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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 6./​7.1924/​25

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1./2. Oktoberheft
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Dresdner, Albert: Akademieen und Akademismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.25879#0053

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Akademiebetriebs nicht geschaffen; überall liat es nnr
die römischen Yorbilder und Anregungen weiter ent-
wickelt; auch die Wurzeln der Kunstausstellungen sind
in Italien zu suchen.
Und nun war es die pariser Akademie, die als Yor-
bild wirkte. Das 1S. Jahrhundert wurde das Jahrhun-
dert der großen Akademienmode. Jedes Höfchen, das
auf Reputation hielt, mußte eine Akademie nach pariser
Muster haben. In Italien entstanden damals u. a. die
Akademien von Bologna, Yenedig, Neapel, Parma, Car-
rara, Turin, Genua, Mailand. In Spanien, wo schon 1660
die Akademie von Sevilla begründet worden war
(Murillo war ihr erster Präsident), wurden jetzt auch zu
Madrid und Yalencia Akademien gestiftet. Unter den
deutschen Akademien ist die Nürnberger die älteste
(1662); aucli die Entstehungsgeschichte der Akademien
von Wien, Berlin, Dresden reicht noch bis ins 17. Jahr-
hundert zurück. Im 18. schossen sie dann wie die Pilze
aus dem Boden: Bayreuth, Mannheim, Stuttgart, Düs-
seldorf, Leipzig, Cassel, Augsburg, Gotha, Karlsruhe.
Belgien, England, Schweden, Dänemark, Rußland — alle
folgten mit Akademiegründungen nach, und auch Hol-
land, dessen Maler im 17. Jahrhundert in ilirer ,,Bent“
zu Rom der Akademie den Widerpart gehalten hat-
ten, entschloß sich 1765 zur Eröffnung einer Staats-
akademie in Amsterdam. Vvhe Paris diesen Akademien
in ihren Einrichtungen zum Yorbilde diente, so übernah-
men sie auch den alleinseligmachenden Akademismus
und seinen Regelzwang in der orthodoxen Form, in der
ihn die pariser Akademie redigiert hatte. Was den aka-
demischen Unterncht anlangt, so hatte sich die merk-
würdige Wendung vollzogen, daß er, der ins Leben
gerufen worden war, um die mittelalterliche Hand-
werkslehre durch eine freiere und breitere künstlerische
Ausbildung zu verdrängen, mittlerweile sicli selbst
wieder detn Yerfahren des Mittelalters angenähert
hatte. Denn ein Hauptmittel des Unterrichts bestand
darin, daß der Schiiler Werke seines Lehrers zu kopie-
ren hatte; in Berlin wie in Stockholm wurde nach pari-
ser Zeichnungen oder nach Kopien von solchen kopiert,
und so kam das alte „exemplar“, die Nachahmung von
Meister und Manier, auf Umwegen doch wieder zu
seinem Rechte.
Unter diesen Umständen setzte, wie bemerkt, der
Kampf gegen die Akademien ein. Die Kunst des 18.
Jahrhundert wurde aus ihnen verdrängt; das akade-
mische Unterrichtsverfahren trat in eine Periode der
Umgestaltung ein, die sicli durch das ganze folgende
Jahrhundert fortgesetzt hat — aber das System des
Akademismus selbst behauptete eine zähe Widerstands-
kraft, und insbesondere verblieb es auch weiterhin da-
bei, daß die Akademien die von ihnen verkündete Kunst-
lehre als normativ, als verpflichtend, als Dogma an-
sahen und verfochten. Die Revolutionäre von gestern
wurden zu Regierenden, und David hat ebenso streng
wie Cornelius auf die Verbindlichkcit seiner Formeln
gehalten. Die Entscheidungsschlachten wurden in Paris
geschlagen. Denn in Frankreich hatte der Akademis-
mus sowohl in der Tradition wie in der nationalen Gei-

stesverfassung die stärksten Wurzeln, und zudem fand
er hier seine gewichtigsten künstlerischen Yertreter
und Führer. Die entscheidende Phase bildet das große
Duell Ingres-Delacroix. Kraft einer persönlichen künst-
ierischen Autorität, die aucli von seinen Gegnern
anerkannt und geachtet wurde, gelang es Ingres wräh-
rend seines ganzen langen Lebens (er starb erst 1867)
die Machtstellung der Akademie und der strengen Lelire
zu wahren; er betraclitete sich selbst als „conservateur
des bonnes doctrines“. Aber die Güte dieser Doktrinen
hielt vor der Kunstgeschichte nicht stand. Ingres
konnte die Schlagbäume der Akademie hüten, aber er
konnte nicht verhindern, daß die ganze große Kunst
Frankreichs im 19. Jahrhundert sich außerhalb der Aka-
demie uud gegen sie entwickelte. Delacroix, die Mei-
ster von Barbizon, Courbet, die Impressionisten: sie
alle sind von der Akademie vernachlässigt, abgelehnt,
in Acht und Bann getan worden, und sind doch alle Sie-
ger geblieben. Am Ausgange des Jahrhunderts sind
Akademien und Akademismus auf der ganzen Linie
durchaus in die Stellung einer aussichtslosen Yerteidi-
gung zurückgedrängt.
Versucht man aus diesem geschichtlichen Über-
blick Folgerungen auf ihre heutige Lage zu ziehen, so
ergibt sicli etwa dies. Bewmhrt haben sicli die Aka-
demien jene Funktion als Standesvertretung der Künst-
lerschaft, die sie sich in langen Kämpfen mit den älteren
Organisationen errungen haben, und als solche w^erden
sie nach wie vor vom Staate anerkannt und gestützt
Dagegen haben sie mit dem Absterben des Akademis-
mus den geistigen Boden eingebüßt, auf dem sie er-
wachsen sind und aus dem sie sich drei Jahrhunderte
lang ernährt haben, und sie sehen sich daher darauf hin-
gewdesen sich nach dieser Seite hin eine neue Legiti-
mation im Kunstleben zu suclien. Sie stehen da vor
zwei Auffassungen und Forderungen, die Ansprüche er-
heben. Die eine ist die des radikalen künstlerischen
Subjektivismus, die andere die der organischen und un-
auflöslichen Einheit der Werkkünste und der sogenann-
ten freien Künste. Diese letztere Auffassung ist erst im
jüngsten Menschenalter zu wirksamer Geltung gelangt
und greift gewissermaßen über die Geschichte der Aka-
demien zurück auf vorakademische Gedanken und For-
men. Übrigens ist nicht zu verkennen, daß beide Ideen
znletzt in einem inneren Gegensatze zueinander stelien.
Denn abzusehen davon, daß die Werkkünste ihrer Natur
nach die künstlerische Subjektivität begrenzen, so führt
das Bestreben sie in eine engere Yerbindung mit der
freien Kunst zu setzen notwendig auf eine diesem Ziele
förderliche schulmäßige Organisation der Lehre, wäh-
rend der radikale Subjektivismus im letzten Grunde
überhaupt schul- und organisationsfeindlich gesinnt ist.
Dieser Widerstreit der Ideen bildet, kunstpolitisch be-
trachtet, vielleicht einen Vorteil für die Akademien,
jedenfalls aber wird bei den Plänen und Versuchen einer
Reform der Akademien der Ausgleich zwischen der
geschichtlich gewordenen Form ihrer Existenz und
diesen modernen Forderungen imrner den Kernpunkt
ausmachen.

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