70 DIE SAMMLUNG EMILE PEYRE IM MUSEUM FÜR DEKORATIVE KÜNSTE IN PARIS
später entstand, ist besonders typisch für die Beibe-
haltung der wesentlichen Formen des Hausmöbels
mit seinen Laden und Fächern, die genau von den-
selben Proportionen sind wie die früheren. Als
kirchliches Möbel zeigt dieser schöne Stuhl mit den
drei Sitzen — der aus einer Kirche von der Indre
stammt — die Einführung der italienischen Motive
des Laubwerks nach der Antike und der wunderbar
geschwungenen Delphine. Beide beweisen hinlänglich
die Umgestaltungen und die gewaltsamen Nach-
ahmungen der exotischen Motive, die unseren fran-
zösischen Holzschnitzern sich aufdrangen.
Unter ihrem Einfluß sind die leicht geschwun-
genen stilisierten Blätter, das regelmäßige Laubwerk
von einer unerhörten Phantasie beherrscht, die Säulen
und Kandelaber drehen sich in abgerissenen Win-
dungen, die antiken Medaillen nehmen einen außer-
ordentlich wilden oder trivialen Charakter an, die
korrekt gezeichneten Putten verfallen zum großen
Teile groben und schweren Fehlern in der Zeich-
nung. Es ist die entfesselte Kraft eines Rabelais in
Verbindung mit dem Altertum und dem Mittelalter
zusammen.
Dann nach Verlauf von einigen fünfzig Jahren
sind die Bestrebungen des Stils erklärt, das klassische
Dogma formuliert seine Lehren, das Möbel unterliegt
dem Gesetz der Architektur der Lescot, Bullant,
Philibert Delorme. Man hat Profile von Gesimsen,
Entwürfe von Säulen gezeichnet, und die Form der
Antike hat die Herrschaft überall. Indessen ersticken
diese klassischen Regeln noch nicht die ganze in-
dividuelle oder lokale Phantasie. Wenn in der Um-
gebung des Königs in der Ile-de-France diese Ver-
besserung um sich greift unter dem Einflüsse der
Gelehrten, der berühmten und jüngeren Künstler,
so kennen die Provinzen die Bourgogne der Lyonnais
und der Languedoc noch ursprünglichere Kunst-
formeln, die mehr oder weniger von den alten Prin-
zipien durchdrungen sind. Doch gleicht nichts,
was Reinheit der Linien, Eleganz, Maß und Ge-
schmack anlangt, dieser Schule der Ile-de-France, von
der wir hier ein reizendes Beispiel geben, nämlich den
Oberteil eines »Cabinets«, wo die langen Silhouetten
nackter Frauen mit den geschmeidigen Körpern er-
innern an die elegante Kunst von Jean Goujon, ohne
daß man hier, wohlverstanden, ebensowenig wie an-
derwärts, wie es leider zu oft geschehen ist, die Spuren
seiner Meisterhand wiederfinden kann. Im Gegenteil,
eine Menge von anderen Möbeln offenbaren die
augenscheinlichen Ausführungen nach Entwürfen des
Architekten Androuet du Cerceau. Es gibt davon in
der Kollektion Peyre mehrere ausgezeichnete typische
Beispiele, oder sind es auch diejenigen, wo die Eigen-
schaften der Harmonie und des guten Geschmackes,
die wir vorhin andeuteten, sich alsbald gründlich
verschlechtern und schließlich diese technische Leich-
tigkeit, dieser kräftige Schlag des Meißels, der nie-
mals seit dem Mittelalter Minderwertiges geschaffen,
degeneriert.
Gleichzeitig setzt sich (und wir haben schon
ein Beispiel in dem Marmor des letzten hier an-
geführten Stückes) der Gebrauch von anderem
Material durch, als es das schöne Eichen- und Nuß-
baumholz ist, die ebenso in dem 16. Jahrhundert,
wie in den früheren Zeiten benutzt wurden. Die
Bearbeitung des Marmors, des Perlmutter, und des
Metalls macht dem Eindringen der exotischen Holz-
arten, wie des Ebenholzes, oder der Einlegearbeiten
von Schildpatt und Kupfer, die den Weg des berühmten
Kunsttischlers Boulle vorbereiten, Platz. Aber wir
verfolgen nicht bis hierhin die Geschichte dieser
Umwandlung. Die durch die Sammlung Peyre dar-
gebotenen Dokumente bieten sich übrigens dazu nicht
als Führer an, und abgesehen von einigen schönen
Füllungen des 18. Jahrhunderts, bei denen die Frei-
heit in der Ausführung ihn unzweifelhaft an die
seiner gotischen Stücke erinnerte, hat sich der Sammler
fast in der Tat nur bei den Möbeln bis zum Ende
des 16. Jahrhunderts aufgehalten.
Die in dem Besitz des Zentralverbandes befind-
lichen Sammlungen waren durch einen eigenartigen
Glückszufall reich vor allem an Stücken des 17. und
18. Jahrhunderts. Man sieht an den wenigen an-
geführten Beispielen, wie die Stiftung Emil Peyres
sie für das Mittelalter und die Renaissance vervoll-
ständigt hat, aber wir haben nicht mehr als einige
ganze Möbel oder einige wichtige Überreste be-
sprechen und abbilden wollen. Die Menge der
Stücke von geringerem Werte und des hauptsäch-
lichen Bestandes ist für ein Museum, das den Stu-
dienzwecken dient, bestimmt, und ein Album von
methodisch geordneten Dokumenten wird darüber
Rechenschaft geben1).
1) Der Verlag von D. A. Longuet (Paris), der uns im
vergangenen Jahre einen sehr wichtigen Band von Doku-
menten zur französischen Skulptur des Mittelalters gegeben
hat, der fast 1000 Stücke enthält, wird nächstens ein neues
Album veröffentlichen, das sich mit Kunstwerken in Holz,
die das Musee des Arts decoratifs enthält, befaßt.
später entstand, ist besonders typisch für die Beibe-
haltung der wesentlichen Formen des Hausmöbels
mit seinen Laden und Fächern, die genau von den-
selben Proportionen sind wie die früheren. Als
kirchliches Möbel zeigt dieser schöne Stuhl mit den
drei Sitzen — der aus einer Kirche von der Indre
stammt — die Einführung der italienischen Motive
des Laubwerks nach der Antike und der wunderbar
geschwungenen Delphine. Beide beweisen hinlänglich
die Umgestaltungen und die gewaltsamen Nach-
ahmungen der exotischen Motive, die unseren fran-
zösischen Holzschnitzern sich aufdrangen.
Unter ihrem Einfluß sind die leicht geschwun-
genen stilisierten Blätter, das regelmäßige Laubwerk
von einer unerhörten Phantasie beherrscht, die Säulen
und Kandelaber drehen sich in abgerissenen Win-
dungen, die antiken Medaillen nehmen einen außer-
ordentlich wilden oder trivialen Charakter an, die
korrekt gezeichneten Putten verfallen zum großen
Teile groben und schweren Fehlern in der Zeich-
nung. Es ist die entfesselte Kraft eines Rabelais in
Verbindung mit dem Altertum und dem Mittelalter
zusammen.
Dann nach Verlauf von einigen fünfzig Jahren
sind die Bestrebungen des Stils erklärt, das klassische
Dogma formuliert seine Lehren, das Möbel unterliegt
dem Gesetz der Architektur der Lescot, Bullant,
Philibert Delorme. Man hat Profile von Gesimsen,
Entwürfe von Säulen gezeichnet, und die Form der
Antike hat die Herrschaft überall. Indessen ersticken
diese klassischen Regeln noch nicht die ganze in-
dividuelle oder lokale Phantasie. Wenn in der Um-
gebung des Königs in der Ile-de-France diese Ver-
besserung um sich greift unter dem Einflüsse der
Gelehrten, der berühmten und jüngeren Künstler,
so kennen die Provinzen die Bourgogne der Lyonnais
und der Languedoc noch ursprünglichere Kunst-
formeln, die mehr oder weniger von den alten Prin-
zipien durchdrungen sind. Doch gleicht nichts,
was Reinheit der Linien, Eleganz, Maß und Ge-
schmack anlangt, dieser Schule der Ile-de-France, von
der wir hier ein reizendes Beispiel geben, nämlich den
Oberteil eines »Cabinets«, wo die langen Silhouetten
nackter Frauen mit den geschmeidigen Körpern er-
innern an die elegante Kunst von Jean Goujon, ohne
daß man hier, wohlverstanden, ebensowenig wie an-
derwärts, wie es leider zu oft geschehen ist, die Spuren
seiner Meisterhand wiederfinden kann. Im Gegenteil,
eine Menge von anderen Möbeln offenbaren die
augenscheinlichen Ausführungen nach Entwürfen des
Architekten Androuet du Cerceau. Es gibt davon in
der Kollektion Peyre mehrere ausgezeichnete typische
Beispiele, oder sind es auch diejenigen, wo die Eigen-
schaften der Harmonie und des guten Geschmackes,
die wir vorhin andeuteten, sich alsbald gründlich
verschlechtern und schließlich diese technische Leich-
tigkeit, dieser kräftige Schlag des Meißels, der nie-
mals seit dem Mittelalter Minderwertiges geschaffen,
degeneriert.
Gleichzeitig setzt sich (und wir haben schon
ein Beispiel in dem Marmor des letzten hier an-
geführten Stückes) der Gebrauch von anderem
Material durch, als es das schöne Eichen- und Nuß-
baumholz ist, die ebenso in dem 16. Jahrhundert,
wie in den früheren Zeiten benutzt wurden. Die
Bearbeitung des Marmors, des Perlmutter, und des
Metalls macht dem Eindringen der exotischen Holz-
arten, wie des Ebenholzes, oder der Einlegearbeiten
von Schildpatt und Kupfer, die den Weg des berühmten
Kunsttischlers Boulle vorbereiten, Platz. Aber wir
verfolgen nicht bis hierhin die Geschichte dieser
Umwandlung. Die durch die Sammlung Peyre dar-
gebotenen Dokumente bieten sich übrigens dazu nicht
als Führer an, und abgesehen von einigen schönen
Füllungen des 18. Jahrhunderts, bei denen die Frei-
heit in der Ausführung ihn unzweifelhaft an die
seiner gotischen Stücke erinnerte, hat sich der Sammler
fast in der Tat nur bei den Möbeln bis zum Ende
des 16. Jahrhunderts aufgehalten.
Die in dem Besitz des Zentralverbandes befind-
lichen Sammlungen waren durch einen eigenartigen
Glückszufall reich vor allem an Stücken des 17. und
18. Jahrhunderts. Man sieht an den wenigen an-
geführten Beispielen, wie die Stiftung Emil Peyres
sie für das Mittelalter und die Renaissance vervoll-
ständigt hat, aber wir haben nicht mehr als einige
ganze Möbel oder einige wichtige Überreste be-
sprechen und abbilden wollen. Die Menge der
Stücke von geringerem Werte und des hauptsäch-
lichen Bestandes ist für ein Museum, das den Stu-
dienzwecken dient, bestimmt, und ein Album von
methodisch geordneten Dokumenten wird darüber
Rechenschaft geben1).
1) Der Verlag von D. A. Longuet (Paris), der uns im
vergangenen Jahre einen sehr wichtigen Band von Doku-
menten zur französischen Skulptur des Mittelalters gegeben
hat, der fast 1000 Stücke enthält, wird nächstens ein neues
Album veröffentlichen, das sich mit Kunstwerken in Holz,
die das Musee des Arts decoratifs enthält, befaßt.