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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0079

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

FLÜGELDECKE, ZINNLEUCHTER, TONVASE NACH ENTWÜRFEN
VON LOUISE MATZ-LÜBECK

als daß sie wie die Karlsruher das Buchgewerbe nicht
pflegen. Wir finden das höchst bedauerlich. Abgesehen
von den erwähnten Ausfällen hatten wir wohl alles zu-
sammengebracht, was Zukunftsvolles auf unserem Gebiete
von deutschen Kunstschulen geleistet wird. — Nachdem
so Langes und Breites und gewißlich auch Vages über
Kunsterziehung« geredet und geschrieben ist, schien es
angebracht, die Sache einmal wieder konkreter zu fassen,
und als ersten, als Hauptpunkt der Kunsterziehungsfrage
die Künstlererziehung aufzustellen. Es wäre uns lieber
gewesen, dies in einer umfassenden, alle Zweige des
Kunstgewerbes begreifenden Ausstellung zu tun. Schärfer,
klarer als es bei der Beschränkung auf ein Sondergebiet
möglich ist, wäre die Einheitlichkeit zum Ausdrucke ge-
kommen, von der das Kunstwollen unserer Zeit beherrscht
wird. Und Einheitlichkeit bedeutet ja wohl Notwendigkeit,
Stil. Was wir wollen, ist: kein Gewerbe, das durch äußer-
liche Anleihen bei der sogenannten »hohen Kunst« dem
kategorischen Kunstimperativ zu genügen sucht, sondern
eine verinnerlichte Gewerbekunst, ein Gewerbe, das Kunst
in sich hat — was unser Sondergebiet betrifft: keine Bücher,
schlecht und recht zusammengedruckt und zusammen-
gebunden, und mit viel Ornament und »Buchschmuck« ver-
sehen, keine »Buchkunst«, sondern ein selbstbewußtes
Buchgewerbe, das künstlerischen Sinn in der Bildung seiner
Elemente zu entfalten sucht, in der Type, dem Satz und
in all den anderen Dingen, und in der Verbindung aller
dieser Einzelheiten zu einem Ganzen. Und dann ist ja
wohl ein Buch nicht bloß ein dekorativer Fleck, etwa wie
eine gelbliche Ziervase, die man auf eine blaue Decke
stellt. Ein Buch ist der Vermittler eines geistigen Ge-
haltes, und dieser geistige Gehalt ist die Hauptquelle für
seine Gestaltung. Eine Bibel ist anders zu geben wie ein
Kommersbuch, ein Liebesgedicht anders wie ein Buch über
Schweinezucht. Die Schüler sind anzuhalten, daß sie nicht
bloß äußerlich gefällige Sächelchen machen, sondern aus
dem Wesen eine Sache heraus zu schaffen suchen. Und

das gilt überall, mag es sich um
ein Buch oder einen Stuhl, um ein
Zimmer oder ein Haus handeln. —
Leicht ist die Aufgabe, die den Kunst-
gewerbeschulen in unseren verrotte-
ten Kulturzuständen zufällt, gewiß
nicht; dafür aber auch um so locken-
der, um so ehrenvoller. Sie haben
einstweilen die Aufgabe (das sieht
jedes Kind), Töpfe zu machen und
Teller, Stühle und Tische; und sie sol-
len uns im letzten Sinne (das sieht
mancher Gewerbeschulmann nicht) aus
dem Naturalismus unseres Kunstemp-
findens, das die »hohe Kunst«, Malerei
und Plastik, nur deshalb zu schätzen
scheint, weil sie ihm gestattet, etwa
einen dargestellten Mops mit einem
wirklichen zu identifizieren — sie sollen
uns aus diesem Naturalismus heraus-
führen zu einer tieferen architektoni-
schen Kunstauffassung, zur Architektur
selber, unter der wir erst wirklich be-
greifen werden, was denn eigentlich
»hohe Kunst« ist. Nur wenn wir dies
hohe Ziel vor Augen haben, werden wir die anscheinend
so einfachen und doch so schwierigen Aufgaben in rechter
Weise lösen können. — Von der falsch verstandenen
Massenpolitik, die wir bis jetzt im Kunstgewerbeschulwesen
getrieben haben, werden wir freilich ablassen müssen.
Man gibt Geld, die schwere Menge, dafür aus, die Fort-
bildungs-, Gewerbe- und Handwerkerschulen »künstlerisch
zu heben«, und an den Kunstgewerbeschulen selber hat
man alles auf das mittelmäßigste Mittelmaß eingestellt.
All und jeden will man bei uns zum »Künstler« machen.
Und was ist in künstlerischer Hinsicht der Erfolg dieser
Verschulung des ganzen Lebens? Nichts als der »Jugend-
stil«, die Verballhornisierung aller ernsten künstlerischen
Bestrebungen. Dagegen stelle man sich auf den Qualitäts-
standpunkt, ziehe wenige, aber um so festere Kunst-
charaktere heran und setze sie auf die rechten Plätze, das
heißt führe sie in die Praxis ab — und alles wird sich
wie von selber regeln. Dann werden die Werkstätten
wieder Kulturpflegstätten werden, sie werden selber Schulen
sein, und man wird lachen, wenn man an den ganzen
ungeheuren Apparat zurückdenkt, den wir einmal im ge-
werblichen Kunstschulwesen entfaltet haben. Kunst ins
Yolk bringen, heißt Künstler hineinbringen. — Derartige
Überlegungen wollten wir mit der Ausstellung anregen;
möge sie Gutes stiften. Und abgesehen von diesen wei-
teren Hoffnungen: am Ende ließe sich schon jetzt das Band
zwischen den Schulen und der Praxis, die sich doch beide
so nötig brauchen, fester knüpfen. Man wird unter den
ausgestellten Arbeiten manch hübsches Stück gefunden
haben: wie wärs, wenn man mal einen Auftrag erteilte?
Ja mehr: unter den jungen Leuten befindet sich mancher,
der auch praktisch firm ist, wie wärs, wenn man so einen
in sein Geschäft zöge? — Über die ausgestellten Sachen
selber will ich hier nichts weiter sagen. Nur so viel, daß
der Gesamteindruck ein recht guter war. In der Zeitschrift
des Deutschen Buchgewerbevereins, dem »Archiv für Buch-
gewerbe« wird man Ausführlicheres finden.

Erich Wülrich-Leipzig.

Herausgeber und verantwortliche Redaktion: E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13
Druck von Ernst Hedrich Nachf., o.m.b.H., Leipzig
 
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