Erster Jahrgang.
Berlin den 15. Juni 1885.
No. 12.
DER KUNSTFREUND
Herausgegeben von Henry Thode
Erscheint am i. und i$. jeden Monats. Preis des Jahrgangs mit allen Beilagen 20 Mark.
Die Abonnenten des »Jahrbuchs der Königlich Preussischen Kunstsammlungen« erhalten den »Kunstfreund« gratis,
die Beilagen zu ermäfsigten Preisen.
IST GIAN BATTISTA DEL PORTO DER
»MEISTER MIT DEM VOGEL«?
Die Geschichtsschreiber des Kupferstichs be-
haupten , dass Gian Battista del Porto der Meister
sei, welcher seine Stiche mit den Buchstaben J. B.,
und einem dahinter befindlichen Vogel bezeichnete.
Zweck dieser Zeilen ist es, zu beweisen, dass
diese allgemeine Ansicht jeglicher Begründung
entbehrt.
Vedriani in seiner »Raccolta de’ pittori, scultori
et architetti modenesi piu celebri« (Modena 1662)
spricht sich folgendermafsen aus: »und da wir
von der Kunst, in Kupfer zu stechen, in der sich
einige Modenesen ausgezeichnet haben, sprechen,
wollen wir an dieser Stelle Gio. Battista del Porto
rühmend erwähnen, der so ausgezeichnet in der
Kunst des Grabstichels war, dass seine Werke
wahre Wunder sind, welche die Weisheit eines
so bedeutenden Mannes in diesem Fach zur Schau
tragen und für alle Zukunft zur Schau tragen
werden. Man entnimmt dies Alles den Chroniken
Lancilotto’s«. Nun gut: vor Allem ist Vedriani
keine allzusichere Quelle, da der Modenesische
Seicentist sich keine Skrupel machte, Selbst-
erfundenes hinzuzufügen, wenn ihm dieThatsachen
mangelten, ja diese selbst zu verändern, konnte
er dadurch seine Prosa emporschrauben. Schliess-
lich aber erwähnt der Chronist Lancilotto gar nicht
die von Vedriani berichteten Dinge wie auch in
der Reihe Modenesischer Goldschmiede der Re-
naissance, welche ein anderer Chronist Spacini
nach Lancilotto selbst kopierte, Giovanni’s B. del
Porto keine Erwähnung geschieht.
Ein Goldschmied Battista da Porto, aus einer
Goldschmiedfamilie stammend, hielt eine Bottega
in Modena und man hat von 1529 bis 1537 Notizen
über ihn. In diesem Zeiträume war er Münz-
wardein der Modenesischen Münze und schnitt
vielleicht die Stempel der damals emittirten Münzen.
(Crespellani: La Zecca Modenese. Modena 1884.)
1532 arbeitete er für den Herzog Alfonso I von Este
einen Kelch, der für den Gebrauch in der Esten-
sischen Kapelle der Kathedrale von Modena be-
stimmt war. (Campori: la cappella estense nel
Duomo di Modena. Modena, Vincenzi 1881.) In
demselben Jahre erwähnt ihn Lancilotto unter den
reichgewordenen Leuten in Modena. (Cronaca di
T. Lancilotto. Vol. V. Parma Fiaccadori 1866,
p. 85.) Dies ist Alles, was wir von ihm wissen,
und es genügt, an der Existenz des Künstlers
keinen Zweifel aufkommen zu lassen, trotzdem
Tiraboschi einen solchen in der Biblioteca Mo-
denese (t. VI, 2. p. 517—1786) ausgesprochen.
Andererseits aber kann der angebliche Gio. Battista
da Porto nicht derselbe Battista da Porto sein,
der 1532 den Kelch fertigte. Der um diese Zeit
blühende Goldschmied muss um eine Generation
später sein als der Stecher, welcher einen Stich
mit 1503 bezeichnete und ein Vorläufer Marc’
Antonio Raimondi’s war.
Als Zani seine »Materiali per servire alla storia
dell’ origine e de’ progressi dell’ incisione in rame
e in legno« (Parma, Carmignani 1802) vorbereitete,
schrieb er dem Abt Boni und teilte ihm mit,
dass er so weit gekommen sei, fast alle Monogram-
misten, die klassischen Stecher des XV Jahrhun-
derts, festzustellen, und dass ihm allein noch
erübrige »jenen zu entdecken, der mit J. B. und
dem Vogel signiert, doch hoffe ich, dass auch diese
Werke sich bald werden entziffern lassen«. (Cam-
pori, lettere artistiche. Modena. Soliani 1866.) So
schrieb er noch 1799, und drei Jahre später be-
hauptete er, vollwiegende Gründe für die Annahme
zu haben, dass Gian B. da Porto, der berühmte
Stecher, jene Blätter, deren eines das Datum 1502
trage, gefertigt. Er versprach davon zu sprechen,
aber der Tod hinderte ihn sein Versprechen zu
halten. Wir aber halten nun Zani’s Brief und sein
Buch neben einander und zweifeln, ob er mit Recht
behaupten durfte, das Rätsel gelöst zu haben.
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Berlin den 15. Juni 1885.
No. 12.
DER KUNSTFREUND
Herausgegeben von Henry Thode
Erscheint am i. und i$. jeden Monats. Preis des Jahrgangs mit allen Beilagen 20 Mark.
Die Abonnenten des »Jahrbuchs der Königlich Preussischen Kunstsammlungen« erhalten den »Kunstfreund« gratis,
die Beilagen zu ermäfsigten Preisen.
IST GIAN BATTISTA DEL PORTO DER
»MEISTER MIT DEM VOGEL«?
Die Geschichtsschreiber des Kupferstichs be-
haupten , dass Gian Battista del Porto der Meister
sei, welcher seine Stiche mit den Buchstaben J. B.,
und einem dahinter befindlichen Vogel bezeichnete.
Zweck dieser Zeilen ist es, zu beweisen, dass
diese allgemeine Ansicht jeglicher Begründung
entbehrt.
Vedriani in seiner »Raccolta de’ pittori, scultori
et architetti modenesi piu celebri« (Modena 1662)
spricht sich folgendermafsen aus: »und da wir
von der Kunst, in Kupfer zu stechen, in der sich
einige Modenesen ausgezeichnet haben, sprechen,
wollen wir an dieser Stelle Gio. Battista del Porto
rühmend erwähnen, der so ausgezeichnet in der
Kunst des Grabstichels war, dass seine Werke
wahre Wunder sind, welche die Weisheit eines
so bedeutenden Mannes in diesem Fach zur Schau
tragen und für alle Zukunft zur Schau tragen
werden. Man entnimmt dies Alles den Chroniken
Lancilotto’s«. Nun gut: vor Allem ist Vedriani
keine allzusichere Quelle, da der Modenesische
Seicentist sich keine Skrupel machte, Selbst-
erfundenes hinzuzufügen, wenn ihm dieThatsachen
mangelten, ja diese selbst zu verändern, konnte
er dadurch seine Prosa emporschrauben. Schliess-
lich aber erwähnt der Chronist Lancilotto gar nicht
die von Vedriani berichteten Dinge wie auch in
der Reihe Modenesischer Goldschmiede der Re-
naissance, welche ein anderer Chronist Spacini
nach Lancilotto selbst kopierte, Giovanni’s B. del
Porto keine Erwähnung geschieht.
Ein Goldschmied Battista da Porto, aus einer
Goldschmiedfamilie stammend, hielt eine Bottega
in Modena und man hat von 1529 bis 1537 Notizen
über ihn. In diesem Zeiträume war er Münz-
wardein der Modenesischen Münze und schnitt
vielleicht die Stempel der damals emittirten Münzen.
(Crespellani: La Zecca Modenese. Modena 1884.)
1532 arbeitete er für den Herzog Alfonso I von Este
einen Kelch, der für den Gebrauch in der Esten-
sischen Kapelle der Kathedrale von Modena be-
stimmt war. (Campori: la cappella estense nel
Duomo di Modena. Modena, Vincenzi 1881.) In
demselben Jahre erwähnt ihn Lancilotto unter den
reichgewordenen Leuten in Modena. (Cronaca di
T. Lancilotto. Vol. V. Parma Fiaccadori 1866,
p. 85.) Dies ist Alles, was wir von ihm wissen,
und es genügt, an der Existenz des Künstlers
keinen Zweifel aufkommen zu lassen, trotzdem
Tiraboschi einen solchen in der Biblioteca Mo-
denese (t. VI, 2. p. 517—1786) ausgesprochen.
Andererseits aber kann der angebliche Gio. Battista
da Porto nicht derselbe Battista da Porto sein,
der 1532 den Kelch fertigte. Der um diese Zeit
blühende Goldschmied muss um eine Generation
später sein als der Stecher, welcher einen Stich
mit 1503 bezeichnete und ein Vorläufer Marc’
Antonio Raimondi’s war.
Als Zani seine »Materiali per servire alla storia
dell’ origine e de’ progressi dell’ incisione in rame
e in legno« (Parma, Carmignani 1802) vorbereitete,
schrieb er dem Abt Boni und teilte ihm mit,
dass er so weit gekommen sei, fast alle Monogram-
misten, die klassischen Stecher des XV Jahrhun-
derts, festzustellen, und dass ihm allein noch
erübrige »jenen zu entdecken, der mit J. B. und
dem Vogel signiert, doch hoffe ich, dass auch diese
Werke sich bald werden entziffern lassen«. (Cam-
pori, lettere artistiche. Modena. Soliani 1866.) So
schrieb er noch 1799, und drei Jahre später be-
hauptete er, vollwiegende Gründe für die Annahme
zu haben, dass Gian B. da Porto, der berühmte
Stecher, jene Blätter, deren eines das Datum 1502
trage, gefertigt. Er versprach davon zu sprechen,
aber der Tod hinderte ihn sein Versprechen zu
halten. Wir aber halten nun Zani’s Brief und sein
Buch neben einander und zweifeln, ob er mit Recht
behaupten durfte, das Rätsel gelöst zu haben.
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