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Erster Jahrgang.

Berlin den 1. November 1885.

No. 21.

DER KUNSTFREUND
Herausgegeben von Henry Thode

Erscheint am i. und 15. jeden Monats. Preis des Jahrgangs mit allen Beilagen 20 Mark.
Die Abonnenten des »Jahrbuchs der Königlich Preussischen Kunstsammlungen« erhalten den »Kunstfreund« gratis,
die Beilagen zu ermäfsigten Preisen.

REMBRANDTS PROZESS
Rembrandts Prozess und sein Verhältnis zu
Hendrickje Stoffels treten durch die Veröffent-
lichung einer Reihe von Urkunden, welche
A. Bredius und N. deRoever soeben in der
Zeitschrift Oud Holland geben, in ein ganz
neues Licht. Dieselben sind namentlich dadurch
von hoher Bedeutung, dass sich aus denselben auf
Rembrandts Charakter Rückschlüsse sehr zu Gun-
sten desselben ziehen lassen. Es geht daraus
hervor, dass der Künstler das Opfer der unglaub-
lichen Weitläufigkeit des Prozessverfahrens jener
Zeit und, wie es scheint, zum Teil leider auch
einer zu Gunsten einer hochstehenden Person
ausgeübten Parteilichkeit seitens des Richters
geworden ist. Bei dem eigentlichen Prozess, der
fast zehn Jahre dauerte, war Rembrandt selbst
gar nicht als Partei beteiligt; derselbe wurde
vielmehr von Rembrandts Gläubigern gegen den
Vormund von Rembrandts Sohn Titus ange-
strengt und geführt, nicht etwa von den Ver-
wandten von Rembrandts Frau gegen den Künst-
ler, wie man bisher angenommen hatte. Saskia
hatte in ihrem Testamente, welches sie auf dem
Sterbebette machte, ihren Sohn Titus zum allei-
nigen Erben eingesetzt, ihren Gatten aber zeitle-
bens oder bis zur Wiederverheiratung den Niess-
brauch des gesamten Vermögens vermacht und ihn
zugleich ausdrücklich von der Aufsicht der Ober-
vormundschaftsbehörde (Weeskamer) entbunden.
Rembrandt hatte infolge dessen nach dem Tode
der Saskia auch kein Inventar ihres Nachlasses
aufgestellt. Erst 1647 holte er dies, auf Verlangen
von Saskia’s Verwandten, nach, und diese Zu-
sammenstellung ergab die Summe von 40750 Gulden.
Offenbar hatten sich damals seine Vermögens-
verhältnisse schon sehr ungünstig gestaltet. Im
Jahre 1653 hatte der Künstler von dem Rats-
mitglied Cornelis Witsen und von dem Kaufmann

Isaak van Hertsbeek vor den Schöffen zwei Schuld-
verschreibungen von je 4200 Gulden unterzeichnet.
Als nun der Künstler, dessen Verhältnisse immer
misslicher wurden, am 17. Mai 1656 sein Haus auf
der St. Anthonis - Breestraat vor der Vormund-
schaftsbehörde auf den Namen seines Sohnes Titus
überschreiben liess, erklärten jene beiden Gläu-
biger, dies sei »in fraudem creditoris« geschehen,
erwirkten die Konkurserklärung und die Er-
nennung eines Konkurskurators, der ein Inventar
der Masse aufstellte. Da nun Rembrandt, der
selbst unter Kuratel stand, die Vormundschaft
seines Sohnes nicht mehr führen durfte, wurde
diesem durch die Weeskamer am 6. September
ein Vormund in der Person von Jan Verbout ge-
setzt, der später durch den betriebsameren Louis
Crayers ersetzt wurde. Die Rechtsgültigkeit jener
Ueberschreibung des Hauses wurde von den Gläu-
bigern bestritten, die mit ihren vor den Schöffen
ausgestellten Schuldverschreibungen vor allen an-
deren Gläubigern bevorzugt zu sein behaupteten,
während der Vormund von Titus eine stillschwei-
gende Hypothek am gesamten Vermögen Rem-
brandts geltend machte. Über diesen Rechtspunkt
schwebte der Prozess fast g Jahre lang; da er in
allen Instanzen zu Ungunsten des Titus van Rijn
entschieden wurde, so verschlangen allein die
Kosten einen grossen Teil vom Rest des Nach-
lasses seiner Mutter. Aber schon vor der Ent-
scheidung über diesen Kardinalpunkt hatte der
Ratsherr Witsen den Verkauf des auf Titus’ Namen
überschriebenen Hauses und seine Befriedigung
aus dem Erlös (am 22. Februar 1658) durchgesetzt;
sehr wahrscheinlich durch einen Missbrauch seiner
hohen Stellung. Den Bemühungen des Vor-
mundes gelang es jedoch, dies wieder rückgängig
machen zu lassen.
Im Laufe des Prozesses kamen einige Punkte in
Frage, welche auf Rembrandts Leben und Ver-
hältnisse nach verschiedenen Richtungen hin inter-
essantes Licht werfen. Die Gegenpartei hatte jenes

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