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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 52.1901-1902

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Haupt, Albrecht: Gedankenspäne zur neuen Bewegung, [2]
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Gedankenspäne zur neuen Lewegung.

223.

Gotische Schnitzereien
aus Schloß Reifenstein.
Skizze von

6. Arnold, München.

Rheims entgegenzusetzen haben mit ihrer unüberseh-
baren Welt von Begleitern. Selbst ein Dürer ver-
mochte nicht in jener ungermanischen Kunstzeit seine
Kraft zu der Höhe zu entwickeln, die ihn: sonst hätte
beschieden sein können.

Aber es ist anders geworden; die Weltherrschaft
des Südens ist dahin; Griechen- und Römertum,
das alte weltbeherrschende Italien, Spanien und
Portugal verschwand, und selbst Frankreich sehen wir
an Größe und Bedeutung langsam, doch sicher da-
hinschwitiden. Die Welt wurde entdeckt utid erweitert
durch die Romanen; der ins Ungeheure sich aus-
dehnende Germanismus mit seiner unbesieglichen
Expansionskrast hat in wenigen Jahrzehnten den ver-
fügbaren Rest des Erdballs verschlungen und ihn enge
gemacht. Das alte Gewand knackt in allen Nähten,
und nachdem das alte kolonisierende Portugal, zuletzt
das riesige Kolonialreich der Spanier gänzlich ver-
nichtet ist, werden diese Länder durch die Nachkommen
der kolonisierenden Germanen in Amerika und Eng-
land langsam zertreten. Ob und wann Frankreich
Ähnliches bevorstehen mag, werden wir wohl noch
entschieden sehen. Ja selbst bis zum blutigen Bruder-
kampse sind die Germanen untereinander schon ge-
langt im Streit um das letzte Verfügbare des letzten
Erdteils. Was in den germanischen Völkerwande-
rungen schon einmal sich abspielte, die Niederwerfung
der gesamten südlichen Kulturländer durch die ger-
manischen Stämme, die schon damals ihre gewaltige
Expansionssähigkeit erwiesen, zeigt sich auss neue,
aber in anderen Bahnen und ohne daß die neuen

Germanen die schützende und kräf-
tigende Verbindung mit dem Ukutter-
lande aufgegeben haben und so Ge-
fahr laufen, draußen aufgesogen zu
werden.

Und darum ist es auch auf un-
serem Gebiete so anders als damals.
Nicht eine alte südliche Kunst und
Kultur droht uns wieder zu erdrücken
und unsere Eigenart zu nehmen, nein,
endlich einmal strebt auch der Germane
nach eigenem und persönlichem Aus-
druck seines Kunstgefühls, sucht er end-
lich aus den Höhen der Kunst sich für die Zukunft
einen eigenen Platz zu erobern, gleich hoch und
gleich erhaben, wie der jener längst dahingegangenen
großen Geister des Südens es war.

So faste ich die mächtig die Welt erschütternde
und erfassende Bewegung in der modernen Kunst
auf. freilich ist damit längst nicht gesagt, daß die
germanischen Nationen nun auch wirklich in der
Lage und fähig sein werden, jenes gewaltige Ziel zu
erreichen. Vielleicht gar genügt ihre Kraft nicht ent-
fernt dazu; vielleicht ist in der That dauernd die
größere Gabe des Talentes hier auf der Seite der
Südländer; aber fei dem, wie es wolle: es scheint,
als ob jetzt der Gennanisinus endlich auch in jenem
goldenen Reiche seine höchste Kraft daran setzen wird,
sein Eigenstes und Bestes in seiner eigenen Art zu
geben. Und das erfüllt mit freudiger Hoffnung.
Sprießt doch an allen Ecken und Enden Neues her-
vor, wo man es nicht gedacht, und anders, als man
es je gesehen; ganz einfach und natürlich, unter der
Hand des bescheidenen Handwerkers und des welt-
fremdesten Kunstidealisten. — Und läßt es sich etwa
leugnen, daß der ganze Anstoß der neuen Zeit und
Bewegung auf germanischem Boden erwuchs? Und
zwar vorwiegend bei den Engländern, dem Volke,
dem man von jeher die völligste Talentlosigkeit in
der bildenden Kunst vorgeworfen hatte! In lang-
samer, vieljähriger Arbeit hat es sich dort vorgebildet,
in der Stille ist es erwachsen, hat Blüten und Samen
getragen und seines Geistes Frucht gebracht. Seit
wenigen Jahren, etwa seit ^—5, hat dies Neue im
Sturme die Welt erobert, unterstützt von gleichartigen
Bestrebungen im fernen angelsächsischen Westen und
am niederdeutschen Ubeeresufer.

Heute, könuen wir sagen, ist die Bewegung in
den alten germanischen Ländern zu gewaltigem Leben
erwacht und erstarkt. Die Niederlande und Deutsch-
land, Dänemark und Schweden, wie die österreichischen
Länder, alle arbeiten und streben gemeinsam mit dem
Angelsachsentum vorwärts auf der neu geöffneten Straße.

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