Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 6./​7.1924/​25

DOI Heft:
1./2. Oktoberheft
DOI Artikel:
Fleischer, Max: Kunsteindrücke von der Wembley-Ausstellung in London
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25879#0060

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
von zünftigeren Federn besprochenen Empire Exhibi-
tion. Es ist auch nicht meine Absicht, hier eine Be-
sprechung derselben zu geben, sondern ich möclrte nur
einige Kunsteindrücke festhalten, die sich einem, frisch
vom Continent importiert, im Palace of Arts aufdrängen.
Nachdem man sich wohl eine Stunde in denr Auto-
bus durch die endlosen westlichen und nordwestlichen
Vororte hat durchschütteln lassen, sieht man, etwas in’s
Freie gekommen inr welligen Gelände die ausgedehntei,
hell schimmernden Baulichkeiten der Wembley-Aus-
stellung aufragen. Bequemer, aber minder instruktiv
erreicht man dieselben in der Untergrundbalrn. Gleich
nach dem Eintritt durch die westlichen Tore erhebt sich
reclrts von uns das imposante Stadion, auf dessen Te-
rassen gerade eine militärische, schottische Dudelsack-
kapelle ilire temperamentvollen, aufreizenden Weisen
hören ließ. In der Mitte liegen in Gartenanlagen der
australische und canadische Pavillon, im Hintergrund
der indische und der große Ingenieur- und Industrie-
palast, rechts unser Ziel, der Kunstpalast. Doch vor
dem Eingang desselben staut sich eine Menschenmenge,
die auf Einlaß wartet. Ich bekomme einen ganz mäch-
tigen Respekt vor dem Kunstinteresse der englischen
Ausstellungsbesucher! Ganz anders wie bei uns, denke
ich betrübt und beschließe, den Besuch auf morgen zu
einer früheren Stunde zu verschieben. Besonders In-
teresse hatte ich noch für die ostasiatischen Pavillons,
da ich durch meinen fast zehnjährigen Aufenthalt in den
verschiedenen Kolonien Ostasiens, mit der dortigen an-
gewandten Kunst vertraut war. Der bei weitem sehens-
werteste ist der indische Pavillon, welcher dem Taj.
Mahal äußerlich in Gips nachgebildet ist und innen die
wertvollsten indischen Sammlungen der Webekunst,
Edelstein- und Metallarbeiten, Holz- und Elfenbein-
schnitzereien und last not least eine kleine Sammlung
von Originalminiaturen der Mohulperiode, auf die wir
i.tti Kunstpalast noch zurückkominen werden, enthält.
Was alles hier von Kleinkunst zusammengetragen ist,
hat man selbst bei längerem Aufenthalt im Lande nicht
Gelegenheit, so vollständig und in so prächtigen
Stücken zu sehen. Es hat den Anschein, als wenn meh-
rere indische Maharadschas ihre Schatzkammern ent-
leert und zur Ausstellung gebracht hätten.
Am nächsten Morgen bei meinem erneuten Ver-
such, in den Kunstpalast zu gelangen, traue ich kaum
meinen Augen, als ich dieselben Menschenscblangen an-
stehen sehe, um Einlaß zu erlangen. Ich schließe mich
mutig den letzten Reihen an, um, endlich an den Ein-
gattg gelangt, belehrt zu werden, daß dieser Andrang
nicht der eigentlichen Kunstausstellung, sondern dem
auch schon in allen Ausstellungsberichten ausführlich
beschriebenen Puppen-Haus der Königin ,,Queens doll
house“ gilt. Ich möchte mich hier nicht weiter über
die Existenzberechtigung einer derartigen bis in’s
kleinste Detail gehenden Nachbildung profaner und
nicht profaner Gebrauchsgegenstände, kurz eine spiele-
rische Gopie eines fürstlichen Palastes im kleinen ver-
breiten, hat dieselbe doch 1500 „Artisten“ Arbeit ge-
geben und dient vor allem der Ertrag einem wohltätigen

Zwecke, äber bezeichnend bleibt es doch für den
Durchschnittsgeschmack, daß es die populärste Attrac-
tion der Ausstellung bildet.
Nun in die richtigen Kunstsäle, die zum Teil eine
retrospektive Ausstellung von älteren Gemälden von
ungefähr 1750 an bis auf den heutigen Tag, z. B. Rey-
nolds, Lawrence, Raiburn, Gainsborough, Romney,
Gonstable, Turner etc. enthalten. Was nun die in den
letzten Jahren geschaffenen Bilder betrifft, so geben
dieselben nichts als eine Wiederholung der jährilichen
Royal Academy-Ausstellungen. Warum man nun hier
einen Abklatsch der mehr oder minder verkalkten Rich-
tung der Royal-Akademie gemacht hat, ist nicht recht
verständlich. Hier wäre doch Gelegenheit gewesen.
einen frischeren Luftzug hineinzubringen und die mo-
dernere Richtung zu Worte kommen zu lassen. Fast
spurlos sind die letzten 20 Kampfesjahre an dieser
Phalanx vorübergezogen und abgeprallt. Keine Spur
von irgend etwas, das entfernt weder in der Malerei
noch weniger in der Skulptur an Expressionismus er-
innern könnte. Sehr respektable Arbeiten, nobel in der
Auffassung und korrekt gezeichnet, solide und sauber
gemalt, ach, so sauber und korrekt, daß man vor Lange-
weile das Gähnen bekommt! Englische Kollegen sag-
ten: ,,Ja, wenn man moderne Kunst sehen will, dann
muß man auch nicht in die Royal Academy oder nach
Wembley konnnen“.
Etwas anregender sind noch die kolonialen Säle,
besonders die canadische Abteilung, die durch ein
frisches Draufgängertum hervorsticht, das aber noch
ganz im conventionellen Pleinair stecken geblieben ist.
Wirklich interessant und anregend ist nur die englisch-
indische Abteilung, da dort die meisten modernen Kiinst-
ler die gute Tradition der Miniaturen der großen Mog-
hulperiode weiter verfolgt und mit künstlerischer Füh-
lung weiter ausbaut. Was daun im allgemeinen die
Wahl der Motive der jetzigen englischen Malerei und
Plastik anbetrifft, so war es angenehm berührend, daß
weder in der Royal Academy noch in Wembley kaum
ein Motiv zu sehen war, welches sicli auf den Weltkrieg
bezog. Ganz anders bei uns, wo nach dem siegreichen
1870 noch Jahrzehntelang alle Ausstellungen von Kriegs-
bildern und Kriegs-Monumenten wimmelten. Angenehm
auffallen kann ebenfalls in den beiden genannten Aus-
stellungen, daß man nicht mehr wie vor 20 Jahren in der
Royal-Akademie, die Bilder wie in Bilderläden minde-
rer Sorte aufhing, d. h. in 3—4 Stockwerken iiber- und
aneinandergepreßt, sondern sich mit zwei Reihen über-
einander begnügt, was ja aucli uoch zu reichlich ist.
aber es wollen halt zu viele in der Akademie hängen
und — verkalken.
Mit der bildenden Kunst ist im Kunstpalast von
Wembley auch eine Abteilung für angewandte Kunst
und Architektur untergebracht. Von dieser ist aber beim
besten Willen nicht viel rühmliches zu sagen. Hier und
da ein gutes Stück. Interessant sind einige altenglische
Zimmereinrichtungen von einer Abraham Swankammer
(1750) an bis zu Morris, ebenso eine kleine Nachbildung
der alten Shakespearebühne. Die einzig moderne Halle,

46
 
Annotationen