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Das Grabmal der Herzöge von Orleans in Saint
Denis betitelt sich ein soeben in der »Gazette
Archeologique« erschienener Aufsatz H. von
Tschudi’s, in welchem der interessante Nachweis
geführt wird, dass das figurenreiche Denkmal, wel-
ches die vier liegenden Figuren von Karl, dem
Vater Ludwig’s XII, Philipp comte de Vertus,
Ludwig Herzog von Orleans und Valentine von
Mailand auf einem durch vierundzwanzig mit
Statuetten geschmückte Nischen belebten massigen
Sarkophag zeigt, von italienischen Künstlern aus-
geführt worden ist. In einem von Alizeri in seinen
»Notizie dei professori del disegno in Liguria«
(IV B. p. 286) publizierten Dokumente nämlich
weist von Tschudi den von Jean Hernoet (sic!),
Sekretär Ludwig’s XII, im August’1502 in Genua
vier Bildhauern gegebenen Auftrag des Grabmals
nach, dessen Beschreibung genau mit dem Denk-
male in Saint Denis übereinstimmt. Die Künstler
sind der durch seine Arbeiten in Genua von 1466
bis 1495 bekannte Michele d’Aria de Pello
di maestro Beltramo, der wiederholt mit diesem
zusammen thätige Girolamo Viscardo di
maestro Paolo, der von 1497 bis 1522 erwähnt
wird, Donato di Battista di Matteo Benti,
der unter Anderem auch aus den Briefen Michel-
angelo’s bekannt ist und endlich Benedetto da
Rovezzano, der bekannte Florentiner Meister.
Welchen Anteil jeder der vier Künstler an dem
Werke hat, ist schwer zu bestimmen, doch neigt
von Tschudi zu der Ansicht, dass die Florentiner
am ersten die Statuetten der Nischen gefertigt,
die bei weitem feiner als die Figuren der Ver-
storbenen sind, und macht es wahrscheinlich,
dass sie es waren, welche den Transport nach
Paris leiteten. Seine Vermutung, dass die Zeich-
nung dieser auf italienischem Boden ganz unge-
wöhnlichen Grabmalsform von einem französischen
Künstler herrühre, hat etwas durchaus Über-
zeugendes.
Ein Brief von Rubens. Herr Ruelens, einer der
Konservatoren der Königlichen Bibliothek in
Brüssel und Mitglied der in Antwerpen gebildeten
Rubens-Kommission, hat soeben in den italieni-
schen Archiven eine Forschungsreise nach neuen,
den grossen Maler betreffenden Dokumenten
gemacht. Er hat einen nicht edierten, ausnehmend
langen Brief des Meisters vom Jahre 1635 ge-
funden. Derselbe, an Peiresc adressiert und, wie
die Mehrzahl der Sendschreiben von Rubens, in
italienischer Sprache redigiert, wird demnächst
veröffentlicht werden. Rubens giebt darin keine
bisher unbekannten Nachrichten über sich selbst,
aber spricht von ihn betreffenden Vorfällen,
namentlich von seiner zweiten Heirat, in höchst
ausführlicher Weise, da schon seit
Jahren der Krieg seine Beziehungen
unterbrochen hatte. Das Dokument
sehen erregen.
VERSTEIGERUNGEN
Die Versteigerung der Sammlung alter Bilder
des Earl Cowley, welche dieser während seines
Aufenthaltes als Minister in Spanien angelegt, wird
von Christie, Manson und Woods für den
18. Juli d. J. angezeigt.
Ueber die Versteigerung der Sammlung Beckett-
Denison werden wir in der nächsten Nummer
zusammenhängend berichten.
BIOGRAPHISCHES
Edmund Baron Bruiningk. Durch den am
9. Februar d. J. in Meran erfolgten Tod dieses
Forschers hat die Kunstwissenschaft eine schwere
Einbusse erlitten. Da Bruiningk, der vor Errei-
chung seines vierzigsten Lebensjahres starb, bis-
her nicht dazu gelangt war, die Ergebnisse seiner
vielseitigen und eindringenden Forschungen zu
veröffentlichen, so wurde er auch nur innerhalb
eines kleinen Kreises von Fachgenossen bekannt.
Ein paar Notizen über ihn von Freundeshand
dürften daher hier am Platze sein.
Am 7. August 1846 geboren, studierte er in
Dorpat Jura, bereiste dann während einiger Jahre
die wichtigsten Sammlungen Europa’s, deren In-
halt er unter Zuhilfenahme der einschlägigen
Litteratur stets kritisch prüfte, und trat dann, in
solcher Weise trefflichst vorbereitet, 1874 in die
Verwaltung der Gemäldegalerie der Ermitage zu
St. Petersburg ein. Hier machte er zu seiner
Hauptaufgabe das Sammeln von Materialien für
einen neuen erschöpfenden Katalog der Galerie.
Auf einer eigens zu diesem Zweck im Jahre 1879
unternommenen Reise holte er sich in Oberitalien
den Keim zu jenem Lungenleiden, welches sei-
nem Leben so frühzeitig ein Ende bereiten sollte.
Fortan musste er zu wiederholten Malen ein mil-
deres Klima aufsuchen und seine Arbeiten für
längere Zeiten unterbrechen: aber nie liess er
sein Ziel aus dem Auge, selbst nicht, nachdem
er, der 1882 zum Konservator (Direktor) der Er-
mitage-Galerie befördert worden war, im Jahre
1884 in den Ruhestand versetzt wurde. Bei seinem
mehreren
zu Peiresc
wird Auf-
H. H.
20Ö
Das Grabmal der Herzöge von Orleans in Saint
Denis betitelt sich ein soeben in der »Gazette
Archeologique« erschienener Aufsatz H. von
Tschudi’s, in welchem der interessante Nachweis
geführt wird, dass das figurenreiche Denkmal, wel-
ches die vier liegenden Figuren von Karl, dem
Vater Ludwig’s XII, Philipp comte de Vertus,
Ludwig Herzog von Orleans und Valentine von
Mailand auf einem durch vierundzwanzig mit
Statuetten geschmückte Nischen belebten massigen
Sarkophag zeigt, von italienischen Künstlern aus-
geführt worden ist. In einem von Alizeri in seinen
»Notizie dei professori del disegno in Liguria«
(IV B. p. 286) publizierten Dokumente nämlich
weist von Tschudi den von Jean Hernoet (sic!),
Sekretär Ludwig’s XII, im August’1502 in Genua
vier Bildhauern gegebenen Auftrag des Grabmals
nach, dessen Beschreibung genau mit dem Denk-
male in Saint Denis übereinstimmt. Die Künstler
sind der durch seine Arbeiten in Genua von 1466
bis 1495 bekannte Michele d’Aria de Pello
di maestro Beltramo, der wiederholt mit diesem
zusammen thätige Girolamo Viscardo di
maestro Paolo, der von 1497 bis 1522 erwähnt
wird, Donato di Battista di Matteo Benti,
der unter Anderem auch aus den Briefen Michel-
angelo’s bekannt ist und endlich Benedetto da
Rovezzano, der bekannte Florentiner Meister.
Welchen Anteil jeder der vier Künstler an dem
Werke hat, ist schwer zu bestimmen, doch neigt
von Tschudi zu der Ansicht, dass die Florentiner
am ersten die Statuetten der Nischen gefertigt,
die bei weitem feiner als die Figuren der Ver-
storbenen sind, und macht es wahrscheinlich,
dass sie es waren, welche den Transport nach
Paris leiteten. Seine Vermutung, dass die Zeich-
nung dieser auf italienischem Boden ganz unge-
wöhnlichen Grabmalsform von einem französischen
Künstler herrühre, hat etwas durchaus Über-
zeugendes.
Ein Brief von Rubens. Herr Ruelens, einer der
Konservatoren der Königlichen Bibliothek in
Brüssel und Mitglied der in Antwerpen gebildeten
Rubens-Kommission, hat soeben in den italieni-
schen Archiven eine Forschungsreise nach neuen,
den grossen Maler betreffenden Dokumenten
gemacht. Er hat einen nicht edierten, ausnehmend
langen Brief des Meisters vom Jahre 1635 ge-
funden. Derselbe, an Peiresc adressiert und, wie
die Mehrzahl der Sendschreiben von Rubens, in
italienischer Sprache redigiert, wird demnächst
veröffentlicht werden. Rubens giebt darin keine
bisher unbekannten Nachrichten über sich selbst,
aber spricht von ihn betreffenden Vorfällen,
namentlich von seiner zweiten Heirat, in höchst
ausführlicher Weise, da schon seit
Jahren der Krieg seine Beziehungen
unterbrochen hatte. Das Dokument
sehen erregen.
VERSTEIGERUNGEN
Die Versteigerung der Sammlung alter Bilder
des Earl Cowley, welche dieser während seines
Aufenthaltes als Minister in Spanien angelegt, wird
von Christie, Manson und Woods für den
18. Juli d. J. angezeigt.
Ueber die Versteigerung der Sammlung Beckett-
Denison werden wir in der nächsten Nummer
zusammenhängend berichten.
BIOGRAPHISCHES
Edmund Baron Bruiningk. Durch den am
9. Februar d. J. in Meran erfolgten Tod dieses
Forschers hat die Kunstwissenschaft eine schwere
Einbusse erlitten. Da Bruiningk, der vor Errei-
chung seines vierzigsten Lebensjahres starb, bis-
her nicht dazu gelangt war, die Ergebnisse seiner
vielseitigen und eindringenden Forschungen zu
veröffentlichen, so wurde er auch nur innerhalb
eines kleinen Kreises von Fachgenossen bekannt.
Ein paar Notizen über ihn von Freundeshand
dürften daher hier am Platze sein.
Am 7. August 1846 geboren, studierte er in
Dorpat Jura, bereiste dann während einiger Jahre
die wichtigsten Sammlungen Europa’s, deren In-
halt er unter Zuhilfenahme der einschlägigen
Litteratur stets kritisch prüfte, und trat dann, in
solcher Weise trefflichst vorbereitet, 1874 in die
Verwaltung der Gemäldegalerie der Ermitage zu
St. Petersburg ein. Hier machte er zu seiner
Hauptaufgabe das Sammeln von Materialien für
einen neuen erschöpfenden Katalog der Galerie.
Auf einer eigens zu diesem Zweck im Jahre 1879
unternommenen Reise holte er sich in Oberitalien
den Keim zu jenem Lungenleiden, welches sei-
nem Leben so frühzeitig ein Ende bereiten sollte.
Fortan musste er zu wiederholten Malen ein mil-
deres Klima aufsuchen und seine Arbeiten für
längere Zeiten unterbrechen: aber nie liess er
sein Ziel aus dem Auge, selbst nicht, nachdem
er, der 1882 zum Konservator (Direktor) der Er-
mitage-Galerie befördert worden war, im Jahre
1884 in den Ruhestand versetzt wurde. Bei seinem
mehreren
zu Peiresc
wird Auf-
H. H.