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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 52.1901-1902

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Schulze, Otto: Jugendstil-Sünden
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https://doi.org/10.11588/diglit.7007#0221

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Jugendstil-Sünden.

Minderheit ist reif für die wahre Schönheit des
Neuen unserer Zeit und greift nach dem Tand und
Plunder, der wieder um wenige Mark in gleißendem
Schimmer als „Modesache" erwuchert wird. Ts ist
wie eine Krankheit, die ihre Zeit haben will, die
auch Gesunde packt und die dann zornig werden,
wenn sie Gesundes sehen. Me verschwindend klein
dagegen sind nun aber in Wirklichkeit die Sünden,
die der Krstil der Jugend gezeitigt hat. Meisteirs
sind es nur Vergehen, Übertretungen, schlimmsten-
falls übermütige Streiche.

Und was kann schließlich diese Jugend dafür,
wenn die Presse hie und da ihre Aufgabe verketitit
und einerseits in übertriebener Schönfärberei, ander-
seits durch direkte Schwarzfärbung so grelle oder
trübe und falsche Bilder bietet, die von: großen
Publikum aus ihren wahren Wert oder Unwert hin
gar nicht geprüft werden können? Denn wie wenigen
ist es schließlich vergönnt gewesen, die Originale zu
sehen, um sich persönlich ein Urteil zu bilden! Man
kann getrost sagen, daß allein in Deutschland der
neuen Bewegung mindestens 50 Millionen noch gänz-
lich fern stehen. Und diese werden mit dem Schund
und Abklatsch beglückt geradeso, wie es in den letzten
vier Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts der Fall
war. Will man nun alle diese Sünden, und solche
sind es durch Betrug und unlauteren Wettbewerb,
dein Stil der Jugend aushalsen und sortfahren, seine
Vertreter und Anhänger für all die Dummheiten
verantwortlich zu machen, aus denen eben jene
Schlauen Kapital schlagen?

Worin bestehen aber die schwersten der Iugend-
stil-Sünden? Zunächst darin, daß sie gar nicht dieses
Geistes sind, sondern ganz platte Ballhornisierungen
veröffentlichter Ideen von Otto Eckmann bis Paul
Bürck. Da heißt es heute glatt weg in: Stile Tck-
manns, während der Künstler, in dessen Sprache
hier irgend eines seiner Ornamente ausgeschlachtet
worden ist, zu der Ware in keinerlei Beziehung steht.
Der Eingeweihte erkennt den Schwindel sofort,
andere darüber aufzuklären würde aber die undank-
barste Aufgabe sein. Damit wird nur bei Leuten,
die einen besseren Geschmack haben, über den ver-
meintlichen Urheber ein falsches, meistens abfälliges
Urteil gereift. Der Jugendstil als solcher gelangt
damit aber auch nicht zu größerem Ansehen. Am
meisten wird eben dein Jugendstil und seinen Ver-
tretern dann geschadet, wenn Imitationen und
Surrogate unter Beigabe berühmter Namen auf
den Markt kommen und so den besten Absichten
unserer Jugendstil-Künstler, die die Materialechtheit
und dabei die urwüchsige Technik und Handfertigkeit
in allen ihren Arbeiten obenanstellen, der Boden ent-

zogen wird. Auch ich verteidige nicht alles oder
hebe es gar in den Pimmel, was die neue Bewegung
hervorbringt, denn manche ihrer Arbeiten sind mit
Mängeln, Unbeholfenheiten wie mit Uberweisheit
belastet, nicht frei von Phrasen, um offen zu sein.
Solche Schwächen steigern sich aber zu Ungeheuerlich-
keiten, wenn die Ausbeutung sich ihrer annimmt.

Aber auch sonst sind dem Jugendstil zahlreiche
Sünden nachzuweisen, die namentlich in Kunst-
verglasungen und Tapeten zu argen: Unfug aus-
gewachsen sind. Tine ganze Kolonne ziemlich inittel-
wertiger Talente hat sich auf diese beiden Trzeug-
nisse geworfen, und es ist natürlich nicht aus-
geblieben, daß gerade hierin unendlich viel gesündigt
und wiederum auf Konto Jugendstil geschrieben
wird. Ähnlich ist es auch bei fast allen pandels-
möbeln, obgleich in ihnen unter der Jugendstil-
Marke noch die ganze Musterkarte des vorigen Lust-
rums durchgeschnmggelt wird. In der Textil- und
Stickereibranche ist es nicht um vieles bester.

Ts kommt also auf diese Weise ein Belastungs-
material gegen den Jugendstil zusammen, daß man
es kaum noch wagt, ihn in Schutz zu nehmen. Doch
auch sonst fehlt es nicht an Erscheinungen, die man
schlechthin als Auswüchse der modernen Richtung be-
trachtet. pierher gehört die Mehrzahl der Über-
brettl, die Zoten einer ganzen Reihe illustrierter
Blätter, die Taktlosigkeiten und Plumpheiten der
Nachahmer der pirthschen „Jugend". Daß die
Freude an der brutal entkleideten menschlichen Figur
in allen Posen — ich sage nicht am künstlerisch
Nackten — ungeschmälert der großen Masse er-
halten bleibt, ist nicht weniger als eine Errungen-
schaft des Jugendstils bezeichnet worden. Doch genug
hiermit.

Wir sahen, daß die Jugendstil-Sünden zum Teil
recht heikler Art sind und bewußt und unbewußt
gefördert werden. Fehler und Sünden sind ja an-
geblich dazu da, um begangen zu werden. Schon
recht, aber sie dürfen nicht so wuchern, daß da
jeder Trieb und jede Regung besserer Art unter
ihnen erstickt. Am gefährlichsten sind Schinarotzer,
und deren hat der Jugendstil noch eine Menge auf-
zuweisen.

Darinstadt, Mitte März s902.

Otto Schulze-Köln.

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