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Erster Jahrgang.

Berlin den 1. Juli 1885.

No. 13.

DER KUNSTFREUND

Herausgegeben von Henry Thode

Erscheint am i. und 15. jeden Monats. Preis des Jahrgangs mit allen Beilagen 20 Mark.
Die Abonnenten des »Jahrbuchs der Königlich Preussischen Kunstsammlungen« erhalten den »Kunstfreund« gratis,
die Beilagen zu ermäfsigten Preisen.

EIN ZWEITES WERK VON JAN JOEST
In seinem Aufsatz über Jan Joest (Christe-
lyke Kunst in Holland en Vlaanderen JI, 41)
spricht Taurel die Vermutung aus, es seien äusser
dem umfangreichen Kalkarer Altarwerke wohl
noch andere Gemälde von der Hand dieses Meisters
erhalten, selbst in öffentlichen Sammlungen; und
allerdings wäre es nicht unberechtigt, anzunehmen,
nur die bisherige geringe Bekanntschaft der Kunst-
historiker mit jenem Altarwerke in dem entlege-
nen Kalkar sei der Grund, dass noch kein anderes
Bild dieses hervorragenden Malers gefunden und
anerkannt sei.') Jedoch muss ich Taurel gegen-
über leider erklären, dass keine Aussicht vorhan-
den ist, man werde eine irgend beträchtliche An-
zahl von Joest’s Gemälden nachweisen können;
denn mir ebensowenig wie den anderen auf dem
betreffenden Gebiete thätigen deutschen Kunst-
forschern, die in den letzten Jahren Kalkar be-
sucht haben, war bis jetzt ein einziges Bild auf-
gestossen, das man diesem Künstler hätte zu-
schreiben dürfen (ich sehe dabei ab von der
Identifizierung desselben mit dem »Meister des
Todes Mariä«). Die grosse Seltenheit von Wer-
ken holländischer Maler dieser Zeit, und nament-
lich von Haarlemern, erklärt sich aus geschicht-
lichen Umständen auch nur zu leicht.
Bei dieser Sachlage ist es sehr erfreulich, dass
jetzt ein umfangreiches Gemälde auftaucht, welches
mit grosser Wahrscheinlichkeit für ein Werk Jan
Joest’s gehalten werden darf; auch ist dasselbe
sehr lehrreich für des Meisters späteren Ent-
wicklungsgang. Es stellt eine »Ausgiessung
des hl. Geistes« dar, h. i,18, br. i,bo Meter, auf
Eichenholz, und ist seit Kurzem im Besitz von
') Anmerkung. In Betreff einiger Bilder, welche in der
älteren Litteratur als »Jan von Kalkar« galten, verweise ich
auf meinen Aufsatz über die angebliche Kalkarer Malerschule,
Zeitschr. f. bild. Kunst 18, 59 — 62.

Otto Wesendonck in Berlin. Bis 1863 war
es in der Sammlung Abel in Stuttgart und her-
nach, nur von Wenigen gekannt, bei Julius Letten-
mayer und Friedr. Wirth ebendort. Bisher hiess
es »B. Bruyn«, mit welchem es aber keinen
näheren Zusammenhang hat, selbst nicht mit
dessen frühesten Werken. Der erste, welcher es
unserem Meister zusprach und es aus seiner Stutt-
garter Verborgenheit zog, war Eisenmann; ich
schloss mich seiner Ansicht bald an und eine
Anzahl von hiesigen Fachgenossen stimmt zu
(letztere auf Grund der Vergleichung mit den
Kalkarer Photographien). Obgleich Lettenmayer
in seinem Auktionskatalog vom Jahre 1877 be-
hauptet, das Bild sei von Schnaase und Waagen
erwähnt, finde ich nur eine einzige ältere Be-
sprechung, in E. Försters Gesch. der deutschen
Kunst 2, 174, der in diesem Bilde »fast alle Kenn-
zeichen« der Kunstweise des Meisters vom Tode
Mariä sieht. Auf die Beziehung des Gemäldes
zu diesem Kölner werde ich später zurückkom-
men, dasselbe dagegen zunächst in seinen Haupt-
zügen zu charakterisieren suchen, unter fortwäh-
render Vergleichung mit dem Altar in Kalkar.
Es muss dabei zugestanden werden, dass beide
Werke durchaus nicht vollkommen stilgleich sind,
sondern dass Vieles dafür spricht, das Pfingstbild
sei bedeutend später entstanden, als der bekannt-
lich von 1505—8 gemalte Altar, wohl gegen das
Ende der künstlerischen Thätigkeit Jan Joest’s,
der 1519 starb.
Die beigegebene vortreffliche Abbildung erspart
mir eine Beschreibung im Einzelnen (eine sehr ge-
lungene Photographie in Royalformat ist bei der
Photogr. Gesellschaft in Berlin zu Mk. 4,50 käuflich).
Die Anordnung der Figuren ist für einen
Niederländer dieser Zeit sehr gut: es bilden sich
um Maria zwei flache Halbrunde, deren eines die
vier knieenden vordersten Apostel, deren anderes
diejenigen, welche hinter diesen und Maria stehen,
umfasst. Auch die Bewegungen sind meist glück-
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