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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 4.1893

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Schlie, Friedrich: Aus den Grossherzoglichen Kunstsammlungen zu Schwerin, [3]: die Sammlung Thormann
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https://doi.org/10.11588/diglit.3942#0195

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AUS DEN GROSSHERZOGLICHEN KUNSTSAMMLUNGEN ZU SCHWERIN.

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Einfassungen, Basen und Gesimse wurden ersonnen,
bisweilen passend, bisweilen gar nicht passend, und
doch eigentlich niemals geschmacklos. Scharfe Unter-
scheidung der Profile des gotischen und des Re-
naissancestils war nicht seine Sache. Wenn er
Koffer und Laden sonst nicht veränderte, so gab er
ihnen wenigstens einen neuen Untersatz, um sie
höher zum Auge hinaufzubringen. Diese Untersätze
sind aber so reizend ersonnen und so gut den alten
Teilen angepasst, dass es eine Barbarei sein würde,
sie wieder wegzuthun. David Thormann würde sich
sehr wohl mit jener Zeit der altrömischen Kunst
vertragen haben, in welcher das bekannte Komposit-
kapitell aus einer Vereinigung des ionischen und
korinthischen Kapitells entstand. Wer ist, der heute
ob solcher Verschmelzung zürnte? So mag man
es denn auch dem von einem unwiderstehlichen
Schaffensdrange getriebenen Wismarschen Kaufmann
nachsehen, wenn er z. B. aus drei Truhen einen
dreistöckigen Büffettschrank erbaute und mit verhält-
nismäßig wenigen Zuthaten verwandter Renaissance-
formen ein Ganzes schuf, gegen welches sich als
Büffettform kaum etwas einwenden lässt. (Siehe die
Abbildung.) Der untere Teil dieses Buffetts ist eine
alte. Travemünder Lade von hervorragend schöner
Schnitz- und Einlegearbeit, bei welcher Thormann
seinem Bedürfnis nach architektonischer Veränderung
dadurch Rechnung getragen hat, dass er den mittleren
Teil soweit hineinschob, dass die Seitenteile zu zwei
vorspringenden Flügeln wurden. Als zweites Stockwerk
setzte er die Vorderwand einer zweiten Lade auf, die
in einer mit allegorischen Figuren gefüllten Arkaden-
reihe besteht, aber nicht die gleiche Güte der Arbeit hat,
wie der untere Teil. Die darüber liegende Borte wird
von gut geschnitzten Pilastern in Hermenform getragen.
Als drittes Stockwerk erblicken wir endlich die Vor-
derwand einer dritten, zwei neutestamentliche Scenen
in Schnitzwerk zeigenden Lade. Zur Ausgleichung
und Verbindung der verschiedenen Längen dieser
Ladenteile mit einander sind dann Belastungspyra-
miden, Cartonchen, sowie Roll- und Bandwerk in
durchaus nicht ungeschickter Weise verwandt.
Freilich glückte ihm nicht jedes Stück so wie dieses,
für welches er an einem älteren ähnlichen Kompo-
sitstück in dem Hause seines langjährigen Freundes
Dr. Crull ein Vorbild gefunden hatte. Weniger glück-
lich ist z. B. ein sogenannter Hörnschrank (d. i.
Eckschrank) komponirt, der heute mit dem genannten
Buffett zusammen in einer Koje des neu eröffneten
Museumssaales Jsteht. Indessen sind hier wieder die
einzelnen Teile, besonders die Relieffüllungen und

Pilaster der Hauptseite, von so hohem Reiz, dass
man bei ihrem Anblicke die verschiedenartige Her-
kunft ganz vergisst.

Als künstliche Kompositstücke, die aus verschie-
denen alten Originalen hergestellt sind, haben nun
freilich diese Möbel den Wert vollgültiger Zeug-
nisse einer vergangenen Periode des Kunsthand-
werks eingebüßt, und sie kommen daher für ein
Museum, welches nicht bloß ganze Möbel, sondern
auch einzelne Teile von solchen, wie Basen, Füße,
Kopfstücke, Gesimse, Konsolen, Pilaster, Füllungen,
Friese, Leisten u. a. m., als Vorbilder für Kunst-
handwerker zu sammeln pflegt, nur nach ihren Teilen
in Betracht. Der Wert dieser Teile aber ist, wie
gesagt, durchweg so groß, dass eine vernünftige
Museumsverwaltung keinen Anlass hat, die Thor-
mann'schen Kompositmöbel ihres bedingten Wertes
halber von der Hand zu weisen oder gar zum Zweck
praktischer Verwertung in ihre einzelnen Bestand-
teile wieder aufzulösen. Im Gegenteil, sie können
immerhin als ganze Möbelstücke stehen bleiben,
wofern man sich nur entschließt, sie als ein Rahmen-
werk anzusehen, in welchem verschiedene Teile von
verschiedenen Händen zu einem als ein Ganzes er-
scheinenden großen Bilde vereinigt sind. Freilich
wird es, um vor Täuschungen zu bewahren, nicht
bloß praktisch, sondern auch nötig sein, ein einem
Rahmenwerk mit verschiedenem Inhalt zu verglei-
chendes Kompositmöbel mittelst leicht zu findender
und deutlich zu lesender Etikette als das zu be-
zeichnen, was es ist, und in der Etikette zugleich
auf die ursprünglich nicht zusammengehörenden
Teile desselben hinzuweisen. So kann der Kunst-
handwerker, der auf Grundlage alter Vorbilder zu
selbständigen Neubildungen schreiten will, auch 'auf
diese Weise die Unterschiede zwischen dem, was
verkehrt, und dem, was richtig ist, begreifen lernen.
Übrigens hat David Thormann seine Leidenschaft
zu ändern nur bei den Möbeln der Gotik und Re-
naissance walten lassen, von den übrigen der Barock-,
Rokoko- und Zopfzeit angehörenden ist kein einziges
umgewandelt worden. Jedes Werk aus diesen Zeiten
ist intakt und daher von ungeschwächter Zeugnis-
kraft für die genannten Perioden der Kunst. Unter
den Intarsien, die noch lange beliebt blieben, während
die Freude an der in der Renaissance so lebhaft
bethätigten Schnitzarbeit abnahm, finden sich ent-
zückende Arbeiten. Ganz vorzüglich sind auch die in
Gruppen zusammengestellten Stühle aus der Barock-
nnd Rokokoperiode, deren Wappenschmuck darthnt,
dass sie aus alten Adelsfamilien stammen.

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