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Erster Jahrgang.

Berlin den 1. Dezember 1885.

No. 23

DER KUNSTFREUND
Herausgegeben von Henry Thode

Erscheint am i. und 15. jeden Monats. Preis des Jahrgangs mit allen Beilagen 20 Mark.
Die Abonnenten des »Jahrbuchs der Königlich Preussischen Kunstsammlungen« erhalten den »Kunstfreund« gratis,
die Beilagen zu ermäfsigten Preisen.

MORITZ VON SCHWINDS
WANDGEMÄLDE
IM SCHLOSS HOHENSCHWANGAU
Von allen Werken Schwinds sind bisher die
Fresken in Hohenschwangau am unbekanntesten
geblieben, und es kann daher nur mit unver-
hohlener Freude begrüsst werden, dass dieselben
zum Gegenstand einer Publikation gemacht worden
sind, die unter obigem Titel im Verlage von Alfons
Dürr erschienen und dem König Ludwig II von
Bayern gewidmet ist. (Preis 30 Mark.) Es han-
delt sich im eigentlichen Sinne nicht um eine
Wiedergabe der Wandgemälde selbst, sondern, was
viel wichtiger ist, um diejenige der Aquarell-
entwürfe des Meisters. Dieser nämlich hat mit
der Ausführung der Fresken selbst nichts zu thun
gehabt, sondern dieselbe ist anderen Künstlern
übertragen worden. Es war im Sommer 1835,
noch bevor Schwind seine italienische Reise an-
getreten, dass er vom Kronprinz Maximilian, der
von Domenico Quaglio die alte Burg Hohen-
schwangau wiederherstellen und ausschmücken
liess, den Auftrag erhielt, die Entwürfe von Bildern
für eine Reihe von Gemächern anzufertigen. Schon
im Süden machte er sich an die Arbeit, die er,
nach München zurückgekehrt, 1836 rüstig förderte,
nicht ohne häufige Besprechungen mit dem Kron-
prinzen zu haben und sich des Interesses seines
Lehrers Cornelius zu erfreuen, der Anfangs, wie
es scheint, eine bedenkliche Miene zu den Skizzen
gemacht. Als es sich aber um die Ausführung
der Aquarellentwürfe handelte, erschien der von
Schwind geforderte Preis zu hoch, und die Aus-
führung ward nicht zu Gunsten der Sache den
Händen Domenico’s und Lorenzo’s Quaglio, Xaver
Glinks, Michael Nehers, Giessmanns und Albrecht
Adams anvertraut, ohne dass damit übrigens der
Zweck einer Preisermäfsigung erreicht worden
wäre. Schwind selbst wurde durch diese Vor-

gänge, wie man aus Briefen sieht, sehr gereizt
und hat sich die Fresken selbst niemals angesehen.
Leider sind die Aquarellentwürfe — über fünfzig
an der Zahl — bis auf einen einzigen nicht er-
halten; — um so wertvoller werden die Tafeln
unseres Werkes, da dieselben nach Durch-
zeichnungen angefertigt worden sind, welche
Julius Naue, der Schüler Schwinds, nach Pausen,
die Schwind selbst von den Aquarellen gemacht
hatte, im Jahre 1865 angefertigt hat. Julius Naue
selbst und H. Walde haben sie in einfacher Linien-
manier, die ja speziell zur Wiedergabe Schwind’scher
Kompositionen nicht ungeeignet erscheint, in Kupfer
gestochen.
Die eigenartig poetische Auffassung, die jugend-
lich naive Erzählungsweise, das feine Gefühl für
Grazie und Anmut in der Bewegung und in dem
Kontur der Figuren, der Sinn für harmonisches
Zusammenstimmen der Landschaft mit dem dar-
gestellten Vorgänge zeichnet wie die meisten
anderen, auch diese Werke Schwinds aus. Waren
doch auch die Stoffe, die es in fünf Cyclen zu
behandeln galt, recht nach seinem Sinne gewählt.
Es begegnen uns zunächst einzelne Kompositionen
zur Wilkinasage, jener Sage, die auch den Namen
Dietrichs von Bern führt. Neben Einzelfiguren,
wie den vier Frauengestalten Herburg, Bolfriana,
der Tochter Sigfrieds des Griechen und Sisilie,
Elfe, Sintram und Wieland, gewahren wir ver-
schiedene Scenen, so wie der König Ossantrix
unerkannt seiner Braut Oda den goldenen Schuh
anzieht und sie ihm dabei ihr Herzensverlangen
verrät, wie Herbart, der Werber Dietrichs, Hilda
für sich gewinnt, indem er das Bild des Freiers
in abschreckender Weise an die Wand malt; wie
Dietrich mit Hildebrand gegen den Riesen Grim
auszieht; wie Osid und Rüdiger die beiden Königs-
töchter Erka und Bertha entführen. Weitere
Bilder zeigen die Versöhnung zwischen Dietrich
und Wittich dem Starken, das Fest des Königs
Ermanrich in Rom, den nächtlichen Auszug
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