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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 52.1901-1902

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Schulze, Otto: Jugendstil-Sünden
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https://doi.org/10.11588/diglit.7007#0220

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Jugendstil-Sünden.

344. Müllersches volksbad, München. Lrfrischungsraum. Deckenbemalung
von Fenk, München.

werden, wenn man schon nach
dem frischen ksemd gegriffen
hat, dieses aber fallen läßt
und wieder in das alte schlupft.

So hat's aber mancher ge-
trieben, und mancher hat sich
versündigt, nicht am Jugend-
stil direkt, aber am Stil der
Jugend.

Ich bedauere fast, daß die
Bezeichnung „Jugendstil" iticht
allgemeine Aufnahme gefun-
den hat und daß gerade die,
die diese Bezeichnung ange-
nommen, zu den großen und
größten Sündern an ihm
zählen. Nicht daß das Wort
„Jugendstil" an sich mir un-
sympathisch wäre, nein, mir
klingt es viel poetischer und
tiefer als das alltägliche und
geschraubte „moderner Stil"
oder „Die Uloderne". Denn
im großen Ganzen bleibt sich
die Jugend, auch die menschliche, immer gleich und
treu, heute noch wie früher. Nie hat man darin
auch was Ungewöhnliches gefunden, daß diese
Jugend immer etwas voreilig und damit voraus
war. Ulan denke an f8s3—an 1(870—(87 (:
hat da nicht das streitbare Alter schon mit (7,
(8 Jahren begonnen? Und heute ereifert sich mehr
als ein älterer perr, ich sage absichtlich nicht alter
perr, über die Jugend, die die Hahne hochhält
und um ein Gewand ringt für die Einkleidung
ihrer Ideale.

Ich wollte mich allgemeiner fassen, aber ich
kann es nicht, denn in den Spalten des Februar-
Heftes wird von gewiß berufener Seite nochmals die
Aünstlerkolonie - Ausstellung Darmstadts als Aus-
gangspunkt für eine kritische Beleuchtung der neuen
Bewegung genommen. Zweifelsohne war die Er-
regung über das sonderbare Ende und sein Ergebnis
eine etwas starke, aber die Ruhe nach dem Sturm
wird wohl auch manchem der Beteiligten die Be-
sinnung auf sich selbst wiedergeben und den nicht
ganz unberechtigten Darlegungen Professor ksaupts
manche gute Lehre zu entnehmen ermöglichen. Doch
keine Entmutigung, keine Erschlaffung, vor allem
kein Zurück erwachse daraus! Dann lieber nochmals
nach gehöriger Sammlung ein neuer wagemutiger
Vorsturm — echte, wahre Jugend unterliegt nie,
nur Überjugend und junge Greise versagen, wenn
Reizinittel fehlen.

Noch heute bin ich zu keinem klaren Bilde ge-
kommen aus den vielen Skizzen, die über die Darm-
städter Aünstlerkolonie-Ausstellung in die Welt ge-
stogen sind. An Zerrbildern hat es dagegen nicht
gefehlt, man hat sich stark ani Stil der Jugend ver-
sündigt. Vorurteilsfreie Bewunderer, naive Anhänger
und Verehrer des Neuen in der Aunst jeglicher Art
hat man verhetzt und damit der Jugend die Freude
genommen am kühnen Wagen und sorglosen Schaffen.

Und derweil schießt das Unkraut hervor und
überwuchert die junge Saat, die wohl eine frühreife,
aber iinmerhin eine wieder keimstarke und veredelte
Frucht verhieß. Die That schwindet, das Wort ist
geblieben und fördert das Unkraut, das in spekula-
tiven Habrikantenkreisen hervorschießt und „Jugend-
stil-Erzeugnisse" getauft wird.

Je öfter ich das Wort Jugendstil schreibe, je
lieber wird es mir, denn es umfaßt doch so eigent-
lich alles, was die Gemüter bewegt. Aber die das
Wort erfunden haben, verknüpften damit die niedrig-
sten Absichten, denn es tritt eigentlich nur überall da
auf, wo der Stil der von mir gekennzeichneten,
schaffensfrohen Jugend nicht ist. Teppiche, Tapeten,
Stickereien und Spitzen im Jugendstil; Niöbel, De-
korationen, Büsten, Figuren und Nippes im Jugend-
stil, und so geht es weiter in überhebender An-
preisung von — Diebstählen aus den echten großen
Arbeiten der Jugend. Und das Publikum hat es
in Dankbarkeit ausgenommen, denn nur eine kleine
 
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