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farblose, und zwar aus demselben Grunde farblos,
aus dem die Farbigkeit für die griechische Plastik
zur stilistischen Notwendigkeit geworden war.
Die Bildnerei der christlichen Zeit erhält ihre
erste schöpferische Anregung von der Neugestal-
tung der kirchlichen Baukunst seit dem XII Jahr-
hundert. Sie wird zum Schmuck der Portale und
Fassaden herangezogen und hat sich den Stil-
bedingungen der Architektur unterzuordnen. Diese
Architektur nun ist, abgesehen von den Innen-
räumen, selbst eine farblose. Höchstens kennt
sie die Belebung durch streifenförmig angeordnete
oder mosaikartig zusammengefügte bunte Steine.
Aber eine Bemalung ist ihr durchaus fremd
und wird daher auch von dem bildnerischen
Schmuck nicht gefordert. Dabei hat die Stein-
skulptur vermutlich gar nicht erst mit der antiken
Tradition zu brechen gebraucht, denn dass diese
vom Schluss des VI bis zum Beginn des XII Jahr-
hunderts lebendig geblieben, müsste erst nachge-
wiesen werden. Sie schliesst sich in ihrer formalen
Auffassung und in ihrem Stoffgebiet vielmehr
durchweg an andere Kunstzweige, deren Kontinui-
tät weniger gelitten hatte.
Die Farblosigkeit war also auf dem eigentlich
stilbildenden Gebiet der Plastik, der Steinskulptur,
da und herrschend, lange bevor zum ersten Mal
wieder die antiken Werke einen sichtbaren Einfluss
gewannen. Dass Niccolö Pisano daran nichts än-
derte, darf uns nicht wundern, denn der Hippo-
lytossarkophag und die bacchische Vase, die ihm
in Pisa zum Vorbild dienten, waren, wenn über-
haupt je, zu seiner Zeit gewiss nicht mehr farbig.
Es änderten daran aber auch die Antiken, die seit
dem XV Jahrhundert der schützenden Erde ent-
stiegen, nichts und man muss den so beliebten
Satz, dass die italienischen Renaissance-Meister
den Stil der farblosen Steinskulptur, den sie von
den Alten überkommen zu haben meinten, ge-
wissermafsen erst selbst schufen, gerade in sein
Gegenteil umkehren. Die unbemalte Steinskulp-
tur hatte sich so folgerichtig aus den äusseren
Bedingungen entwickelt, sie hatte sich zu einer
so festen Tradition ausgebildet, dass auch die
Farbenspuren der antiken Figuren sie in ihrem
Bestand nicht zu erschüttern vermochte. Denn un-
bemerkt blieben diese gewiss nicht, wenn und wo
sie vorhanden waren. Dass die Künstler der
Renaissance ein offnes Auge dafür hatten, beweist
die Freudigkeit, mit der die Malerei an die Reste
alter Wanddekorationen anknüpfte.
Dieses Stilgesetz der Übereinstimmung von
Architektur und Plastik ist ein so fundamentales,
dass es sich auch ausserhalb Italiens in ganz
gleicher Weise geltend macht. Brabant erfreute

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sich seit dem XIV Jahrhundert einer lebhaften
Produktion polychromer Skulpturen, aber man
sehe nur auf Roger van der Weydens Bildern die
gemalten gotischen Portale mit ihren eintönig
grauen Statuen, um sich von den Grenzen der
Polychromie zu überzeugen. Und wer wollte auch
hier die missverstandene Antike zum Sündenbock
der Farblosigkeit machen?
Dass die Steinbildnerei im Dienst einer farb-
losen Architektur erwachsen war, verleugnet sich
aber auch dann nicht, wenn sie zur Ausstattung
von Innenräumen, sei es in Kirchen oder Palästen,
verwertet wird. Von einer eigentlichen Bemalung
ist nirgends die Rede. Die Farbe wird nur so
weit benutzt, als sie unbedingt zur Verdeutlichung
der Form nötig ist. Das Äusserste wohl, zu dem
man sich entschliessen konnte, zeigt eine Alabaster-
statue der Maria mit dem Kinde, eine siziliani-
sche Arbeit aus dem Anfang des XVI Jahrhun-
derts, in der sich aber die Tradition der pisani-
schen Zeit auffallend gut erhalten hat. Das Haar,
dann die Gewandsäume sind vergoldet, der Mantel
überdies mit einem Goldmuster bedeckt. Augen-
brauen und Pupillen sind mit dunkler Farbe ge-
zeichnet, die Lippen leicht gerötet, die Innen-
seiten der Gewänder, wo sie sichtbar werden, blau
bemalt. Bei den Reliefs kam häufig noch der blaue
Anstrich des Grundes hinzu, um das Figürliche
herauszuheben. Donatello verwendet zu demselben
Zweck buntes Glasmosaik. Man sieht, dieses
Äusserste, das man wagte, hat den Grundzug der
Farblosigkeit nicht zu zerstören vermocht. Aber
man ging durchaus nicht immer so weit. Selbst die
Bemalung der Augen scheint nicht feste Regel
gewesen zu sein. Auf den ältesten Kanzelreliefs
des XII und XIII Jahrhunderts, an jenen in
S. Michele in Groppoli und in S. Bartolomeo
in Pantano in Pistoja, haben die Augäpfel vorn
eine runde Vertiefung, die mit Farbstoff aus-
gefüllt wurde, bei einer kleinen Trecentobüste
der Berliner Museen ist die Höhlung mit Blei
ausgefüllt. Schon Fra Guglielmo’s Kanzel in
S. Giovanni fuorcivitas in Pistoja zeigt aber eine
Behandlung, die wohl auf die Mitwirkung der Farbe
verzichtete. Wie in der römischen Kunst ist der
Augenstern durch eine eingegrabene Kreislinie und
einen Punkt charakterisiert. Diese Technik bleibt
dann durch das ganze XV Jahrhundert lebendig, sie
findet sich von Donatello bis Michelangelo, ja selbst
bei Marmorbüsten, die doch am ehesten eine natura-
listische Färbung zu fordern schienen. Wo man
aber nicht einmal dieser rein zeichnerischen Ver-
wertung der Farbe begegnet, da ist sie sicher
überhaupt nicht herbeigezogen worden. Daneben
freilich giebt es eine ganze Reihe von Büsten,
 
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