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könnte nur noch Lord Byron anführen, wenn man von so
schnellem und frühzeitigem Rufe spräche. Dickens ward 1812
zu Portsmouth geboren, in einer Hafenstadt, die durch den
Schmutz ihrer Gaffen wie durch die Rohheit ihrer Matrosen
berühmt ist. „Er ward gleich", könnte man sagen, „in einer
Schule geboren, in der er Studien hätte machen können."
Dickens war zwei Jahr alt, als sein Vater eine Anstellung
in London bekam, wo derselbe, nach einigem Wechsel, zuletzt
ftationirt blieb. Auster Charles hatte Vater Dickens noch
fünf Kinder; eins davon erhielt von dem kleinen Charles,
seiner struppigen Haare wegen, den Scherz - und Spitznamen
Boz, daher kam es denn auch, daß Charles diesen Scha-
bernacksnamen wählte, als er die kickwielr - paxers edirte,
und so in launiger Erinnerung an seine Kinderjahre den einsti-
gen Spottnamen zu Glanz und Ehren brachte. Vor allem war
es Sterne, der „Vater des brittischen Humors", den Dickens
in seiner Jugendzeit las und den er nachher mehrfach, beson-
ders im Styl, imitirte. Aber auch der tiefere Humor eines
Goldsmith blieb nicht ohne Einfluß auf ihn. Dickens
kann man mit Recht den „Schriftsteller seiner Erlebnisse", einen
„Autor voll Wissen durch Erfahrung" nennen; aber am tref-
fendsten sagt von ihm das Ouarterl^ - keview, „ex habe
ein vorzügliches Auge für das Ohr". Seine Le-
bensschicksale machten ihn mit dem eigentümlichen Leben der
untersten Classen innig vertraut und alle seine Werke bis auf
den Master Humphrey zeigen die Schärfe seiner
Beobachtung. F. F.

John Milton's dramatische Werke. Aus dem
Englischen von H . . . . h. Berlin, in Comm.
bei Aug. Hirschwald. 1840. (16 Gr.)
Comus und Simson Agonistes sind die beiden
einzigen dramatischen Produktionen, die wir von der Muse
Milton's besitzen. Der Ueb ersetz er (vermutlich H er w eg h)
glaubte, daß der Leser in diesen allerdings etwas ergrauten
Stücken Schönheiten entdecken werde, die wohl einige Mängel,
welche mehr dem Geschmack des Zeitalters, in dem sie entstan-
den, als dem Dichter zur Last gelegt werden müssen, leicht
und gern übersehen lassen dürften. Schäfergedichte (kastoralia)
waren an der Tagesordnung, als der Dichter des paraäiss
lost den „Comus" schrieb, nicht weniger auch pedantische Scho-
lastik, wovon sich Spuren im „Comus" wie im „Agonistes"
zeigen. Hingegen hat Milton die einfache und großartige
Poesie der Alten in seine Werke zn bringen gewußt, und diese
giebt ihnen ihren eigentümlichen Reiz und Werth. Anklänge
an Homer lassen sich fast in jeder Zeile des „Comus" ge-
wahren, nicht minder ist der „Simson Agonistes" vom Geiste
der alten Dramatiker, besonders des Euripides, durchdrun-
gen. Der Gedanke liegt sehr nahe, daß diese Dramatiea
Milton's vor dem Glanze seines unsterblichen Epos in Nacht
und Vergessenheit kamen. Das Festspiel „Comus" dichtete
Milton 1634. Es war das Erste, was von ihm ins Pu-
blikum kam. Die Tragödie „Simson Agonistes" erschien 1671,
nachdem sein „verlornes Paradies" bereits publicirt war. Diese
Tragödie ist Milton's letzte Arbeit. Sonach bieten diese
beiden Stücke ein eignes Interesse dadurch, daß sie das A und
das O der literarischen Laufbahn Milton's bilden. Wenn
man das trübe Geschick Milton's ins Auge faßt, nämlich
seine Blindheit, so bietet der „Agonistes" noch ein ganz speciel-
les Interesse, denn es mag uns ergreifen, wenn wir dort die
Stelle S. 64 lesen, wo der blinde Dichter aus so herber Er-
fahrung schrieb:
,,Das Licht, das erste GotteSwcrk, ist mir
Erloschen, alle seine Freuden sind
Für mich dahin! cs hätte doch zum Theil
Erleichtern mögen meinen Gram; ich bin
Jetzt mehr erniedrigt als das schlechteste
Geschöpf, so unter Menschen als Gewürm:
Das schlechteste, es steht noch über mir.
Es kriecht, doch sieht es re.-- F. F.

Oesterreichs sociale und P olitischeZustände.
Von P. E. Turnbull. Aus dem Englischen von
E. A. Moriarty. Leipzig, I. I. Weber. 1840.
Indem ich dies Werk zur Anzeige bringe, muß ich voraus-
schicken , daß es eigentlich nur der zweite Theil des Turn-
bull' schen Originalwerks über Oesterreich ist, der uns vorliegt.
Der Irländer Moriarty, dem wir die obige Hälfte der
Turn bull'schen Arbeit deutsch verdanken, glaubte, daß wegen
der Wichtigkeit der in diesem Theile abgehandelten Stoffe unser
begieriges Publikum, im Betracht der momentanen politischen
Zustände, keinen Verzug wünschen würde; weshalb er den ersten
Theil des Originals (Turnbull's Reisen durch Böhmen, Oester-
reich und Steyermark, Illyrien und die istrische Halbinsel ent-
haltend) nachträglich als ein recht gut für sich bestehendes Werk
deutsch publiciren wird.
Referent muß bekennen, daß dieses Buch eines Britten über
Oesterreich für deutsche Leser und insbesondere für österreichische
Beobachter von dem höchsten Interesse ist. Wer hätte gedacht,
daß das parlamentarische England einen Turnbull nach
Deutschland schickt, um Beweise von der politischen Unschuld
des nach dem Numerus seiner Bevölkerung Ersten der germa-
nischen Staaten einzuholen? — Können wir auch nicht alle
Ansichten des ehrenwerthen Turnbull über den österreichischen
Staatencompler und über dessen innere und äußere Politik adop-
tiren: so muß ihm doch nachgerühmt werden, daß er mit einer
gewissen Gründlichkeit die österreichischen Verhältnisse zu
erforschen bemüht war. Seine Ansichten sind meist von der Art,
daß sie den Status quo erträglich finden. Jedenfalls ist
Turnbull, der so gut Unterrichtete, nicht selten zu gut
unterrichtet worden. Bedenkt man aber, wie schwierig es ist,
in Oestreich selbst etwas Gründliches über Oesterreich zu erfah-
ren: so muß man erstaunen, daß ein brittischer Tourist einen
so Data-reichen Schatz von „liemarks" über das öffentliche
und Geheimleben dieses Staaten - Staates zu geben vermochte;
selbst wenn man annimmt, daß eine Masse von Angaben noch
ihren Erweis fordern.
Das inhaltreiche, und in gewissen Kapiteln sogar inhalt-
schwere Buch Mr. Turnbull's läßt kaum einen Punkt
unberührt, der zur Vollständigkeit eines Bildes von Oesterreichs
socialen und politischen Zuständen gehört. Die Feder, die es
verfaßt, hat mit der Decenz eines Diplomaten, mit der Ver-
ständigkeit eines praktischen Staatsmanns und mit der Gerech-
tigkeitsliebe jener bessern Klasse von Tories geschrieben, die den
Liberalismus nicht verdammen, wo er praktisch ist, auf die
aber doch das patriarchalische Princip mit einigem Zauber wirkt.
Ein zu vielem Bedenken Anlaß gebendes Kapitel ist das
über Erziehung. „Vom Fürsten bis zum Bauer herab wird
Jedem ein Kursus der Erziehung auf der Universität, dem
Gymnasium, in der Real- und Elementarschule dargeboten, zu
dem Alle freien Zutritt haben, und bei dem nur die
Bücher gebraucht und die Meinungen gelehrt
werden, die der Staat ausdrücklich sanktionirt
hat!" Ein denkwürdiges Kapitel ist auch das über den öster-
reichischen Coder und über die Moralitätsverhältniffe Oesterreichs.
Ueber öffentliche, geheime und Preß-Polizei sucht uns
Turnbull viel Mildes zu sagen. Trotz dem erzählt er als
preß - polizeiliche Historiette, daß in einem Werke (Manuskript),
das von Kämpfen handelte, die mit Oesterreich in gar keinem
Conner ständen, die Ausdrücke: „Heroische Streiter" zu „braven
Soldaten", und eine „Schaar jugendlicher Helden, die sich um
die glorreiche Standarte ihres Vaterlands drängte" zu „einer
großen Anzahl junger Leute, die sich freiwillig werben ließen" —
gemildert wurden. Zwar nennt Turnbull dieses Censur-
System argwöhnisch und verderblich, bedenkt aber die
große Lächerlichkeit nicht, wenn er dann von einer großen Nach-
sicht gegen Bücher und Zeitschriften spricht.
So viel über das Buch. Die Übersetzung ist in nicht
ganz gleichförmigem Deutsch gehalten, weßhalb wir noch nicht
Mehrere unter Einem übersetzend vermuthen wollen. Die Aus-
stattung — pomphaft.

Mainz; Druck und Verlag von Joh. Wirth.
 
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