DAS WERK DER ANGEWANDTEN KUNST ALS GEGENSTAND DES URHEBERRECHTS 129
gegenwärtigen, die ver-
schiedenen Glieder der
Kausalreihe, die von dem
fertigen Werk auf den ersten
Anstoß, den Entschluß ein
Werk zu schaffen, zurück-
führt, so finden wir zwangs-
läufige und willkürliche
Momente.
Der Gebrauchszweck
und die Technik geben
dem Künstler bestimmte
Vorschriften, an die er
gebunden ist. Der Stuhl
muß zum Sitzen dienen
und gewissen Konstruk-
tionsregeln entsprechen.
Die Lösung dieser tech-
nischen Aufgabe ist aber
an sich nicht künstlerisch.
Eine künstlerische Betäti-
gung ist vielmehr nur auf
dem Boden der freien
Selbstbestimmungmöglich.
Die Willkür des Künst-
lers ist aber nicht nur
durch den allgemeinen
Zweck und die Regeln
der Technik beschränkt,
sondern auch durch den
Umstand, daß er ein
Kind seiner Zeit ist. Er
kann sich nicht von dem
Erbe der vergangenen Zeit frei machen und nicht den
Geist der Zeit verleugnen, der er angehört. Auch
wer in titanischem Trotz sich gegen alles Bestehende
und Hergebrachte auflehnt, wird von der Geschichte
an den Platz gestellt, wo seine Vorgänger und die
verwandten Zeitgenossen sich finden. Bewußt oder
unbewußt entnimmt er seine Anregungen dem vor-
handenen Schatz künstlerischer Formen, und läßt er
sich von den Anschauungen und Vorstellungen seiner
Zeit beeinflussen.
Namentlich ist der Künstler diesen Einflüssen unter-
worfen, wenn er in einem bestimmten Stil arbeitet.
Stil Ist die Oesamtheitder charakteristischen Elemente,
welche die Schöpfungen einer Zeit, eines Volkes, einer
Schule ausmachen. Er beruht auf der Gleichartigkeit
der Zwecke, das heißt der Lebensgewohnheiten und
Bedürfnisse, die eine Zeit erfüllen, der Anschauungen,
der Technik und des Geschmacks, kurz der Kultur.
Stil ist nicht von vornherein etwas konkret Gegebenes,
sondern eine Abstraktion aus der Summe des Ge-
schaffenen.
Der Stil kommt für den Künstler in Betracht
als Gesetzmäßigkeit und als Schatz fester Formen.
Wer also in einem bestimmten Stil arbeitet, ist ge-
nötigt, sich der Gesetzmäßigkeit des Stils zu unter-
werfen und gegebene Formen als Motive für seine
Schöpfung zu verwerten. Dadurch wird aber die Mög-
lichkeit selbständigen Schaffens nicht ausgeschlossen.
Die willkürliche Verwen-
dung der gegebenen Mo-
tive, unter Einhaltung der
bestehenden Gesetze, wird
ihn vielmehr notwendig
zu einer individuellen
Schöpfung führen, sobald
er nicht einfach kopiert.
Die Elemente aber, die
er entlehnt hat, gehören
nicht zur individuellen
Schöpfung, sondern nur
das frei Geschaffene, das
heißt diejenige Kombina-
tion freier Elemente, die
eigenartig und das Ergeb-
nis der schöpferischen
Tätigkeit des Künstlers ist.
Es gehören also hier-
nach der individuellen
Schöpfung, außer den tech-
nisch-konstruktiven Be-
standteilen, nicht an: be-
kannte Formen, einzelne
— nicht individuell ge-
artete Motive — und alles
zwangsläufig durch die
Gesetzmäßigkeit des Stils
Bedingte.
Wie ist nun im einzel-
nen Falle die individuelle
Schöpfung zu erkennen
und abzugrenzen?
Die Frage nach der Eigenart eines Künstlers ge-
hört zu den Aufgaben des Kunsthistorikers und des
Kunstkritikers. Auch der Laie, der einige Liebhaberei
für Kunst hat, wird allmählich sein Auge üben, um
individuelle Züge einzelner Meister zu erkennen. Aus
der wiederholten Anschauung der Werke eines Künstlers
gewinnt man allmählich eine Vorstellung von gewissen
Eigentümlichkeiten. Zuerst kommen nur grobe Unter-
schcidungsmzxkmsAe. in Betracht. Mit der Zeit schärft
sich das Auge und damit das Verständnis für die
Eigenart des Künstlers. Dieses Unterscheidungsver-
mögen, die Grundlage aller stilkritischen Unter-
suchungen, bietet naturgemäß auch die Mittel zur
Bestimmung des Schutzgegenstandes im Urheberrecht.
Indessen genügt aber hierzu nicht die Fähigkeit, die
künstlerische Eigenart eines Meisters zu erkennen und
zu bestimmen. Es genügt in der Praxis des Urheber-
rechts nicht, zusagen: »Dieses Werk ist eine Schöpfung
des und des Meisters; es trägt seine Handschrift, es
weist die ihm eigentümlichen Merkmale auf«. Viel-
mehr bedarf es noch einer weiteren Unterscheidung.
Es muß genau festgestellt werden, was an einem Werk
individuell ist und was nicht. Denn nur die indivi-
duelle Schöpfung ist Gegenstand des Schutzes, alles
übrige ist frei. Die Sache ist einfach, wenn ein Werk
in seiner Gesamtheit sklavisch kopiert worden ist.
Denn dann enthält die Nachbildung jedenfalls auch
alles, was in dem Original an Individuellem enthalten
HAMBURGER STUHL. ANFANG DES 19. JAHRHUNDERTS
IMITATION HEPPELWHITE
gegenwärtigen, die ver-
schiedenen Glieder der
Kausalreihe, die von dem
fertigen Werk auf den ersten
Anstoß, den Entschluß ein
Werk zu schaffen, zurück-
führt, so finden wir zwangs-
läufige und willkürliche
Momente.
Der Gebrauchszweck
und die Technik geben
dem Künstler bestimmte
Vorschriften, an die er
gebunden ist. Der Stuhl
muß zum Sitzen dienen
und gewissen Konstruk-
tionsregeln entsprechen.
Die Lösung dieser tech-
nischen Aufgabe ist aber
an sich nicht künstlerisch.
Eine künstlerische Betäti-
gung ist vielmehr nur auf
dem Boden der freien
Selbstbestimmungmöglich.
Die Willkür des Künst-
lers ist aber nicht nur
durch den allgemeinen
Zweck und die Regeln
der Technik beschränkt,
sondern auch durch den
Umstand, daß er ein
Kind seiner Zeit ist. Er
kann sich nicht von dem
Erbe der vergangenen Zeit frei machen und nicht den
Geist der Zeit verleugnen, der er angehört. Auch
wer in titanischem Trotz sich gegen alles Bestehende
und Hergebrachte auflehnt, wird von der Geschichte
an den Platz gestellt, wo seine Vorgänger und die
verwandten Zeitgenossen sich finden. Bewußt oder
unbewußt entnimmt er seine Anregungen dem vor-
handenen Schatz künstlerischer Formen, und läßt er
sich von den Anschauungen und Vorstellungen seiner
Zeit beeinflussen.
Namentlich ist der Künstler diesen Einflüssen unter-
worfen, wenn er in einem bestimmten Stil arbeitet.
Stil Ist die Oesamtheitder charakteristischen Elemente,
welche die Schöpfungen einer Zeit, eines Volkes, einer
Schule ausmachen. Er beruht auf der Gleichartigkeit
der Zwecke, das heißt der Lebensgewohnheiten und
Bedürfnisse, die eine Zeit erfüllen, der Anschauungen,
der Technik und des Geschmacks, kurz der Kultur.
Stil ist nicht von vornherein etwas konkret Gegebenes,
sondern eine Abstraktion aus der Summe des Ge-
schaffenen.
Der Stil kommt für den Künstler in Betracht
als Gesetzmäßigkeit und als Schatz fester Formen.
Wer also in einem bestimmten Stil arbeitet, ist ge-
nötigt, sich der Gesetzmäßigkeit des Stils zu unter-
werfen und gegebene Formen als Motive für seine
Schöpfung zu verwerten. Dadurch wird aber die Mög-
lichkeit selbständigen Schaffens nicht ausgeschlossen.
Die willkürliche Verwen-
dung der gegebenen Mo-
tive, unter Einhaltung der
bestehenden Gesetze, wird
ihn vielmehr notwendig
zu einer individuellen
Schöpfung führen, sobald
er nicht einfach kopiert.
Die Elemente aber, die
er entlehnt hat, gehören
nicht zur individuellen
Schöpfung, sondern nur
das frei Geschaffene, das
heißt diejenige Kombina-
tion freier Elemente, die
eigenartig und das Ergeb-
nis der schöpferischen
Tätigkeit des Künstlers ist.
Es gehören also hier-
nach der individuellen
Schöpfung, außer den tech-
nisch-konstruktiven Be-
standteilen, nicht an: be-
kannte Formen, einzelne
— nicht individuell ge-
artete Motive — und alles
zwangsläufig durch die
Gesetzmäßigkeit des Stils
Bedingte.
Wie ist nun im einzel-
nen Falle die individuelle
Schöpfung zu erkennen
und abzugrenzen?
Die Frage nach der Eigenart eines Künstlers ge-
hört zu den Aufgaben des Kunsthistorikers und des
Kunstkritikers. Auch der Laie, der einige Liebhaberei
für Kunst hat, wird allmählich sein Auge üben, um
individuelle Züge einzelner Meister zu erkennen. Aus
der wiederholten Anschauung der Werke eines Künstlers
gewinnt man allmählich eine Vorstellung von gewissen
Eigentümlichkeiten. Zuerst kommen nur grobe Unter-
schcidungsmzxkmsAe. in Betracht. Mit der Zeit schärft
sich das Auge und damit das Verständnis für die
Eigenart des Künstlers. Dieses Unterscheidungsver-
mögen, die Grundlage aller stilkritischen Unter-
suchungen, bietet naturgemäß auch die Mittel zur
Bestimmung des Schutzgegenstandes im Urheberrecht.
Indessen genügt aber hierzu nicht die Fähigkeit, die
künstlerische Eigenart eines Meisters zu erkennen und
zu bestimmen. Es genügt in der Praxis des Urheber-
rechts nicht, zusagen: »Dieses Werk ist eine Schöpfung
des und des Meisters; es trägt seine Handschrift, es
weist die ihm eigentümlichen Merkmale auf«. Viel-
mehr bedarf es noch einer weiteren Unterscheidung.
Es muß genau festgestellt werden, was an einem Werk
individuell ist und was nicht. Denn nur die indivi-
duelle Schöpfung ist Gegenstand des Schutzes, alles
übrige ist frei. Die Sache ist einfach, wenn ein Werk
in seiner Gesamtheit sklavisch kopiert worden ist.
Denn dann enthält die Nachbildung jedenfalls auch
alles, was in dem Original an Individuellem enthalten
HAMBURGER STUHL. ANFANG DES 19. JAHRHUNDERTS
IMITATION HEPPELWHITE