Das Scbläfenpflaftet?.
üon
JMax Sauet?landt
\Joy einiger Zeit erwarb das Hamburgische Museum
* für Kunst und Gewerbe das hier in der Größe des
Originals abgebildete Bildnismedaillon eines jungen
Mädchens oder einer jungen Frau mit gesenktem Haupt
im Profil nach links. Das in sehr zartem Relief aus hell-
braunem Buchsbaumholz geschnittene Brustbild ist der
ovalen Grundplatte aus gleichfarbigem Buchsbaumholz
— wohl ursprünglich — aufgeleimt, es ist am Schrägab-
schnitt des Schulterkragens unten mit dem bisher nocli
nicht gedeuteten Initial C bezeichnet und vom Jahre
1653 datiert.
Die zierlich und eingängig mit feinem Messer
durchgeführten Einzelheiten des Kostüms — eine Z:er-
bommel ist der spitzenbesetzten Haubenecke rnit einer
Stecknadel angeheftet — wirkt ganz holländisch, und
dieser Lokalisierung der Arbeit oder doch des Urbikles
der Dargesteilten widerspricht aucli der hollär'disch-
sympathische Eindruck des gesenkten Profils mit dem
aus der hohen runden Stirn zurückgekämmten Haare
keinesfalls. Man meint einem ähnlic 1 Wesen auf Ge-
sellschaftsbildern Gerard ter Borch's, Pieter de Hoogh’s
oder ihrer nächsten Verwandten schon früher begegnet
zu sein.x)
Beinahe aber hätte die Deutung des auf dem Origi-
nal in gleichmäßig leichtem Relief gegebenen kreis-
runden Fleckes auf der linken Schläfe der anmutigen
Schönen bei der Inventarisation des kleinen Schnitz-
werkes Anlaß zu ernsten Differenzen gegeben.
Sollte dieses Kreisrund als Kostümdetail — etwa
als die glatte Platte einer goldenen Heftel im hier, an
der Schläfe aufgenommenen Haare — sollte es als
Pflaster erklärt werden? Und wenn als Pflaster, war
es dann ein Heil- oder ein Schönheitspflaster ?
Die erste Vermutung, die Deutung als Haarheftel,
schied sehr bald aus. Wenn in der Buchsholzschnitze-
rei Zweifel über Farbe und Material des fraglichen Ob-
jektes möglich waren, so ergab die Darstellung des
gleichen Rundes an der gleichen Stelle auf einer Bildnis-
radierung Wenzel Hollar’s und einem Gemälde Pieter
de Hoogh’s mit Sicherheit, daß es sich nur um ein
schwarzes Schläfenpflaster handeln könne.
Seltsam, daß dieses sittengeschichtlich doch gewiß
nicht ganz belanglose Detail bisher ganz unbeachtet
geblieben ist. Mit einer einzigen älteren Ausnahme
haben die Verfasser aucli der ausführlich beschreiben-
den Galeriekataloge die Erwähnung dieser sich immer
sehr deutlich abhebenden, ja bisweilen augenscheinlich
x) Die Art des Haubenschmuckes bei verdecktem Ohr be-
gegnet man mehrfach z. B. bei dem Frauenbildnis des Vermeer van
Delft in Budapest, bci Terborch, zwei Paare, 1658 und Coques,
Bildnis einer Frau 1651 (Schwerin No. 1011 u. 150), bei den Qe-
mälden des berliner Kaiser Friedrich-Museums 295 und 795d (Jan
Steen), 792e (Metsu), 820 B (de Hoogh) und 877 B (Verspronck).
ganz bewußt zur Schau gestellten Schläfenpflaster nicht
für der Mühe wert gehalten, obwohl es, wie sich erge-
ben wird, in manchen Fällen eine für das Motiv des
Bildinhalts nicht ganz unwesentliche Rolle spielt. Auch
Hofstede de Groot in seinem beschreibenden und kriti-
schen Verzeichnis der Werke der hervorragendsten hol-
ländischen Maler des XVII. Jahrhunderts tut dieses
Pflasters nur hin und wieder Erwähnung, ohne es, mit
Ausnalnne des Casseler Bildnisses Nr. 293, wo er es
ausdrücklich „Schönheitspflaster“ nennt, näher zu cha-
rakterisieren. Gute, ja hervorragende Kenner der hol-
ländischen Malerei des XVII. Jahrhunderts, die um ihre
Meinung befragt wurden, liatten diese — zierenden oder
verunzierenden? — schwarzen Flecken, die so pikant
auf dem blonden Inkarnat der Gesichter der hollän-
dischen Mädchen und Frauen stehen, in ihren eigenen
Galerien selbst noch gar niclit beachtet, ärztliche Auto-
ritäten des In- und Auslandes waren bald dieser, bald
jener Ansicht, aucli die neuere Literatur zur Geschichte
der Medizin gab keinerlei Auskunft und so blieb die Ent-
scheidung zwischen mouche und Pechpflaster lange Zeit
zweifelhaft.
Erst eine eingehendere Prüfung der erhaltenen
holländischen Gemälde des XVII. Jahrhunderts brachte
die Lösung. Bei einigem Suchen in den großen Gale-
rierl fand sich mit der Zeit eine ganze Anzahl von Dar-
stellungen bei Netscher, P. de Hoogh, üchterveld, A. v.
d. Tempel, Frans van Mieris, vor allem aber bei Jan
Steen zusammen, die in ihrer Gesamtheit die Frage zu
Gunsten des Heilpflasters entscheiden.
Zeitlich wäre die Deutung des runden schwarzen
Schläfenflecks als Schönheitspflästerchen immerhin
möglich.
Alphonse Maze-Sancier gibt in seinem Livre des
Collectionneurs als früheste literarische Erwähnung der
mouche — und die Mode mußte doch wolil schon einge-
bürgert sein, ehe sie einen solchen literarischen Nie-
derschlag fand — einen Brief mit eingestreuten Versen
vom Jahre 1661 mit dem Titel La Faiseuse de Mouches,
aus dem er die reizenden Verse zitiert:
Pour adoucir les yeux, pour parer le visage,
Pour mettre sur le front, pour placer sur le sein,
Et pourvu qu’une adroite main
Les sache bien mettre en usage,
On ne les met jamais en vain.
Si ma mouche est rnise en pratique,
Tel galant qui vous fait la nique.
S’il n’est aujourd’hui pris, il le sera demain —,
Qu’il soit indifferent ou qu’il fasse le vain,
A la fin la mouche le pique.
Später wurde auch diese Modegrille dressiert. Aus
der in Amsterdam im Jahre 1765 erschienenen Biblio-
theque des Dames von De Resbecq erfahren wir die
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JMax Sauet?landt
\Joy einiger Zeit erwarb das Hamburgische Museum
* für Kunst und Gewerbe das hier in der Größe des
Originals abgebildete Bildnismedaillon eines jungen
Mädchens oder einer jungen Frau mit gesenktem Haupt
im Profil nach links. Das in sehr zartem Relief aus hell-
braunem Buchsbaumholz geschnittene Brustbild ist der
ovalen Grundplatte aus gleichfarbigem Buchsbaumholz
— wohl ursprünglich — aufgeleimt, es ist am Schrägab-
schnitt des Schulterkragens unten mit dem bisher nocli
nicht gedeuteten Initial C bezeichnet und vom Jahre
1653 datiert.
Die zierlich und eingängig mit feinem Messer
durchgeführten Einzelheiten des Kostüms — eine Z:er-
bommel ist der spitzenbesetzten Haubenecke rnit einer
Stecknadel angeheftet — wirkt ganz holländisch, und
dieser Lokalisierung der Arbeit oder doch des Urbikles
der Dargesteilten widerspricht aucli der hollär'disch-
sympathische Eindruck des gesenkten Profils mit dem
aus der hohen runden Stirn zurückgekämmten Haare
keinesfalls. Man meint einem ähnlic 1 Wesen auf Ge-
sellschaftsbildern Gerard ter Borch's, Pieter de Hoogh’s
oder ihrer nächsten Verwandten schon früher begegnet
zu sein.x)
Beinahe aber hätte die Deutung des auf dem Origi-
nal in gleichmäßig leichtem Relief gegebenen kreis-
runden Fleckes auf der linken Schläfe der anmutigen
Schönen bei der Inventarisation des kleinen Schnitz-
werkes Anlaß zu ernsten Differenzen gegeben.
Sollte dieses Kreisrund als Kostümdetail — etwa
als die glatte Platte einer goldenen Heftel im hier, an
der Schläfe aufgenommenen Haare — sollte es als
Pflaster erklärt werden? Und wenn als Pflaster, war
es dann ein Heil- oder ein Schönheitspflaster ?
Die erste Vermutung, die Deutung als Haarheftel,
schied sehr bald aus. Wenn in der Buchsholzschnitze-
rei Zweifel über Farbe und Material des fraglichen Ob-
jektes möglich waren, so ergab die Darstellung des
gleichen Rundes an der gleichen Stelle auf einer Bildnis-
radierung Wenzel Hollar’s und einem Gemälde Pieter
de Hoogh’s mit Sicherheit, daß es sich nur um ein
schwarzes Schläfenpflaster handeln könne.
Seltsam, daß dieses sittengeschichtlich doch gewiß
nicht ganz belanglose Detail bisher ganz unbeachtet
geblieben ist. Mit einer einzigen älteren Ausnahme
haben die Verfasser aucli der ausführlich beschreiben-
den Galeriekataloge die Erwähnung dieser sich immer
sehr deutlich abhebenden, ja bisweilen augenscheinlich
x) Die Art des Haubenschmuckes bei verdecktem Ohr be-
gegnet man mehrfach z. B. bei dem Frauenbildnis des Vermeer van
Delft in Budapest, bci Terborch, zwei Paare, 1658 und Coques,
Bildnis einer Frau 1651 (Schwerin No. 1011 u. 150), bei den Qe-
mälden des berliner Kaiser Friedrich-Museums 295 und 795d (Jan
Steen), 792e (Metsu), 820 B (de Hoogh) und 877 B (Verspronck).
ganz bewußt zur Schau gestellten Schläfenpflaster nicht
für der Mühe wert gehalten, obwohl es, wie sich erge-
ben wird, in manchen Fällen eine für das Motiv des
Bildinhalts nicht ganz unwesentliche Rolle spielt. Auch
Hofstede de Groot in seinem beschreibenden und kriti-
schen Verzeichnis der Werke der hervorragendsten hol-
ländischen Maler des XVII. Jahrhunderts tut dieses
Pflasters nur hin und wieder Erwähnung, ohne es, mit
Ausnalnne des Casseler Bildnisses Nr. 293, wo er es
ausdrücklich „Schönheitspflaster“ nennt, näher zu cha-
rakterisieren. Gute, ja hervorragende Kenner der hol-
ländischen Malerei des XVII. Jahrhunderts, die um ihre
Meinung befragt wurden, liatten diese — zierenden oder
verunzierenden? — schwarzen Flecken, die so pikant
auf dem blonden Inkarnat der Gesichter der hollän-
dischen Mädchen und Frauen stehen, in ihren eigenen
Galerien selbst noch gar niclit beachtet, ärztliche Auto-
ritäten des In- und Auslandes waren bald dieser, bald
jener Ansicht, aucli die neuere Literatur zur Geschichte
der Medizin gab keinerlei Auskunft und so blieb die Ent-
scheidung zwischen mouche und Pechpflaster lange Zeit
zweifelhaft.
Erst eine eingehendere Prüfung der erhaltenen
holländischen Gemälde des XVII. Jahrhunderts brachte
die Lösung. Bei einigem Suchen in den großen Gale-
rierl fand sich mit der Zeit eine ganze Anzahl von Dar-
stellungen bei Netscher, P. de Hoogh, üchterveld, A. v.
d. Tempel, Frans van Mieris, vor allem aber bei Jan
Steen zusammen, die in ihrer Gesamtheit die Frage zu
Gunsten des Heilpflasters entscheiden.
Zeitlich wäre die Deutung des runden schwarzen
Schläfenflecks als Schönheitspflästerchen immerhin
möglich.
Alphonse Maze-Sancier gibt in seinem Livre des
Collectionneurs als früheste literarische Erwähnung der
mouche — und die Mode mußte doch wolil schon einge-
bürgert sein, ehe sie einen solchen literarischen Nie-
derschlag fand — einen Brief mit eingestreuten Versen
vom Jahre 1661 mit dem Titel La Faiseuse de Mouches,
aus dem er die reizenden Verse zitiert:
Pour adoucir les yeux, pour parer le visage,
Pour mettre sur le front, pour placer sur le sein,
Et pourvu qu’une adroite main
Les sache bien mettre en usage,
On ne les met jamais en vain.
Si ma mouche est rnise en pratique,
Tel galant qui vous fait la nique.
S’il n’est aujourd’hui pris, il le sera demain —,
Qu’il soit indifferent ou qu’il fasse le vain,
A la fin la mouche le pique.
Später wurde auch diese Modegrille dressiert. Aus
der in Amsterdam im Jahre 1765 erschienenen Biblio-
theque des Dames von De Resbecq erfahren wir die
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