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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Schumann, Paul: Die dritte deutsche Kunstgewerbeausstellung Dresden 1906, [3]: Raumkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0238

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DIE DRITTE DEUTSCHE KUNSTGEWERBEAUSSTELLUNG DRESDEN 1906

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das ich mir dienstbar machen, dem ich mich anpassen
könnte? sondern man hat ihr einfach zugemutet, alles
das in gleicher Weise zu leisten, was vorher die
Hand in individueller Arbeit schuf. Und sie leistete
es, aber so wie es nicht anders sein konnte. Lieblos,
gedankenlos, in beliebiger Menge stellte sie vor allem
die zahllosen Ornamente her, die der ungebildete
Geschmack reicher Emporkömmlinge brauchte, aber
das feine persönliche Empfinden, das gerade das
innerste Wesen feiner künstlerischer Ornamentik aus-
macht, das fehlte dieser Massenware und mußte ihr
fehlen. So ist es Zeit, daß wir den umgekehrten
Weg gehen, daß wir die Maschine in ihrer Leistungs-
fähigkeit beobachten, daß wir ihre spezifische Arbeit
ausnützen und künstlerisch verwenden, daß wir zur
materialgerechten die maschinengerechte Form gesellen.
An diesem Punkte hat die Arbeit von Karl Schmidt
und Richard Riemerschmid eingesetzt: Möbel zu
schaffen, die mit der Maschine verhältnismäßig billig
hergestellt werden können und doch dem guten Ge-
schmack genügen, mit einem Worte: einen Möbelstil
aus dem Geiste der Maschine heraus zu entwickeln.
Wir sehen nun in der Dresdener Ausstellung die ge-
samten Holzbearbeitungsmaschinen (von E. Kießling
& Co.-Leipzig-PIagwitz) in Tätigkeit: wir sehen die
Maschinen das Holz sägen, schneiden, schleifen, ab-
lasen, fräsen, bohren usw. Wir sehen auf der einen
Seite die groben Bretter liegen, auf der anderen er-
scheinen die fertigen Möbelteile, die nur noch zu-
sammengesetzt und gestrichen zu werden brauchen,
damit das Möbel fertig vor uns stehe. Umgekehrt
kann z. B. ein fertiger, durchaus fester und haltbarer
Schrank binnen kaum fünf Minuten in seine Bestand-
teile zerlegt und in ein handliches Paket zusammen-
gelegt werden, wenn es not tut. Wir sehen bei
näherer Betrachtung auch die maschinengerechten
Konstruktionsformen: die geradlinigen Verbindungen,
die an Stelle der Gehrungen treten, die vertieften Grenz-
linien der Hölzer an den Stellen, wo nur die Hand
mit dem Hobel die volle Glätte herstellen könnte, die
vor der Verbindungsstelle abbrechenden ornamentalen
Profilierungen usw.

Die Ergebnisse dieser Bestrebungen stehen in
14 Zimmern vor uns: Küche, Wohnstube und Schlaf-
stube stellen nach dem Katalog eine Arbeiterwohnung
dar; die Möbel in gestrichenem Fichtenholz kosten
570 Mark (mit einem zweitürigen Kleiderschrank
640 Mark). Sieben Zimmer sind für den Mittelstand
berechnet. Wohn- und Eßzimmer (Erle wie Mahagoni
gebeizt), Schlafzimmer (Lärche natur) und Küche (Fichte
grau gestrichen) kosten 1195 Mark (ein dreitüriger
Kleider- und Wäscheschrank noch 180 Mark mehr).
Ein dritte Einrichtung aus fünf Zimmern mit Flur
kostet 2630 M. (mit einigen Möbeln mehr 3095 M.).
Mag in diesen Möbeln auch noch nicht die end-
gültige Lösung der hohen sozialen Aufgabe, anstän-
diges Hausgerät für den gemeinen Mann zu schaffen,
vorliegen, sicher ist hierzu ein großer Schritt vor-
wärts getan, und zwar auf dem richtigen Wege: die
Möbel sind einesteils durchaus solid in der Herstel-
lung, und wirken andererseits durchaus anständig und

wohlgefällig. Da ist keinerlei Talmiluxus, keinerlei
Heuchelei unangebrachten Prunkes, nichts von über-
flüssiger Ornamentik. Man atmet in diesen Zimmern
die schlichte Größe und Ruhe, die ein Haupterfor-
dernis künstlerischer Wirkung ist. Hinzu kommt nun
allerdings das Geschick, mit dem diese Zimmer an-
geordnet sind: ein breites Fenster mit Scheibengar-
dinen, ein ruhiger, satter Farbton an der Wand, eine
gute Farbenharmonie im ganzen, überall wohlgewählte
und gut gerahmte Bilder an den Wänden, Bücher,
Gläser, Geschirr usw., alles mit Geschmack ausgesucht
und hingestellt, so daß man den harmonischen Ein-
druck künstlerischer Kultur auch in den einfachen
Verhältnissen hat. Natürlich kann man den Ge-
schmack, der sich in der ganzen Aufmachung kund-
gibt, nicht mit kaufen, man kann leider auch nicht
die vernünftige Anordnung des Fensters in unsere
schablonenhaft schlecht angeordneten Mietwohnungen
mitnehmen, aber immerhin kann man an der Anord-
nung mancherlei lernen, wie man Geschmack und
künstlerische Kultur auch in der einfachen Wohnung
heimisch machen kann. Wir stehen nicht an, die
Maschinenmöbel, wie sie durch die Zusammenarbeit
von Richard Riemerschmied und Karl Schmidt ent-
standen sind, als eine künstlerische und ethische Tat
zu bezeichnen.

Das Haus der Werkstätten enthält außer den Ma-
schinenmöbeln auch einige Luxusräume: einen Musik-
und Tanzraum, sowie ein Herrenzimmer, ersterer in
weiß, letzteres in gebürsteter Kiefer (das weiche Holz
ist an der Oberfläche zwischen den härteren Rippen
mit Metallbürsten entfernt); beide mit dem ruhigen,
sachlichen Geschmack entworfen, den wir an Riemer-
schmid kennen, und gediegen und solid ausgeführt.
Die Abteilung Raumkunst hat uns so lange be-
schäftigt, weil sie die umfänglichste der Dresdener
Ausstellung ist, mehr aber noch, weil sie ihr eigent-
liches Rückgrat bildet. In diesen künstlerisch ange-
ordneten Räumen sieht man am stärksten und ein-
dringlichsten, was die moderne Stilbewegung will.
An künstlerisch persönlichen und typischen Lösungen
alltäglicher und auch ganz besonderer Aufgaben der
Raumkunst bietet sie eine schier unabsehbare Fülle
und zwar in einer Anordnung, die weit über das
banale System der Aufreihung von Kojen längs eines
Mittelgangs hinausgeht. Jeder Raum ist so angelegt,
daß man ihn betreten und sich in ihm als Bewohner
fühlen und umsehen kann. In dieser Anordnung,
ein Verdienst von Professor Fritz Schumacher, bildet
die Dresdener Ausstellung einen Fortschritt der Aus-
stellungskunst, der nicht zu unterschätzen ist.

Haben wir am Eingang unserer Besprechung die
ästhetischen Grundsätze der modernen Raumkünstler
dargelegt, so können wir hier am Schlüsse noch kurz
einige gemeinsame äußerliche Merkmale ihrer Werke
positiver und negativer Art zusammenfassen. Tapezierer
und Dekorateure, die in den verflossenen Jahren so
oft die Wohnungen als Dekorationsobjekte ansahen,
führen nicht mehr das große Wort: geraffte Gardinen,
reiche Behänge von Posamenten und ähnliche Dinge
textiler Ornamentik sind verschwunden. Dagegen findet

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