Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2 59

2ÖO

Das zweite in Blenheim erworbene Gemälde des
Rubens, das grosse Bacchanal, gehört einer
früheren Zeit des Meisters an, die sich aus dem
Alter seiner ersten Frau, deren Bildnis zuäusserst
rechts angebracht ist, sowie namentlich ihrer
beiden Söhne, die unter den vier Kindern un-
schwer heraus zu erkennen sind, ziemlich genau
bestimmen lässt. Da diese Söhne im Jahre 1614
und 1618 geboren wurden und hier etwa 5 und
resp. 1 y2 Jahre alt erscheinen, so muss das Bild
um 1619 gemalt sein. Damit stimmen auch Fär-
bung und Behandlung überein: die kühlen bläu-
lichen Halbschatten, die rothen Reflexlichter, die
breite dekorative Behandlung, die aber selbst in
den Nebensachen (wie in den Früchten) die Hand
des grossen Künstlers zeigt. Der Reichtum und
die Kraft der Farben sind selbst für Rubens ausser-
ordentlich und verraten das Vorbild Tizians, den
der Künstler so viel studiert und kopiert hat. Die
sinnliche Lust hat der Künstler hier in der naiven
Freude der Kinder, in der ausgelassenen Lust der
jungen Weiber, in allen Altersstufen des Geschlechts
bis zum sinnlosen Taumel des alten Schlem-
mers mit der grössten Feinheit der Charakteristik
und in den wirkungsvollsten Gegensätzen zum
Ausdruck gebracht. Das Zusammenwirken aller
dieser Rubens eigentümlichen Vorzüge hat dem
Werk stets die grösste Bewunderung aller Kunst-
freunde erworben. John Smith sagt in seinem
Catalogue raisonne von dem Bilde: »Diese herr-
liche Komposition besitzt, wie mit Recht von
allen Kennern anerkannt wird, eine seltene Ver-
einigung aller der mannigfachen Schönheiten,
welche diese Art Vorwürfe (des Rubens) aus-
zeichnen und eine Fülle der Charakteristik und
Pracht der Farbe, worin sie kein anderes Gemälde
übertrifft.« Smith schätzt das Bild daher, trotz der
englischen Prüderie gegenüber dem Motiv, so hoch
wie kaum ein anderes von Rubens’ Werken, auf
5000 £, einen für das Jahr 1830 ganz ausser-
ordentlichen Preis. Auch Waagen schliesst sich
diesem Urteil in seinen »Art treasures in Great
Britain« unbedingt an.
Wer dies Gemälde jetzt in unserer Galerie zum
ersten Male sieht, wird doch vor demselben das
Gefühl haben, dasselbe Bild oder doch ein ganz
ähnliches schon früher irgendwo einmal gesehen
zu haben. In der That hat die Münchener
Pinakothek ein etwas kleineres, aus der Düssel-
dorfer Galerie stammendes Gemälde aufzuweisen,
welches dem unserigen sehr ähnlich ist und zu
demselben in der nächsten Beziehung steht(No-754).
Betrachtet man dieses Münchener Bild genau
(was leider jetzt bei der hohen Aufstellung un-
möglich ist), so erkennt man unschwer, dass

dasselbe nicht von vornherein seine jetzige Form
hatte. Die Hauptgruppe fällt nämlich durch Ton
und Behandlung etwas heraus, und bei näherer
Untersuchung ergiebt sich, dass der vorn Neger und
einem alten Weibe unterstützte Silen das ursprüng-
liche Bild ausmachte, welches Rubens später unten
und an den beiden Seiten anstücken liess und
ganz breit und flüchtig, aber sehr geistreich zu der
jetzigen Komposition erweiterte. Mutmafslich ge-
schah dies, als der Künstler den Auftrag zu unserem
Bilde bekam, denn jene Ansätze sind ganz skizzen-
haft behandelt, und die ganze Komposition hat
unserem Bilde doch nur als Unterlage gedient,
die vielfach umgearbeitet und verändert ist. An
die Stelle der Alten, welche in dem Münchener
Bilde den trunkenen Silen stützt, hat Rubens
hier den köstlich humoristischen Faun mit
Schweinsohren gebracht; die Gruppe der Fau-
neskin, welche trunken am Boden liegend
ihre Brut säugt, hat er durch die reizenden
Kinder mit den Früchten ersetzt; und in die
Gruppe zuäusserst rechts hat er namentlich jene
herrliche Gestalt der jungen nackten Bacchantin
mit dem aschblonden Haar neu eingeführt, deren
starrer Blick verrät, dass auch sie unter dem
Banne der edlen Flüssigkeit steht, welche diese
ausgelassene Schaar in Bewegung setzt und ziellos
in die Ferne treibt. Von allen Kompositionen
dieser Art (in der National Gallery zu London,
in der Ermitage, in München u. s. f.), deren
Motive Rubens augenscheinlich den von ihm so
gründlich studierten antiken Sarkophagreliefs ent-
lehnte, ist keine so durchgearbeitet und vollendet,
wie diese. Es sind daher schon zu Rubens’ Zeit
eine Reihe von Stichen nach den verschiedenen
Stadien, welche die Komposition durchgemacht
hat, ausgeführt worden: von Soutman, Boiswert,
Jaeghers, R. van Orley, Panneeis; im vorigen
Jahrhundert ein Schabkunstblatt des Blenheimer
Bildes von Hodges.
Das vierte und letzte Bild des Blenheimer
Ankaufs ist nur von geringem Umfang und
ist auch nur unter der bescheidenen Benennung
»Niederländischer Meister um 1540« der Galerie
eingereiht worden. In Blenheim ist das Bild
kaum beachtet worden, obgleich es den Namen
Holbein führte: hing es doch unmittelbar unter
der Decke des hohen Zimmers; und wer es sich
näher betrachtete, überzeugte sich, dass es mit
einem Bildnis von Rubens in der Pinakothek von
zweifelloser Echtheit identisch sei, dass es also
wohl nur eine Schulkopie danach sein könne.
Eine zufällige Prüfung des Bildes in der Nähe
überzeugte uns, dass das Verhältnis gerade das
umgekehrte sein müsste: das Bild in der Pina-
 
Annotationen