Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kritischer
Anzeiger für Literatur und Annü.
Beiblatt zu 119 der Zeitschrift:
„Das Rheinland wie es ernst nnd heiter ist."
IZ. Sonntag, 4. October 1840.

Literatur.
Preußische Nation al-Encyklopädie, oder
Wörterbuch alles Wissenswertsten aus dem Preußi-
schen Vaterlande re. I. und II. Band. Berlin,
Ferd. Nubach. 1838— 1840. (ä Bd. 2 Rtstlr.)
An dieses Unternehmen, das in seiner Art das erste ist,
hat die Kritik einen andern Maßstab zu legen, als an eine^
von den gewöhnlichen allgemeinen Reallericis. Die Idee einerH
„preußischen Nationalencpklopädie" mußte bei ihrer Ausführung
um so bedeutendere Schwierigkeiten haben, da noch kein Ana-
logon dazu vorhanden war; und es ist von der Kritik zu be-
herzigen , was die Redaction dieses Werkes in der Vorrede zum
2. Bande bemerkt: „Es gab nicht allein kein Werk, das ihr
zum Anhalt und kritischen Vergleich hätte dienen können, son-
dern es war auch überaus schwer, das benöthigte Material
herbeizuschaffen, da es großentheils aus unged ruckten Quellen
gewonnen werden mußte". Auch glauben wir der Redaction
gern aufs Wort, daß, so groß auch die Schwierigkeit der
Herbeischaffung des Materials war, doch die des Ordnens und
Bewältigens dieser Massen sich fast noch größer herausstellte.
Indem wir zur eigentlichen Kritik dieses den preußischen
Nationalsinn sehr ehrenden Unternehmens, so weit es vorlicgt,
schreiten: scheint es uns Pflicht, vorherzubemerken, daß wir
unsre Besprechung nur auf einzelne Artikel beschränken, da ein
Generalurtheil über das Werk sich erst nach Beendigung dessel-
ben gewinnen läßt. Wir nehmen die Artikel, wie sie uns ge-
rade zur Hand kommen.
Zum Artikel „Basse". — Dieser Bücherspeculant gehört
in keine preußische Nationalencyclopädie. Was hat die Bücher-
speculation mit der preußischen Nationalität zu schaffen. Sollen
Preußens Buchhändler an Basse ein Erempel nehmen, oder
etwa Bassisten werden?
Bei „Begas" durften auch dessen spätere Arbeiten, die
außer der Kirchenmalerei stehen, z. B. der K. Heinrich im
Schloßhofe zu Canossa, erwähnt werden.
In dem Artikel „Beethoven" hätte beiläufig auch der meister-
haften Gedächtnißrede gedacht werden sollen, die von Franz
Grillparzer (doch Grillparzer ist ja kein Preuße!) im Druck
eriftirt, die, so kurz sie ist, doch das Beste und Tiefste sagt,
was je über Beethoven gesagt und geschrieben worden ist.
Hofrath Schilling kann diesen Geist nicht begreifen; und Bettina
spricht auch über Beethoven wie ein Kind. Die Erinnerungen-
von Ferdinand Ries und Beethoven's Biographie von SchindlE
waren noch nicht erschienen, um dem Vers, besagten Artikels
dienen zu können.
Der Artikel „Abendmahl", den wir in seiner Prägnanz
beloben müssen, bringt ein merkwürdiges Curiosum bei, eine
Confistorialverfügung vom 20. Febr. 1696 , des Lautens:
„Nachdem wir in Erfahrung kommen, daß an einigen Orten
die Prediger bei Administrirung des heil. Abendmahls ein Röh-

richen, dadurch die Communicanten den Wein aus dem Kelche
saugen müssen, zu Ersparung des Weines gebrauchen, und
weilen einige Leute durch solche Röhrichen gar keinen Wein
bekommen: als befehlen wir hiermit, hinfüro nicht mehr durch
ein Röhrichen, sondern allein aus dem Kelch nach der Ein-
setzung unsers Herrn Jesu Christi, den Communicanten zu
reichen."
Im Artikel „Abiturienten" heißt es: „Der Abiturient
wird geprüft:
a) in Sprachen. In der deutschen, lateinischen, griechi-
schen und französischen Sprache (im Großherzogthum Posen
auch in der polnischen Sprache); in der hebräischen nur
dann, wenn er sich dem Studium der Theologie oder
Philologie widmen will."-
Es ist ganz in der Ordnung, wenn man vom Theologen
Hebräisch verlangt; aber sonderbar, sonderbar, sehr
sonderbar ist es, wenn das Hebräische, eine Sprache —
die nur noch ein rein theologisches und resp. jüdisches
Interesse haben kann, dem angehenden Philologen auf-
gedrungen wird, dem Moses und die Propheten nur Ekel er-
regen können, wenn er Hellenische Weisheit und Schönheit,
wenn er Roms Kraft und Majestät in den klassischen Reliquien
bewundern und bestaunen gelernt hat. Ein andrer Fall ist es,
wenn der Philolog zugleich oder nebenbei Theolog sein will;
dann hätten Preußen's Prüfungsbehörden ein Recht, auch He-
bräisch von der bezeichneten Art Philologen zu fordern. —
Wir wollten dies nicht unbesprochen lassen; unser Vorwurf gilt
natürlicherweise dem Gesetz, und nicht dem Artikelsverfasser,
welcher gewiß nur treu referirte, was in Preußen Forderung ist.
Der Artikel „Adel" rührt von einem sehr vernünftig
denkenden Manne her. Wenn ihn ein Adeliger geschrieben, so
ist er wirklich edel geschrieben. Interessant war uns, hier einen
schönen Ausspruch des Kurfürsten Joachim I. zu finden.
Joachims Spruch war: „Der Adel ist mein Haupt, der Bür-
ger mein Herz, und der Bauer der starke Fuß, der Haupt und
Herz und mich selbst trägt!"
Der Artikel „Baukunst" würde befriedigender sein, wenn
er weniger kurz wäre und etwas mehr über die neuere Periode
der Baukunst in Preußen sagte.
Wir müßten Bogen füllen, und thuen darum unfern Be-
merkungen Einhalt. Es gebräche uns nicht an Stoff, zu den
meisten Artikeln etwas hinzuzufügen. Doch Jeder, der aus
Erfahrung weiß, wie schwierig die Conception eines encyklopä-
dischen Werkes ist, und zumal die eines solchen, wofür noch
kein Vorläufer eristirte, wird — wenn er die vorliegenden
12 Lieferungen dieses preuß. Nationallerici einsieht — gestehen
müssen, daß darin höchst Anerkennenswerth es geleistet
ist. Und so empfehlend sei unsre Kritik geschlossen.
Leipzig, 18. Sept. F. F.
 
Annotationen