Erster Jahrgang.
Berlin den 1. April 1885.
No. 7.
DER KUNSTFREUND
Herausgegeben von Henry Thode
Erscheint am i. und 15. jeden Monats. Preis des Jahrgangs mit allen Beilagen 20 Mark.
Die Abonnenten des »Jahrbuchs der Königlich Preussischen Kunstsammlungen« erhalten den »Kunstfreund« gratis,
die Beilagen zu ermäfsigten Preisen.
JEAN PERREAL
Vor Kurzem kam im Salon carre des Louvre
in Folge einer Schenkung ein Bild (h. 0,74, br.
0,5«, auf Holz) zur Aufstellung, dessen Mitte die
thronende Maria mit dem Kinde einnimmt, wäh-
rend zu den Seiten ein jugendliches Ehepaar
kniet, das von den schräg vorspringenden Thron-
geländern zur Hälfte verdeckt wird. Die Ehre
des Salon carre verdankt die Tafel weniger ihrem
künstlerischen Rang als ihrem historischen Inter-
esse. Sie gilt als eines der wenigen Beispiele der
französischen Malerei vom Ende des XV Jahrhun-
derts. Diese Zuweisung mag zu Recht bestehen,
trotz des ausgesprochen flandrischen Charakters,
der den Meister als einen unmittelbaren Nach-
folger des Memling erscheinen lässt. Mit dieser
allgemeinen Bestimmung hat sich indes der letzte
Besitzer des Bildes, E. M. Bancel, der dasselbe
beim Verkauf der Galerie des Herzogs von Parma
erworben hatte, keineswegs begnügt. In einem
soeben erschienenen umfangreichen Werke über
Jean Perreal, den Hofmaler dreier französischer
Könige, dessen Kenntnis bisher im Wesentlichen
nur auf literarischen Grundlagen beruhte, stellt
er das Werk geradezu an die Spitze der künst-
lerischen Thätigkeit des Meisters. Aber er weiss
noch mehr; er giebt dem Bilde das Datum und
den porträtierten Ehegatten ihre Namen, es sind
Karl VIII von Frankreich und seine jugendliche
Frau, Anne de Bretagne, zur Zeit ihrer Trauung,
im Jahre 1491. Die Motive, die Bancel zu seinen
Behauptungen brachten, stehen indes auf so
schwachen Füssen, dass man kaum in der
Sammlereitelkeit eine Erklärung für die kühne
Sicherheit seiner Beweisführung finden kann. Die
Taufe auf Jean Perreal haben die Buchstaben
J. P. verschuldet, die an drei Stellen, am Sockel
und an den Kapitälen der Geländerpfosten, ange-
bracht sind. Aber ganz abgesehen davon, dass
eine derartig aufdringliche Signatur kein zweites
Mal nachweisbar ist, so lassen die Liebesknoten,
mit denen die beiden Lettern verbunden sind,
nur eine Deutung auf die Namen der Ehegatten
zu. Es müssten starke Gründe sein, sollte man
dem gegenüber in den dargestellten Personen das
französische Königspaar sehen wollen. Indes ge-
steht Bancel selbst, dass ein authentisches Porträt
Karls VIII überhaupt nicht, von Anne de Bretagne
wenigstens nicht aus ihrer Jugendzeit existiert.
Hierzu kommt noch als Letztes die schlichte
bürgerliche Kleidung der Gatten, das Fehlen jedes
Abzeichens, das auf so hohen Rang zu schliessen
erlaubte. Damit fällt aber auch die Jahreszahl,
wenn schon kein Zweifel ist, dass das Bild um die
Wende des XV und XVI Jahrhunderts gemalt
wurde.
Kann dieses Werk Jean Perreal nicht erhalten
bleiben, so ist auch der darauf basierte Aufenthalt
des Künstlers in Brügge, wohin er sich Anfangs
der 80 er Jahre begeben haben soll, einfach abzu-
thun und wir sind für die Konstruierung seines
Entwickelungsganges wieder einzig auf die doku-
mentarischen Nachrichten angewiesen.
Diese letzteren nun, soweit sie aus früheren
Publikationen bekannt waren, zusammengefasst
und um einige neue vermehrt zu haben, ist das
unbestreitbare Verdienst der Arbeit von Bancel.
Darnach scheint Perreal um 1460 bis 63 zu Lyon
geboren zu sein, wo er vermutlich seine ganze
Lehrzeit durchmachte. Wenigstens ist er 1483 in
seiner Vaterstadt nachgewiesen und 1489 erhält
er vom Magistrat den Auftrag, für den festlichen
Einzug Karls VIII »quelques mysteres, moralites,
ystoires et autres joyausetes« zu erfinden. Von
da an datiert wohl seine Beziehung zum König,
mit dem er 1494 nach Italien geht, wo er sich
nach Karls Rückkehr noch ein volles Jahr auf-
hält. 1498 wird er zum »peintre et valet de
chambre du roi« ernannt und begleitet als solcher
die französischen Expeditionen gegen Genua, 1507
7
Berlin den 1. April 1885.
No. 7.
DER KUNSTFREUND
Herausgegeben von Henry Thode
Erscheint am i. und 15. jeden Monats. Preis des Jahrgangs mit allen Beilagen 20 Mark.
Die Abonnenten des »Jahrbuchs der Königlich Preussischen Kunstsammlungen« erhalten den »Kunstfreund« gratis,
die Beilagen zu ermäfsigten Preisen.
JEAN PERREAL
Vor Kurzem kam im Salon carre des Louvre
in Folge einer Schenkung ein Bild (h. 0,74, br.
0,5«, auf Holz) zur Aufstellung, dessen Mitte die
thronende Maria mit dem Kinde einnimmt, wäh-
rend zu den Seiten ein jugendliches Ehepaar
kniet, das von den schräg vorspringenden Thron-
geländern zur Hälfte verdeckt wird. Die Ehre
des Salon carre verdankt die Tafel weniger ihrem
künstlerischen Rang als ihrem historischen Inter-
esse. Sie gilt als eines der wenigen Beispiele der
französischen Malerei vom Ende des XV Jahrhun-
derts. Diese Zuweisung mag zu Recht bestehen,
trotz des ausgesprochen flandrischen Charakters,
der den Meister als einen unmittelbaren Nach-
folger des Memling erscheinen lässt. Mit dieser
allgemeinen Bestimmung hat sich indes der letzte
Besitzer des Bildes, E. M. Bancel, der dasselbe
beim Verkauf der Galerie des Herzogs von Parma
erworben hatte, keineswegs begnügt. In einem
soeben erschienenen umfangreichen Werke über
Jean Perreal, den Hofmaler dreier französischer
Könige, dessen Kenntnis bisher im Wesentlichen
nur auf literarischen Grundlagen beruhte, stellt
er das Werk geradezu an die Spitze der künst-
lerischen Thätigkeit des Meisters. Aber er weiss
noch mehr; er giebt dem Bilde das Datum und
den porträtierten Ehegatten ihre Namen, es sind
Karl VIII von Frankreich und seine jugendliche
Frau, Anne de Bretagne, zur Zeit ihrer Trauung,
im Jahre 1491. Die Motive, die Bancel zu seinen
Behauptungen brachten, stehen indes auf so
schwachen Füssen, dass man kaum in der
Sammlereitelkeit eine Erklärung für die kühne
Sicherheit seiner Beweisführung finden kann. Die
Taufe auf Jean Perreal haben die Buchstaben
J. P. verschuldet, die an drei Stellen, am Sockel
und an den Kapitälen der Geländerpfosten, ange-
bracht sind. Aber ganz abgesehen davon, dass
eine derartig aufdringliche Signatur kein zweites
Mal nachweisbar ist, so lassen die Liebesknoten,
mit denen die beiden Lettern verbunden sind,
nur eine Deutung auf die Namen der Ehegatten
zu. Es müssten starke Gründe sein, sollte man
dem gegenüber in den dargestellten Personen das
französische Königspaar sehen wollen. Indes ge-
steht Bancel selbst, dass ein authentisches Porträt
Karls VIII überhaupt nicht, von Anne de Bretagne
wenigstens nicht aus ihrer Jugendzeit existiert.
Hierzu kommt noch als Letztes die schlichte
bürgerliche Kleidung der Gatten, das Fehlen jedes
Abzeichens, das auf so hohen Rang zu schliessen
erlaubte. Damit fällt aber auch die Jahreszahl,
wenn schon kein Zweifel ist, dass das Bild um die
Wende des XV und XVI Jahrhunderts gemalt
wurde.
Kann dieses Werk Jean Perreal nicht erhalten
bleiben, so ist auch der darauf basierte Aufenthalt
des Künstlers in Brügge, wohin er sich Anfangs
der 80 er Jahre begeben haben soll, einfach abzu-
thun und wir sind für die Konstruierung seines
Entwickelungsganges wieder einzig auf die doku-
mentarischen Nachrichten angewiesen.
Diese letzteren nun, soweit sie aus früheren
Publikationen bekannt waren, zusammengefasst
und um einige neue vermehrt zu haben, ist das
unbestreitbare Verdienst der Arbeit von Bancel.
Darnach scheint Perreal um 1460 bis 63 zu Lyon
geboren zu sein, wo er vermutlich seine ganze
Lehrzeit durchmachte. Wenigstens ist er 1483 in
seiner Vaterstadt nachgewiesen und 1489 erhält
er vom Magistrat den Auftrag, für den festlichen
Einzug Karls VIII »quelques mysteres, moralites,
ystoires et autres joyausetes« zu erfinden. Von
da an datiert wohl seine Beziehung zum König,
mit dem er 1494 nach Italien geht, wo er sich
nach Karls Rückkehr noch ein volles Jahr auf-
hält. 1498 wird er zum »peintre et valet de
chambre du roi« ernannt und begleitet als solcher
die französischen Expeditionen gegen Genua, 1507
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