Erster Jahrgang.
Berlin den 15. Juli 1885.
No. 14.
DER KUNSTFREUND
Herausgegeben von Henry Thode
Erscheint am i. und 15. jeden Monats. Preis des Jahrgangs mit allen Beilagen 20 Mark.
Die Abonnenten des »Jahrbuchs der Königlich Preussischen Kunstsammlungen« erhalten den »Kunstfreund« gratis,
die Beilagen zu ermäfsigten Preisen.
DER MEDAILLEUR
GIAN CRISTOFORO ROMANO
In dem kürzlich erschienenen Buche A. Ber-
tolotti’s: »Artisti in relazione coi Gonzaga, Signori
di Mantova« (Modena, Vincenzi 1885) geschieht
mehrere Male des Gian Cristoforo Romano Er-
wähnung, dieses Vertrauten des Caradosso, der in
den Sonetti grotteschi des Lomazzo, zugleich mit
Tullio Lombardi und Agostino Busti, verherrlicht
wird. Sabba da Castiglione, sein Freund, hatte
die höchste Achtung vor ihm, so zwar, dass er
sagte: wenn nicht eine unheilbare Krankheit ihn
in seinem blühendsten Alter erfasst hätte, wäre
er der Dritte nach Donatello und Michelangelo
geworden. Er führt dann verschiedene seiner
Arbeiten in Mailand und Mantua an, vor Allem
das Grabmal des Galeazzo Visconti in der Certosa
zu Pavia, an dessen Ausführung er Teil hatte,
und rühmt ihn als Goldschmied, Bildhauer und
in besonderer Weise auch als Musiker. Leider
nun hat der Kürze wegen Bertolotti einen ihm
bekannten Brief, aus dem hervorgeht, dass Gian
Cristoforo Romano sich am 19. Februar 1502 in
Venedig befand, nicht publiziert. Dieser Brief ist
um so wertvoller, als er dazu dient, den Künstler
mit dem Cristoforo Romano, von dem der Anony-
mus des Morelli spricht, zu identifizieren, und
einen Kommentar bieten dürfte zu den von diesem
gegebenen Notizen über die von dem Künstler in
Venedig ausgeführten Arbeiten, unter denen eine
Schale folgendermafsen beschrieben wird: »eine
Schale von Krystall, aus fünf zu einem Ganzen
verbundenen Stücken bestehend, mit Streifen aus
vergoldetem Silber, ganz mit Intaglien, welche
Geschichten des Alten Testamentes darstellen,
geschmückt«. Ferner macht uns der Anonymus
noch mit einem anderen Werke des Cristoforo be-
kannt: dem Marmorgrabmal des Pier Francesco
Trecchi, welches sich in Cremona im rechten
Schiffe der Kirche S. Agata befindet und, wie der
neuere Herausgeber des Anonymus schreibt, »einen
ausgezeichnet leichten und anmutsvollen Schmuck
von Ornamenten und Blattwerk in flachem Relief«
zeigt. Das Denkmal trägt die Jahreszahl 1502,
also das Datum eben jenes von Bertolotti leider
nicht veröffentlichten Briefes.
Gegen das Ende des Jahres 1504 war Gian
Cristoforo Romano in Rom, wie wir aus einem
von Bertolotti mitgeteilten Dokumente erfahren,
in dem die Rede von einem antiken Cupido ist,
den die Marchesa von Mantova erworben, wahr-
scheinlich eben jenem Cupido, der als ein Werk
des Praxiteles in der Sammlung der Gonzaga
bewahrt und im Jahre 1632 nach England ge-
bracht wurde. Vom Juli bis September 1505
weilte der Bildhauer in Mailand und sandte durch
Vermittlung des Caradosso der Marchesa von
Mantova die Zeichnung eines Monumentes, das
er vor seiner erneuten Abreise nach Rom, wohin
er vom Papste gerufen war, auszuführen versprach.
Bertolotti bringt einen Teil des Dokumentes, aus
dem man erfährt, dass es sich um das Grabmal
der »beata Osanna« handelte, ohne doch der Notiz
irgend welche Erklärung beizugeben. Das Grab-
mal, nämlich der Sarkophag, welcher die sterbliche
Hülle der seligen Osanna Andreasi aus Mantua,
welche dem dritten Orden des hl. Dominicus an-
gehört hatte und im Juni 1505 gestorben war,
enthalten sollte, wurde im Auftrage der frommen
Marchesa Isabella d’Este skulpiert und mit den
Reliquien der Seligen in S. Domenico zu Mantua
aufgestellt. Eine Abbildung desselben kann man
in den Acta Sanctorum der Bollandisten (T. III
p. 643) sehen. — Das wichtigste von Bertolotti
beigebrachte auf den Künstler bezügliche Doku-
ment aber ist ein Brief, den Giacomo d’Atri,
Mantuanischer Orator in Neapel, am 24. Oktober
1507 an Isabella richtet. Dank desselben sind wir
berechtigt, Gio. Cristoforo Romano unter die ge-
schicktesten Medailleure der Renaissance einzu-
reihen. Dies der Brief:
Berlin den 15. Juli 1885.
No. 14.
DER KUNSTFREUND
Herausgegeben von Henry Thode
Erscheint am i. und 15. jeden Monats. Preis des Jahrgangs mit allen Beilagen 20 Mark.
Die Abonnenten des »Jahrbuchs der Königlich Preussischen Kunstsammlungen« erhalten den »Kunstfreund« gratis,
die Beilagen zu ermäfsigten Preisen.
DER MEDAILLEUR
GIAN CRISTOFORO ROMANO
In dem kürzlich erschienenen Buche A. Ber-
tolotti’s: »Artisti in relazione coi Gonzaga, Signori
di Mantova« (Modena, Vincenzi 1885) geschieht
mehrere Male des Gian Cristoforo Romano Er-
wähnung, dieses Vertrauten des Caradosso, der in
den Sonetti grotteschi des Lomazzo, zugleich mit
Tullio Lombardi und Agostino Busti, verherrlicht
wird. Sabba da Castiglione, sein Freund, hatte
die höchste Achtung vor ihm, so zwar, dass er
sagte: wenn nicht eine unheilbare Krankheit ihn
in seinem blühendsten Alter erfasst hätte, wäre
er der Dritte nach Donatello und Michelangelo
geworden. Er führt dann verschiedene seiner
Arbeiten in Mailand und Mantua an, vor Allem
das Grabmal des Galeazzo Visconti in der Certosa
zu Pavia, an dessen Ausführung er Teil hatte,
und rühmt ihn als Goldschmied, Bildhauer und
in besonderer Weise auch als Musiker. Leider
nun hat der Kürze wegen Bertolotti einen ihm
bekannten Brief, aus dem hervorgeht, dass Gian
Cristoforo Romano sich am 19. Februar 1502 in
Venedig befand, nicht publiziert. Dieser Brief ist
um so wertvoller, als er dazu dient, den Künstler
mit dem Cristoforo Romano, von dem der Anony-
mus des Morelli spricht, zu identifizieren, und
einen Kommentar bieten dürfte zu den von diesem
gegebenen Notizen über die von dem Künstler in
Venedig ausgeführten Arbeiten, unter denen eine
Schale folgendermafsen beschrieben wird: »eine
Schale von Krystall, aus fünf zu einem Ganzen
verbundenen Stücken bestehend, mit Streifen aus
vergoldetem Silber, ganz mit Intaglien, welche
Geschichten des Alten Testamentes darstellen,
geschmückt«. Ferner macht uns der Anonymus
noch mit einem anderen Werke des Cristoforo be-
kannt: dem Marmorgrabmal des Pier Francesco
Trecchi, welches sich in Cremona im rechten
Schiffe der Kirche S. Agata befindet und, wie der
neuere Herausgeber des Anonymus schreibt, »einen
ausgezeichnet leichten und anmutsvollen Schmuck
von Ornamenten und Blattwerk in flachem Relief«
zeigt. Das Denkmal trägt die Jahreszahl 1502,
also das Datum eben jenes von Bertolotti leider
nicht veröffentlichten Briefes.
Gegen das Ende des Jahres 1504 war Gian
Cristoforo Romano in Rom, wie wir aus einem
von Bertolotti mitgeteilten Dokumente erfahren,
in dem die Rede von einem antiken Cupido ist,
den die Marchesa von Mantova erworben, wahr-
scheinlich eben jenem Cupido, der als ein Werk
des Praxiteles in der Sammlung der Gonzaga
bewahrt und im Jahre 1632 nach England ge-
bracht wurde. Vom Juli bis September 1505
weilte der Bildhauer in Mailand und sandte durch
Vermittlung des Caradosso der Marchesa von
Mantova die Zeichnung eines Monumentes, das
er vor seiner erneuten Abreise nach Rom, wohin
er vom Papste gerufen war, auszuführen versprach.
Bertolotti bringt einen Teil des Dokumentes, aus
dem man erfährt, dass es sich um das Grabmal
der »beata Osanna« handelte, ohne doch der Notiz
irgend welche Erklärung beizugeben. Das Grab-
mal, nämlich der Sarkophag, welcher die sterbliche
Hülle der seligen Osanna Andreasi aus Mantua,
welche dem dritten Orden des hl. Dominicus an-
gehört hatte und im Juni 1505 gestorben war,
enthalten sollte, wurde im Auftrage der frommen
Marchesa Isabella d’Este skulpiert und mit den
Reliquien der Seligen in S. Domenico zu Mantua
aufgestellt. Eine Abbildung desselben kann man
in den Acta Sanctorum der Bollandisten (T. III
p. 643) sehen. — Das wichtigste von Bertolotti
beigebrachte auf den Künstler bezügliche Doku-
ment aber ist ein Brief, den Giacomo d’Atri,
Mantuanischer Orator in Neapel, am 24. Oktober
1507 an Isabella richtet. Dank desselben sind wir
berechtigt, Gio. Cristoforo Romano unter die ge-
schicktesten Medailleure der Renaissance einzu-
reihen. Dies der Brief: