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Kritischer
Anzeiger kur Literatur und Ännkt.

Beiblatt zu 137 der Zeitschrift:
„Das Rheinland wie es ernst nnd heiter ist "

20. Sonntag, IS. November 1840.

Literatur.
Quadriga von vr. Ludolph Wienbarg. Al-
tona, bei Karl Aue. 1840.
Auch 8ub litulo:
Vermischte Schriften von vr. Ludolph Wien-
barg. Erster Band.
Diese Quadriga — ein Compler von vier verschiedenen
Abhandlungen eines Verfassers — ist eine der remarquablesten
Erscheinungen, welche das Jahr 1840 gebracht hat.
Die beiden politischen Abhandlungen („Geist der Norwegischen
Verfassung" und „Hannover und die Deutschen Doctrinaire")
sind zwar durch äußere Zeitereignisse veranlaßt, doch sind sie
nicht in der bestimmten Absicht geschrieben, in den Gang der
Dinge einzugreifen, unmittelbare Wirkungen zu veranlassen,
Ansichten und Entschlüsse der Zeitgenossen zu bestimmen. In
diesem Bezüge ist es von hohem Interesse, eine Art Glaubens-
bekenntniß von unserm Autor zu lesen, das er in einem viel-
sagenden Vorwort niedergelegt hat. „Zum Publi eisten und
Tribunen", sagt Wienbarg, „bin ich nicht geschaffen.
Könnte ich die Welt durch ein Wort nach meinem Geschmack
ändern, ich würde mich bedenken. Bei Allem, was ich schreibe,
überschwebt mich nur der Gedanke, dies ist kräftig, schön, im
lebendigen Sinn künstlerisch und dichterisch; dies häßlich, ideen-
los, feige, nichtig oder gleichgültig. Ungleich ferner steht mir
die Frage, was die Parthei dazu denkt, ob cs sich in die Ver-
hältnisse fügt, ob es unmittelbare Erfolge verspricht. Ich wünsche
wohl, daß die Idee Macht hätte, und male mir Zustände aus,
die sich von den unsrigen etwas entfernen; aber mit der größten
Absichtlosigkeit, denn alles Predigen und Ueberreden ist mir zu-
wider. In einer starken und handelnden Zeit würde es mein
Ehrgeiz sein, ihrer würdige Schöpfungen hervorzubringen. Dich-
ter, Künstler zu sein, dazu habe ich Anlage, weniger zum
Philosophen und Gelehrten, noch weniger zum Staatsmann
oder zum Demagogen. Im Politischen würde ich mir keinen
Namen erwerben. Unter Bürgern Bürger, würde ich mich
überglücklich schätzen, mein Talent in Freiheit auszuüben, und
auf den der Kunst geweihten Altären die Flamme des Schönen
zu unterhalten. Dies klingt wie Prahlerei. Ich habe nichts
geschaffen, was einem Kunstwerke ähnlich sieht. Ich kann ant-
worten, ihr habt nichts gethan, was eines Dichters und Künst-
lers würdig. Ja, eure Zustände sind nicht einmal derartig,
daß sich eine dichterische Sehnsucht nach dem Schönen und Großen
kund geben kann, ohne für ein Verbrechen zu gelten. Ich
spreche aus bitterster Erfahrung. Und seitdem datirt sich meine
tiefere Theilnahme an der Politik. Ich habe eingesehn, daß
es manche nächste und nothdürftigste Dinge giebt, die ein ge-
selliger Verein sich erst verschaffen muß, ehe er an die Pflege
des Schönen denken kann. Seitdem schätze ich den Liberalis-
mus, trotz seiner Prosa, seiner Einseitigkeit und Beschränktheit;
denn ich sehe, daß er eben das unerläßlich Nächste und Noth-
wendige will, wenn er anders nicht ganz und gar bei der edlen

Steuerbewilligung stehen bleibt und sich von den Rechten der
Persönlichkeit und der Gedankenfreiheit keine, oder allzuflaue,
oder zu partheiisch beschränkte Begriffe bildet. Ich halte ihn
für den natürlichen und einzig möglichen Uebergang des deut-
schen Philistrismus zum deutschen Bürgerthum. Seine Ausdauer
in lahmer Zeit bei vermehrten Widerständen ist so lobenswerth,
als seine Klugheit, mit kleinen Vortheilen vorlieb zu nehmen.
Es ist rührend, zu sehen, wie jedes günstige Ereigniß, auch
der Ferne, ein Lächeln des Muths und der Hoffnung in seiner
Miene aufblättert. Erfreulich auf der andern Seite, wie auch
ungünstige Ereignisse oft nur dazu beitragen, seinen Muth zu
beleben und seinen Wirkungskreis auszubreiten. Wem fallen
hier nicht die hannöverschen Angelegenheiten ein, und die erfolg-
reichen Bemühungen, wodurch einer gestürzten Verfassung mehr
Anhänger erweckt wurden, als sie jemals zählte? Wenn ich in
meiner Beleuchtung jenes Ereignisses mit einem gewissen Spott
über die ewigen nutzlosen Protestationen mich auslasse und wenig
Respekt vor einem hohlen Rechtsbegriffe an den Tag lege, un-
ter welchem Lichte mir das Recht der hannöverschen Verfassung
in der That erscheint, so geschieht dies nicht aus Verkennung
des anderweitigen moralisch politischen Erfolgs solcher Rechts-
protestationen, sondern mit Rücksicht auf die Sache selbst, die
ich nicht als Advokat oder Praktikant des Liberalismus, sondern
als Dilettant der Geschichte behandelt habe. Ich gehe allerdings
von liberalen Grundsätzen aus, wenn man etwa folgenden dazu
rechnet: Der Staat ist für Alle. Womit will man anders die
große Masse, die nicht zu den Bevorrechtigten des Talentes und
der Geburt gehört, entschädigen und über den kümmerlichen Kreis
des Erwerbes hinausheben, als durch die ideellen Beziehungen
zu einem gemeinsamen Ganzen, durch den Stolz, Bürger zu
sein. Welche andere hohe Schule giebt es, um Männer zu
bilden, Männer aus Krämern, Bauern, Gelehrten u. s. w.,
als die politische? In Einem können und sollen sich die Men-
schen gleich sein: in der Berechtigung zur Freiheit; in Einem
kann und soll von dem Priester, dem Künstler, dem Gelehrten,
dem großen Grundbesitzer, dem Millionair, dem Erben von
zwanzig Ahnen nicht unterschieden sein der Bruder, der dies
Alles nicht ist: in seinem bürgerlichen Rechte. Auch mag sich's
erweisen, daß ein tüchtiger Handwerker und Ackersmann rechts-
und gesetzeifriger ist, und einen verständig praktischeren Antheil
am Oeffentlichen nimmt, als der Gelehrte, der modern Gebil-
dete; wie man im Mittelalter, in Nordamerika, in den noch
einigermaßen freien Gemeinden Norddeutschlands, vor allem auch
in Norwegen sehen kann. Wer dies leugnet, ist ein Doc-
trinair, und die Doctrinaire sind die ärgsten Feinde des Ge-
meindewesens. Ich finde aber, daß man mit solchen Ansichten
dem gestürzten Hannöverschen Grundgesetze wenig
Geschmack abgewinnen kann. Sind jene Grundsätze in Nord-
deutschland seit 1789, 1813 und 1830 populairer, als man
glauben möchte, so begreift es sich, daß das doctrinaire Mach-
werk der hannöverschen Verfassung niemals populair werden,
und daher so leicht vernichtet werden konnte *). Dies der
*) So leicht? — krinlers vevil.
 
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