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Kritischer
Anzeiger kür Literatur und ÜunÜ.

Beiblatt zu 125 der Zeitschrift:
„Das Rheinland wie es ernst nnd heiter ist."

17. Sonntag, L8. October 1840.

Literatur.
Dre Liebhaberjagd. Novelle von Charles
de Bernard. — Der verliebte Löwe.
Novelle von Frödörik Souliö. Aus dem Fran-
zos. von Karl Ziegler. Lemgo, 1840. Meyer'sche
Hofbuchhandlung.
Erstere Novelle bietet allerdings einige poetische Parthieen
dar; nur find die lauraseligen Momente so sehr gehäuft, daß
das Ganze eher von einem sentimentalen „deuo gnl rit et
Zean gui pleure" deutscher Nation geschrieben sein könnte;
denn ein solches Gesicht ist darin so trefflich gezeichnet, daß wir
in dem Gezeichneten die Physiognomie des Zeichners selbst wie-
dererkennen. Wir lernten das Werthergeficht Herrn Bcrnards
vor einiger Zeit in Klein-Paris kennen, und somit zufällig das
Original zu seinen Portraits. Charles de Bernard hat
den einzigen Fehler, daß er als französischer Literat gar zu sehr
an Karl Bernhard erinnert. Wer ist Bernhard? — fragen
die Leser. Bernhard ist nichts mehr und nichts weniger als eine
Existenz. Jede Existenz hat recht, diese aber hat ganz recht,
wenn sie glaubt, auch in, von und mit der Novelle
eristiren zu müssen. Die Firma „Paris und Leipzig" ist noch
unvergessen. — Souliö's Piece: „Der verliebte Löwe" ist
die bessere, wenn auch nicht viel bessere Schwester der Bern-
hardschen. Das Beste am ganzen Tand ist die geistreiche De-
finition eines „lüon". Der größte Löwe der fashen Gesell-
schaft ist unstreitig Lord Byron im Jahre 1812 gewesen, und
eine zweite Edition des vietiommire du DamHsme wird
diesen Löwen, der mit Napoleon und Brummel in Einem
Jahre (1812!) zu Grunde ging, vor allen berücksichtigen müssen.
Das Papier ist schlecht genug. Schade um das schöne
Papier! F. F.

Drei Weihnachtspredigten. Von vr. E. L.
Th. Henke. Druck und Verlag von Vieweg in
Braunschweig. 1839.
Diese auf einen so berühmten Namen lautenden Kanzelvor-
träge sind sämmtlich in der Hauptkirche zu Wolfenbüttel
gehalten worden. Man wird bei dem Namen Henke an den
Autor eines vielgenannten und bekannten kirchengeschichtlichen Wer-
kes erinnert. Die vorliegenden drei Kanzelreden zeugen ebenfalls
vorthcilhaft für den Namen des protestantischen Theologen, dem
eine so klare, herzenswarme, und im besten und lautersten Sin-
ne — evangelische Sprache eigen, wie sie nicht eben häufig sich
anderwärts findet. Im Braunschweigischen scheint, nach diesem
Beispiel zu urtheilen, doch noch ein edler, nicht mystisch um-
nebelter,— fortschreitender Protestantismus vorhanden zu
sein, und trotz des, seine Arme so nah ausstreckenden preußi-
schen Separatistencorps, christlich-heiter seine Wurzeln zu schla-

gen. — Der Ertrag dieses sehr anständig gedruckten Heftchens
ist für die Klcinkinderschule zu Wolfenbüttel bestimmt. Auch
aufgeklärte Katholiken werden diese durchaus „rein christlich"
über das freudenreichste Fest der Christenheit sprechenden Reden
mit Achtung vor einem solchen Protestantismus, wie er sich hier
manifestirt, lesen — und vielleicht erbaulicher und geist- und
herzbefriedigendcr finden, als unlogische Litaneien mit Citationen
der Heiligen.
k. 8. — Die Leser des kritischen Anzeigers zum „Rhein-
land" dürften es auf den ersten Blick wunderbar finden, daß
hier plötzlich einmal Predigten zur Besprechung gelangen. Wir
hatten nun nicht eben Christliches, ja sogar außerordentlich Heid-
nisches — nämlich die Tragödie Ariadne von Friedrich
Osann — von derselben Verlagshandlung zur Kritik requirirt.
Ein wunderlicher Zufall spielte uns aber statt der kritisch zu
taufenden „Ariadne" einen mit dem klaren Wasser des Evan-
geliums den Kritiker selbst taufenden Prediger zu. Dies
lediglich für die Viewegssche Verlagshandlung,—
die so christlich resigniren lehrt, wenn es uns
heidnisch ums Herz ist. vixi! F. F.

Kunst.
Immermann über Musik.
Wenn sie mich für einen Feind der Musik halten (schreibt
Jmmermann an Michael Beer), so thun Sie mir bitter Un-
recht. Es gibt wohl nichts, was mich ost so von Grund
aus bewegt, erschüttert und beglückt hat, als grade sie. Ich
verstehe nichts von der Sache, aber ich bin ein musikalischer
Naturmensch. Doch will ich, daß Alles zu seiner Zeit und
an seinem Orte vorgenommen werde. Verdrängt die Musik
das Gespräch unter den Menschen, zerstört sie den Sinn für
die bescheidenere Wirkung der Poesie, so führt sie uns sanft
der Barbarei entgegen. Das Wort ist die unterscheidende
Gabe des Menschen; wer dieses Heiligthum verletzt, wer
dazu beiträgt, diesen höchsten und theuersten Schatz unsers
Geschlechtes in Mißkredit und Verachtung gerathen zu lassen,
der erscheint mir als ein böses und die eigentliche menschliche
Bildung vernichtendes Prinzip. Ich verstehe unsere Zeit
wohl in ihrer Neigung zu jener Kunst — wenn man kalt
ist, so sucht man sich zu erwärmen — und ich glaube deß-
halb, daß jene Sehnsucht nicht unbedingt zu verwerfen ist;
ich schätze sie vielmehr als den Moment einer Krisis, die
durch das Bestreben der Natur, sich zu helfen, hcrbeigeführt
ist; niemals aber wird das jetzige Charivari als ein selbst-
ständiger Culturmoment in der Geschichte dastehen. Es ist
ein Durchgangspunkt, und wir müssen abwarten, ob er zur
völligen Asthenie, oder zur Regeneration unserer Zustände
führen wird.
 
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