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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 6./​7.1924/​25

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1./2. Septemberheft
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Landau, Rom: Neue italienische Malerei: Primo Conti
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https://doi.org/10.11588/diglit.25879#0019

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Rom landau
Ugo O/etti geimdmet

Rom Landau veranstaltet demnächst in Berlin eine
große Ausstellung junger italienischer Kunst, die unseren
Kunstkreisen gewiß willkommen sein wird.
Inast im gleichen Verhältnis in dem wir in den letzten
A hundert jahren immer tieferes Verständnis der
alten italienischen Kunst erlangten rückten wir gleich-
zeitig immer mehr von der modernen Kunst Italiens ab.
In den letzten Jahrzehnten haben wir bereits allen le-
bendigen Kontakt zu ihr verloren. Auch alles Interesse.
Wir gewöhnten uns daran uns mit einem herablassen-
den Achselzucken über dieses Kunst hinwegzusetzen.
Zu Beginn des neuen Jahrhunderts kannte man bei uns
bestenfalls den Vorimpressionisten Mose Bianchi,
oder den noch lebenden Altmeister des Bildhauerim-
pressionismus Medardo Rosso. Nun ist der Grund
für diese unsere Unkenntnis allerdings weniger in uns,
als in der italienischen Kunst des XIX. Jahrh. selbst zu
suchen. Es zwingt direkt zum Nachdenken, wieso die
Malerei eines Volkes mit Tradition ohnesgleichen im
vergangenen Jahrhundert auf einem so tiefen Nivean
anlangen konnte. Das banale Wort von „Geschmacks-
verirrung“ war kaum je richtiger am Platze als gerade
bei dieser, in der allgemeinen Kunstentwicklung kaum
mitredenden, Malerei mit all’ ihren (natürlich von Zeit
und Umständen bedingten) Merkmalen wie: Äußerlich-
keit, Manierismus, papierner Theatralik, literatenhafter
Geste.
Nun hat aber der Krieg mit all diesen Erscheinun-
gen in Italien aufgeräumt. Es entstand in der allgemei-
nen Psyche Italiens eine krasse Umgestaltung, die sich
aus vielen Einzelelementen summiert. Das Land, das
vor dem Kriege zu einer ganz untergeordneten Rolle
auf der Staatenbühne Europas verdammt war, sah sich
plötzlich, nach dem Siege, in die vordersten Reihen der
Weltpolitik versetzt, in der es ein wichtiger Faktor
werden sollte. Kraft seines gesund-primitiven lnstink-
tes versuchte es sich sehr bald auch geistig der neuen
äußeren Stellung anzupassen. Es merkte sofort, daß ein
sieggekröntes, landerweitertes, politisch einflußreiches
Volk andere geistigen Forderungen zu erfüllen liatte, als
die bis dahin im Schatten der Nachbarn ihr Privatleben
schlummernde Halbinsel. Man wurde reifer, ernster.
Man begann sich mit bis dahin kaum beachteten Dingen
und Erscheinungen des Lebens und der Umwelt zu be-
schäftigen. Man nahm sich selbst wichtiger, wurde stol-
zer und erinnerte sich der glorreichen Vergangenheit.
Diese Umwandlung vollzog sich natürlich auch in den
Künstlern, die ja auch in den Kriegsjahren nicht abseits
standen.

Nun aber ein Anderes: bei uns war es zumindest
seit dcm Zola’schen und Hauptmann’schen Naturalismus
sentimentale Mode geworden, sich mit der Volkspsyche
zu befassen und mit literatenhaftem Eifer dem Prole-
tariat näher zu treten. Die italienische Intelligenz, ge-
nau so wie das Künstlertum, waren vor dem Krieg aus-
gesprochene Aristokraten, die der Mentalität des Volkes
gänzlich kenntnislos und uninteressiert gegenüber stan-
den. Nun traten aber plötzlich diese Kreise für ein
dreijähriges, gemeinsames Schützengrabenleben mit
dem Volke in engste Berührung. Und das siegreiche
Ende hat nicht, wie es bei uns oft der Fall war, Bitter-
keit, Vorwurf und Mißtrauen des Mannes gegen den
Vorgesetzten und umgekehrt hervorgerufen (was bei
geschlagenem Heer nur zu erklärlich ist), sondern es
entstand ein enger Kontakt, ein sich Verstehenwollen-
und -Können, eine tiefe Bindung und Gemeinschaft; und
danach ein freudiges Erstaunen über die unverbrauch-
ten Kräfte des Volkes, an denen man seinen eigenen
Intellekt bereichern und säubern konte. Durch diesen
Kontakt hat die Psyche des Künstlers eine Erweite-
rung ,Belebung und Erfrischung erfahren, die herbeizu-
füliren seit Jahrzehnten nichts melir im Stande war.
Gleichzeitig aber auch eine Gradlienigkeit und Aufrich-
tigkeit, die in der davorliegenden italienischen Kunst
schwerlich zu finden wäre. Man wandte sich nun Din-
gen zu, die bis dahin beinahe verpönt waren, jedocli
fördernder und heilsamer sein mußten, als die parfum-
geschwängerte Luft phrasenhafter Salons und gesten-
haftei Debatten. Man wandte sich dem eigenen Lande,
der italienischen Erde, dem Volke, der selbstverständ-
lichen Reinheit und Urwüchsigkeit eines weniger ver-
dorbenen, primitiveren Gefühls, Gedankens, Thuns zu.
In jedem Einzelnen wurden Schleusen aufgerissen,
durch die neue Quellen hervorbrechen konnten. All-
mählich fangen all’ diese Strömungen, die zusammen-
genommen der Italiener, nicht mit Unrecht, mit dem
Worte „Umanita“ bezeichnet, Form zu finden und sich
langsam im Werk zu kristallisieren. In einzelnen Ma-
lern, wie dem Florentiner B a c c i, erstrecken sie sich
bis zur Wahl des Themas: toskanische Landschaft,
Landleute, Bauernvolk; in andern Künstlern haben sie
ein gewisses, bisheriges snobistische Gefühl des ,,1’art
pour l’art“ gesäubert; das Fehlbewußtsein einer dünkel-
haften Exklusivität umgestaltet, die Schöpfungsbasis
vertieft.
Einer der Begabtesten, gleichz'eitig Jüngsten unter
dieser Malergeneration ist der Florentiner Primo
C o n t i.

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