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Erster Jahrgang.

Berlin den 15. Januar 1885.

No. 2.

DER KUNSTFREUND

Herausgegeben von Henry Thode

Erscheint am i. und 15. jeden Monats. Preis des Jahrgangs mit allen Beilagen 20 Mark.
Die Abonnenten des »Jahrbuchs der Königlich Preussischen Kunstsammlungen« erhalten den »Kunstfreund« gratis,
die Beilagen zu ermässigten Preisen.

AUS DER NATIONAL-GALERIE
Seit dem Frühjahr 1876 hat die Direktion in
den oberen Räumen der National-Galerie in
19 periodischen Ausstellungen die Lebenswerke
hervorragender deutscher Künstler, zumeist un-
mittelbar nach deren Ableben, in systematischer
Uebersicht der öffentlichen Betrachtung zugänglich
gemacht. Zur Klärung des Urteils über den ein-
zelnen Künstler wurden die charakteristischen
Arbeiten desselben in möglichster Vollständigkeit
vorgeführt und um einen untrüglichen Einblick in
seinen Entwicklungsgang, in das Werden und
Entstehen der gereiften Schöpfungen zu erzielen,
gleichzeitig das Studienmaterial, die Zeugnisse
ernster Vorarbeit in ausreichendem Umfange dem
Publikum dargeboten. Dieser Hauptzweck der
Ausstellungen war nur erreichbar durch die Bereit-
willigkeit, womit von Gönnern und Verehrern
deutscher Kunst Beiträge aus öffentlichen und
privaten Sammlungen, hauptsächlich aus dem Be-
sitze der Verwandten der heimgegangenen Meister
zur Verfügung gestellt wurden. Es gelang auf
diesem Wege nicht selten, mehr als 500 Original-
arbeiten eines Künstlers zu vereinigen. Zu 13 Aus-
stellungen dieser Art sind ausführliche Verzeich-
nisse mit biographischen Skizzen erschienen. Die
Namen der Künstler und Künstlerinnen, deren
Ehrengedächtnis gefeiert worden, sind die folgen-
den:
Heinrich Franz - Dreber — Alfred Rethel,
Joseph v. Führich, Friedrich Overbeck, Friedrich
Gunkel — Rudolf Henneberg, Wilhelm Schirmer,
Hugo Harrer — Julius Schnorr v. Carolsfeld —
Ludwig Richter, Theodor Mintrop, August und
Julius Elsässer, Heinrich Funk — Friedrich
Preller — Eduard Meyerheim, Ernst Fries, Fried-
rich Nerly — Anselm Feuerbach — Karl Friedrich
Lessing — Christian Morgenstern, Frariz Krüger,
Antonie Biel, Ernst Willers — Marie von Par-
mentier, Karl Blechen, Adolf Schrödter, August

Bromeis — Christian Wilberg — Adolf Dressier
(Breslau), Adolf Lier, Eugen Neureuther, Adolf
Eybel — Eduard Mandel — Gustav Richter.
Von lebenden Meistern wurde ausnahmsweise
Adolf Menzel aus Anlass seines 50 jährigen Künstler-
jubiläums durch eine Ausstellung seiner im Besitz
der National - Galerie befindlichen Aquarelle,
Zeichnungen und Reproduktionsblätter in Betracht
gezogen.
Die 13. Sonder-Ausstellung, ihrem Inhalte nach
von den übrigen abweichend, bot eine Uebersicht
von Maler-Radierungen französischer und eng-
lischer Künstler der Neuzeit und bezweckte, die
heimischen Künstler in ähnlichen Bestrebungen
fördernd anzuregen.
Die gegenwärtige, zur besonderen Betrach-
tung einladende 19. Ausstellung umfasst den
künstlerischen Nachlass der jüngst verstorbenen
Maler Albert Berg, Otto Günther und Karl Graeb.
Der Schwerpunkt im künstlerischen Schaffen
Otto Günthers (geb. am 30. September 1838 zu
Halle) liegt in einer Auswahl von Genrebildern,
welche durch eine sorgfältige Charakteristik der
Figuren und Innigkeit der Empfindung seinen
Namen in der Kunstwelt bekannt gemacht haben.
Günther schildert mit Meisterschaft Situationen
aus dem Leben, welche eindringlich an das Gemüt
des Beschauers appellieren, so in den beiden
Bildern der National-Galerie »Der Wittwer« (1874)
und »Im Gefängnis« (1878) und in »Der Aus-
wanderin letzte Umschau« (1872). Wie Ed. Meyer-
heim entdeckte er die sein künstlerisches Naturell
ansprechendsten Motive auf wiederholten Wan-
derungen unter den Landbewohnern von Thürin-
gen und Westfalen. Ihre Sitten und Gewohnheiten,
ihre Freuden und Leiden beobachtete der Künstler
mit psychologischem Scharfblick, wie die zahl-
reichen Oel-, Feder- und Bleistiftzeichnungen aus
seinem Nachlasse erweisen. Auch in der Schil-
derung humoristischer Vorgänge, wie in »Dorf-
revolte« (1881), »Feierabend« (1883) und »Die

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