Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 6./7.1924/25
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https://doi.org/10.11588/diglit.25879#0055
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1./2. Oktoberheft
DOI Artikel:Schröder, Bruno: Lebende Antiken
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ten Jahrhunderts entstanden sein, und die Kunstwerke,
die denselben Gegenstand in den Formen der helleni-
stischen Kunst behandeln, seien Übertragungen jener
klassischen Lösung in einen jüngeren Stil (Abb. 4).
Schon vor langem hat der norwegische Kunstgelehrte
A. Aubert rein aus dem Motiv heraus die Entstehung des
Werks im fünften Jahrhundert bestritten, und vor eini-
gen Jahren ist neuere Forschung mit stilgeschichtlichen
Gründen zu demselben Ergebnis gekommen. Danach
wäre also die naturalistische Fassung die ursprüngliche
und die kapitolinische Statue eine Übertragung in den
klassizistischen Geschmack der römischen Zeit. Dieser
spielen. Uns fällt dabei auf, wie die Knöchel auf den
R ü c k e n der Hand gelegt und so in die Höhe ge-
worfen werden (Abb. 5). Genau so sah ich in Griechen-
land Knaben mit Münzen und bunten Steinen spielen,
die sie einander abgewannen. Wie sie dabei am Boden
hockten oder sich niederduckten, das gab natürlich die
reizvollsten, aus denr Altertum und von Murillos Wür-
felspielern her wohlvertrauten Stellungen.
Flübsch war es auch, was mir mehrere Male zu
sehen glückte, wenn Kinder zum eigenen Gesange tanz-
ten oder aucli nur wie probierend, einige Tanzbewe-
gungen ausführten. Wie sich die Körper strafften und
Abb. 3 Abb. 2 4
Auffassung muß jeder beipflichten, der das Motiv in
Wirklichkeit mit Bewußtsein erlebt hat. So sah ich
neulich im Süden einen kleinen Stiefelputzer, ein drol-
liges Kerlchen, auf einer Türschwelle sitzen, mit ge-
spannter Aufmerksamkeit bemüht, einen Splitter aus
der nackten Sohle zu entfernen. Wie der Körper des
Jungen sich zusammenkrümmte, wie das hochgenom-
mene Bein mit dem Knie aus der Geschlossenheit des
Umrisses herausfuhr, das war in jeder Linie genau wie
bei dem antiken Kunstwerk. Eine solche Stellung aber
— das wurde mir bei diesem Anblick zur Gewißheit —
konnte nur einem hellenischen Künstler als Motiv ver-
wertbar erscheinen. Ein Bildner des fünften Jahrhun-
derts wäre achtlos daran vorübergegangen.
Nicht selten findet man in antiker Kunst Darstel-
lungen von Kindern und Mädchen, die mit Knöcheln
federten oder sich mit lässiger Anmut umschwangen,
auch das war nicht anders, als wir es auf den ungezähl-
ten griechischen Bildern tanzender Satyrn, Nymphen
oder sterblicher Jugend zu erblicken gewohnt sind.
Noch manches andere ließe sich anreihen, so die
lebhaften Gesten beim Sprechen, die wir von den Va-
senbildern her kennen, zumal wie der Sprechende die
erhobene rechte Hand mit der Handfläche nach vorn
dem Angeredeten entgegenhebt. Ebenso redete im
Altertum der Beter die Gottheit an. Von vielen Weih-
reliefs und Statuetten kennen wir diesen ,,Gebets-
gestus“. Er ist uns auch aus der neueren Kunst als
Gruß des Engels bei der Verkiindigung an Maria wohl-
bekannt, und in theatralischer Steigerung ist derselbe
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die denselben Gegenstand in den Formen der helleni-
stischen Kunst behandeln, seien Übertragungen jener
klassischen Lösung in einen jüngeren Stil (Abb. 4).
Schon vor langem hat der norwegische Kunstgelehrte
A. Aubert rein aus dem Motiv heraus die Entstehung des
Werks im fünften Jahrhundert bestritten, und vor eini-
gen Jahren ist neuere Forschung mit stilgeschichtlichen
Gründen zu demselben Ergebnis gekommen. Danach
wäre also die naturalistische Fassung die ursprüngliche
und die kapitolinische Statue eine Übertragung in den
klassizistischen Geschmack der römischen Zeit. Dieser
spielen. Uns fällt dabei auf, wie die Knöchel auf den
R ü c k e n der Hand gelegt und so in die Höhe ge-
worfen werden (Abb. 5). Genau so sah ich in Griechen-
land Knaben mit Münzen und bunten Steinen spielen,
die sie einander abgewannen. Wie sie dabei am Boden
hockten oder sich niederduckten, das gab natürlich die
reizvollsten, aus denr Altertum und von Murillos Wür-
felspielern her wohlvertrauten Stellungen.
Flübsch war es auch, was mir mehrere Male zu
sehen glückte, wenn Kinder zum eigenen Gesange tanz-
ten oder aucli nur wie probierend, einige Tanzbewe-
gungen ausführten. Wie sich die Körper strafften und
Abb. 3 Abb. 2 4
Auffassung muß jeder beipflichten, der das Motiv in
Wirklichkeit mit Bewußtsein erlebt hat. So sah ich
neulich im Süden einen kleinen Stiefelputzer, ein drol-
liges Kerlchen, auf einer Türschwelle sitzen, mit ge-
spannter Aufmerksamkeit bemüht, einen Splitter aus
der nackten Sohle zu entfernen. Wie der Körper des
Jungen sich zusammenkrümmte, wie das hochgenom-
mene Bein mit dem Knie aus der Geschlossenheit des
Umrisses herausfuhr, das war in jeder Linie genau wie
bei dem antiken Kunstwerk. Eine solche Stellung aber
— das wurde mir bei diesem Anblick zur Gewißheit —
konnte nur einem hellenischen Künstler als Motiv ver-
wertbar erscheinen. Ein Bildner des fünften Jahrhun-
derts wäre achtlos daran vorübergegangen.
Nicht selten findet man in antiker Kunst Darstel-
lungen von Kindern und Mädchen, die mit Knöcheln
federten oder sich mit lässiger Anmut umschwangen,
auch das war nicht anders, als wir es auf den ungezähl-
ten griechischen Bildern tanzender Satyrn, Nymphen
oder sterblicher Jugend zu erblicken gewohnt sind.
Noch manches andere ließe sich anreihen, so die
lebhaften Gesten beim Sprechen, die wir von den Va-
senbildern her kennen, zumal wie der Sprechende die
erhobene rechte Hand mit der Handfläche nach vorn
dem Angeredeten entgegenhebt. Ebenso redete im
Altertum der Beter die Gottheit an. Von vielen Weih-
reliefs und Statuetten kennen wir diesen ,,Gebets-
gestus“. Er ist uns auch aus der neueren Kunst als
Gruß des Engels bei der Verkiindigung an Maria wohl-
bekannt, und in theatralischer Steigerung ist derselbe
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