DAS WERK DER ANGEWANDTEN KUNST ALS GEGENSTAND DES URHEBERRECHTS 131
WIENER LEHNSTUHL UM 1S20
WIENER LEHNSTUHL UM 1S30
Radierungen nach den Böcklinschen Gemälden schuf,
zwang er sich, das Bild des Malers in der Zeichnung,
in den Valeurs und in der Stimmung wiederzugeben.
Aber in der Übertragung des farbigen Werkes in die
Schwarzweißkunst führte ihn seine künstlerische Will-
kür zu einer individuellen, dem Original gleichwertigen
Schöpfung.
So klar und einfach liegen nun in der angewandten
Kunst die Verhältnisse in der
Regel nicht. Vor allem ist es un-
gemein schwer, das Individuelle
an einem Werk zu definieren.
Eine individuelle Schöpfung
läßt sich nämlich nicht beschrei-
ben oder wenigstens nicht durch
Beschreibung identifizieren. Wenn
man irgend ein Sitzgerät genau
beschriebe, und daraufhin ver-
schiedene Künstler den Versuch
machen wollten, das Original
zu rekonstruieren, so würde
keiner den Stuhl so treffen, wie
er tatsächlich ist; es würden so-
gar alle Künstler, die diesen
Versuch unternehmen, etwas
Verschiedenes, und damit jeder
wieder eine selbständige, eigen-
artige Schöpfung zuwege brin-
gen. Ich wäre fast geneigt zu
sagen: das, was sich durch Be-
schreibungen identifizieren läßt,
gehört regelmäßig der Allgemein-
heit an. Denn es ist etwas Ab-
straktes, etwas Neutrales. Das aber,
WIENER STUHL UM 1825
was übrig bleibt, und was nur durch die Anschauung
selbst erkannt werden kann, das ist das Individuelle.
Und jedenfalls liegt in diesem scheinbar so paradoxen
Wort auch etwas Wahres. Denn in der Tat: nicht
im Überlegen, nicht im Sammeln von Einfällen, im
Berechnen und Konstruieren liegt das künstlerische
Schaffen, sondern in der konkreten Gestaltung, in
der Übertragung des abstrakt Konzipierten und daher
auch der Beschreibung Zugäng-
lichen, in die ganz anders ge-
artete Sprache der dreidimensio-
nalen Kunst. Dieses Besondere
aber, das die Individualität aus-
macht, läßt sich nicht scharf kenn-
zeichnen, ebensowenig wie man
einen Menschen, sein Aussehen
oder seine Eigenart durch Be-
schreibung wiedergeben kann,
was durch jeden Steckbrief belegt
wird.
Dem Fachmann, dem Kenner
oder überhaupt demjenigen, der mit
der Kunst, ihrer Entwickelung und
den Stilformen einigermaßen ver-
traut ist, wird diese Kenntnis in-
stinktmäßig die individuelle Schöp-
fung in einem Werke offenbaren.
Hat er aber als Gutachter oder
Richter sein Urteil zu begründen,
dann wird ihm nichts anderes
übrig bleiben, als auf die gene-
tische Analyse des Werkes einzu-
gehen. Die Aufgaben, die das neue
Gesetz an die Richter und Sach-
WIENER LEHNSTUHL UM 1S20
WIENER LEHNSTUHL UM 1S30
Radierungen nach den Böcklinschen Gemälden schuf,
zwang er sich, das Bild des Malers in der Zeichnung,
in den Valeurs und in der Stimmung wiederzugeben.
Aber in der Übertragung des farbigen Werkes in die
Schwarzweißkunst führte ihn seine künstlerische Will-
kür zu einer individuellen, dem Original gleichwertigen
Schöpfung.
So klar und einfach liegen nun in der angewandten
Kunst die Verhältnisse in der
Regel nicht. Vor allem ist es un-
gemein schwer, das Individuelle
an einem Werk zu definieren.
Eine individuelle Schöpfung
läßt sich nämlich nicht beschrei-
ben oder wenigstens nicht durch
Beschreibung identifizieren. Wenn
man irgend ein Sitzgerät genau
beschriebe, und daraufhin ver-
schiedene Künstler den Versuch
machen wollten, das Original
zu rekonstruieren, so würde
keiner den Stuhl so treffen, wie
er tatsächlich ist; es würden so-
gar alle Künstler, die diesen
Versuch unternehmen, etwas
Verschiedenes, und damit jeder
wieder eine selbständige, eigen-
artige Schöpfung zuwege brin-
gen. Ich wäre fast geneigt zu
sagen: das, was sich durch Be-
schreibungen identifizieren läßt,
gehört regelmäßig der Allgemein-
heit an. Denn es ist etwas Ab-
straktes, etwas Neutrales. Das aber,
WIENER STUHL UM 1825
was übrig bleibt, und was nur durch die Anschauung
selbst erkannt werden kann, das ist das Individuelle.
Und jedenfalls liegt in diesem scheinbar so paradoxen
Wort auch etwas Wahres. Denn in der Tat: nicht
im Überlegen, nicht im Sammeln von Einfällen, im
Berechnen und Konstruieren liegt das künstlerische
Schaffen, sondern in der konkreten Gestaltung, in
der Übertragung des abstrakt Konzipierten und daher
auch der Beschreibung Zugäng-
lichen, in die ganz anders ge-
artete Sprache der dreidimensio-
nalen Kunst. Dieses Besondere
aber, das die Individualität aus-
macht, läßt sich nicht scharf kenn-
zeichnen, ebensowenig wie man
einen Menschen, sein Aussehen
oder seine Eigenart durch Be-
schreibung wiedergeben kann,
was durch jeden Steckbrief belegt
wird.
Dem Fachmann, dem Kenner
oder überhaupt demjenigen, der mit
der Kunst, ihrer Entwickelung und
den Stilformen einigermaßen ver-
traut ist, wird diese Kenntnis in-
stinktmäßig die individuelle Schöp-
fung in einem Werke offenbaren.
Hat er aber als Gutachter oder
Richter sein Urteil zu begründen,
dann wird ihm nichts anderes
übrig bleiben, als auf die gene-
tische Analyse des Werkes einzu-
gehen. Die Aufgaben, die das neue
Gesetz an die Richter und Sach-