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Erster Jahrgang.

Berlin den 15. Mai 1885.

No. 10.

DER KUNSTFREUND
Herausgegeben von Henry Thode

Erscheint am i. und 15. jeden Monats. Preis des Jahrgangs mit allen Beilagen 20 Mark.
Die Abonnenten des »Jahrbuchs der Königlich Preussischen Kunstsammlungen « erhalten den »Kunstfreund« gratis,
die Beilagen zu ermässigten Preisen.

DER MEISTER DER SPIELKARTEN
In meiner Arbeit über die deutschen Spiel-
karten des XV Jahrhunderts1) habe ich gleich
Eingangs die Ansicht ausgesprochen, dass der von
Passavant irrig als Schüler des Meisters E. S. be-
trachtete, sogenannte »Meister der Spielkarten«
identisch sei mit dem Stecher der handschriftlich
von 1462 datierten heiligen Dreifaltigkeit (P. II,
17, 18 und 62, 177) in der Hof- und Staatsbiblio-
thek zu München. Diese Zuschreibung des Mün-
chener Stiches lässt sich nach wiederholter Prü-
fung desselben nicht aufrecht erhalten, und ich
will meinen Irrtum an dieser Stelle selbst berich-
tigen, damit der Name »Meister von 1462« nicht
erst Eingang in die Fachlitteratur finde.
Ganz ohne Zusammenhang mit den Stichen
des Spielkartenmeisters ist jedoch die Münchener
Dreifaltigkeit nicht, und da sie geeignet ist, über
die Schaffenszeit dieses Vorläufers des Meisters
E. S. wenigstens annähernd Aufschluss zu geben,
so wird sie immerhin ihren Wert für die Datie-
rung der ältesten deutschen Stiche behalten, auch
wenn sie sich, wie weiter unten gezeigt werden
soll, nur als schwache Kopie nach einem besseren
Vorbilde erweisen sollte.
Die Thätigkeit des »Meisters der Spielkarten«
wird, wie ich a. a. O. p. 3 bereits ausgesprochen
habe, an das Ende der ersten Hälfte des XV Jahr-
hunderts, etwa um 1445 verlegt werden müssen.
Der Stecher ist ein durchaus origineller Künstler,
der trotz seiner primitiven Technik eine mitunter
geradezu erstaunliche Tiefe der farbigen Wirkung
zu erzielen versteht und in der Zeichnung den
Meister E. S. bisweilen sogar übertrifft, da er
dessen Magerkeit nicht teilt. Er zählt zu den-
jenigen Stechern des XV Jahrhunderts, welche es
verschmähen, ältere Vorbilder zu kopieren, was
>) »Die ältesten deutschen Spielkarten des König!. Kupfer-
stichkabinets zu Dresden«. Dresden 1885. W. Hoffmann.

bekanntlich selbst bei so ausgezeichneten Meistern
ihres Faches, wie Franz von Bocholt oder dem
Monogrammisten AG, nicht immer der Fall war.
Dieser Umstand hätte mich nun darauf leiten
können, dass der Stecher der hl. Dreifaltigkeit
nicht identisch mit dem Meister der Spielkarten
sei, da ich die Uebereinstimmung des Thrones
mit demjenigen des Wilden-Königs im Karten-
spiel bemerkte. Zum Vergleich jedoch auf den
trügerischen Nachstich bei Dibdin und einen
mangelhaften Lichtdruck angewiesen, legte ich
der übereinstimmenden, für den Spielkartenmeister
so charakteristischen Technik zu grosses Gewicht
bei und sehe mich jetzt genötigt, dasselbe Argu-
ment für die Verschiedenheit beider Stecher an-
zuführen, das mir zuerst ihre Identität zu bewei-
sen schien.
Der Thron der Dreifaltigkeit von 1462 hat
nämlich sein Urbild in dem des Wilden-Königs
aus dem Originalspiel des Meisters . der Spiel-
karten (L. 6, 20). *) Er ist aber nicht direkt nach
diesem kopiert, sondern nach dem Tier-König
des Kopienspiels aus der Schule des Spielkarten-
meisters (L. 24, 31), der seinerseits wieder eine
gegenseitige Kopie nach dem Wilden-König des
Originalspiels ist. Zur Klarlegung des Verhält-
nisses der drei Blätter diene die umstehend bei-
gegebene Hochätzung, welche eine der beiden
die Rücklehne des Thrones flankierenden Sta-
tuetten auf den drei in Betracht kommenden
Stichen wiedergiebt.
Fig. a ist die Statuette auf dem Wilden - König
des Originalspiels vom Meister der Spielkarten
(L. 6, 20) in Berlin, Paris und Wien (Albertina).
Fig. b dieselbe Figur auf dem Tier-König
des Kopienspiels (L. 24, 31) ehemals bei Eugen
Felix in Leipzig, seit Anfang 1885 in der Samm-
lung Rothschild zu Paris;

i) Die Citate beziehen sich auf mein Spielkartenverzeichnis.
Die Seitenzahl steht jedesmal vor der Nummer.
IO
 
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