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Kritischer
Anzeiger für Literatur und RnnÜ.

Beiblatt zu 116 der Zeitschrift:
„Das Rheinland wie es ernst nnd heiter ist."

14. Sonntag, 27. September 1840.

Kun st.
Bemerkungen über antikes Costüm
auk -em Theater.
Schon seit Voltaire, der in seiner Semiramis zuerst die
glänzende Ausstattung der Oper, die Pracht des Costüms und
der Dekorationen in der Tragödie benutzte, ist vielfach darüber
gestritten worden, ob eine sich der Handlung strenge anpassende
Scenerie und historisch richtige Kleidung erforderlich sei, um
die Einbildungskraft der Zuschauer genügend anzuregen. Die-
jenigen, welche dies in Abrede stellten, beriefen sich auf die
Zeit, wo die Tragödien Shakespeare's zwischen nackten, noth-
dürftig mit einigen Teppichen zu einer Bühne eingerichteten
Wänden gespielt wurden und nichts desto weniger eine größere
Wirkung als heutzutage machten. Das Costüm und die De-
korationen, sagten sie, sei nur nebensächlich, und wenn auch
ein gewisser Grad von Vollendung für beide Wünschenswerth
sei, so müsse doch vorzugsweise das auf dem Theater Ge-
sprochene zur Illusion und zum Verständniß des Vorgcstellten
führen.
Wir wollen recht gerne zugestehen, daß diese Eiferer gegen
die Nothwendigkeit der Wahrheit des Plastischen bei Aufführung
von Dramen für die Zeit, auf welche sie sich beriefen, Recht
hatten. Denn damals war vielleicht nur Wenigen unter den
Zuschauern die Geschichte so geläufig, daß sie Anstand daran
nehmen konnten, einen Timon von Athen in der römischen
Toga, oder eine Klptemnestra im Reifrocke auf dem Theater
zu sehen. Wie konnte man sich auch darüber wundern, da
man in den andern Künsten ähnliche Anachronismen täglich vor
Augen hatte! Ließ nicht zu derselben Zeit Ludwig der Vier-
zehnte sich als Herkules mit einer Allonge-Perücke abbilden,
und malte nicht damals Vanloo sein Opfer der Jphigenia in
jener barocken, matten Manier, in welcher jeder Zoll ein
Zopf ist!
Und warum sollte man auch diese Sünden gegen die Wahr-
heit der Geschichte dem Schauspieler nicht verzeihen, da man
sie dem Dichter so bereitwillig nachsah, der seine griechischen
und römischen Charaktere in prahlerischen, hochtrabenden Re-
densarten, welche die Franzosen als klassisch ausschreien, die
damalige Hofsprache reden ließ? Ja, es konnte am Ende
dem Schauspieler nur nützlich sein, daß seine Kleidung zu
seinen Reden paßte, weil hierdurch doch wenigstens eine Einheit
— wie gerne möchten sie die Aristotelischen Drei nachweisen! —
in seine Darstellung gebracht wurde.
In unfern Tagen hat sich dies Alles geändert. Wie die
Zeiten vorbei sind, wo eine gläubige Menge sich unter einer
Maria in der Tracht einer Nürnberger Bürgersfran die Himmels-
königin denken konnte, so ward es auch mit der zunehmenden
Bildung der Zuschauer und dem Eifer, den die Dichkkr auf die
streng historische Durchführung ihrer Arbeiten verwenden, immer
mehr nothwendig, für das Plastische auf den Brettern Sorge

zu tragen, und eine Stufe erreicht, wo jede nur Halbweg
strenge Kritik eine Vorstellung nur dann gutheißen kann, wenn
der Schauspieler nicht nur seine Rolle deklamatorisch richtig
spricht, sondern sich auch zwischen paffenden Dekorationen und
in historisch richtiger Kleidung dem Publikum zeigt.
So nothwendig es nun hierdurch geworden ist, eine ge-
nügende Sorgfalt auf Coftüme und Dekorationen zu verwen-
den, so selten findet man, daß darin auch nur Erträgliches
geleistet wird. Um ein Beispiel anzuführen, so sieht man auf
den meisten Theatern den Sarastro der Zauberflöte in der-
selben Tracht wie den Orovist der Norma, und diesen eben so
gekleidet als den Pontifex der Vestalin und den Oberbramin
der Spohr'schen Jessonda. Ja, noch ärgere Verstöße gegen
richtiges Costüm gehören nichts weniger als zu den Selten-
heiten, und es dürfte nur wenige Theater geben, wo man es
unpassend findet, Puritaner in bunten, reichverzierten Kleidern,
und in der Griseldis die Ritter der Tafelrunde in der Tracht
spanischer Granden auftreten zu lassen.
Vor allen trifft dieser Vorwurf die Darstellung von Stücken,
deren Handlung dem Alterthum entnommen ist. In ihnen wird
oft mit einer solchen Unverschämtheit gegen die Geschichte ge-
sündigt, daß der gebildete Zuschauer eher eine fabelhafte, phan-
tastische Mummerei als Personen der römischen oder griechischen
Zeit zu sehen glaubt. Und gerade über die in dieser Epoche
üblichen Trachten kann sich der Schauspieler, wenn er es redlich
mit seiner Kunst meint, so bequem und ausreichend unterrichten.
Er braucht nur in einem der vielen Museen, wovon fast
jede bedeutende Stadt Deutschlands eines besitzt, sich die Sta-
tuen und Reliefs anzusehen, welche ein günstiges Schicksal
gegen die Rohheit schützte, kvomit die Barbaren die ewig
herrlichen und klassischen Werke der griechischen Zeit zerstörten.
An ihnen sollte er Schönheit der Stellungen und Behandlung
der Gewänder studiren, was seiner Kunst, die durch auf einander
folgende Bilder Handlungen darftellt, eben so Noth thut als
dem Maler und Bildhauer.
Wir wollen nur auf die Sammlung von Abgüssen nach
der Antike verweisen, welche in dem Städel'schen Institute des
benachbarten Frankfurt aufgestellt ist. Dort findet er unter
andern in den Panathenäen des Parthenon Abgüsse der von
Lord Elgin nach England gebrachten Fries-Verzierungen des
Minerva-Tempels zu Athen, in der Niobe, der Diana und dem
Apoll die schönsten Beispiele bekleideter griechischer Figuren, und
in dem Abguß der in Herkulanum gefundenen Statue des
Sophisten Aristides ein nachahmungswcrthes Muster, wie die
Alten die Toga umwarfen.
Doch wie kann man dieses Studium von den Meisten dieses
Standes verlangen, welche mit sich selbst schon mehr als zu-
frieden sind, wenn sie ihre Rolle nothdürftig auswendig ge-
lernt haben und sie, ohne anzustoßen, zwischen den Coulissen
herbcten können. Wir hoffen daher auch auf nichts weniger
als auf den Dank dieser Masse, wenn wir in dem Folgenden
einige Bemerkungen über die Trachten in den verschiedenen
Zeiten zusammenstellen, bei denen wir uns vorläufig an die
 
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