypcrion", Frie-
derich Hölderlin, geben einen höchst schätzenswerthen Bei-
trag zur Biographie und Charakteristik dieses unter den Ein-
flüssen des Wahnsinns schon eine lange Reihe von Jahren im
Hause eines menschenfreundlichen Tischlers zu Tübingen lebenden
Dichters. Dieser biographische Versuch aus Waiblinger's unter-
richteter und lichtvoller Feder erregte schon bei seinem ersten
Abdruck in dem „Zeitgenossen" eminentes Interesse. Wie lieb
Waiblinger seinen Hölderlin hatte und wie hoch er ihn schätzte,
mag daraus erhellen, daß er ein Seitenstück zum „Hyperion",
 
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