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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 6./​7.1924/​25

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1./2. Januarheft
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1./2. Februarheft
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Schellenberg, Carl: Die Illustrationsprinzipien der Dürer-Apokalypse
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https://doi.org/10.11588/diglit.25879#0207

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Die bildmäßigen Illustrationen der Trierer, Cam-
braier und Bamberger Apokalypse schalten durch die
Darstellung: vor einem unräumlichen, neutralen Hinter-
grund im einzelnen Bild den Zeitmoment aus, das Ent-
wicklungserlebnis schleicht sich jedoch durcli die Dar-
stellung der Geschehnisse auf vielen, einander folgenden
Bildern wieder ein. Die Offenbarung hat in ihnen also
nicht ihre vollkommene Verbildlichung gefunden.
Bevor wir zur Untersuchung der Dürer-Apokalypse
übergehen, müssen wir mit wenigen Worten über die
Lösung des Raumproblems auf den Holzschnitten der
Koburger Bibel von 1483 (Hain 3137) referieren, da die
weitgehende Übereinstimmung der einzelnen Motive,
den Verdacht aufkommen läßt, Dürer sei auch im Prin-
zipiellen von dem bescheidenen Holzschneider abhän-
gig. Es ist jedoch durchaus anders; die kleinen Schnitte
zeigen eine merkwürdige Mischung aus allen Verhal-
tungsweisen zur Raumdarstellung. Die Schnitte sind
offenbar die Endglieder einer addierenden Tradition:
entweder sind die einzelnen Bilder aus denen ein Holz-
schnitt besteht, deutlich voneinander geschieden, oder
die Grenzen sind verwischt, aber noch zu fühlen. Die
meisten Schnitte sind außerdem linearperspektivisch zu
bauen versucht; in andern sind die Figuren vor das
reine, Übersinnlichkeit verleitende Weiß des Hinter-
grunds gesetzt, so daß aucli die Herkunft vom abge-
schlossenen Bild mit flächenhaftem Hintergrund zu er-
kennen ist.
Die Analyse der Apokalypsenillustrationen von
Dürer ergibt also, daß eine adäquate Form nicht gefun-
den wurde. Dürer schafft etwas vollkommen Neues, er
als Einziger verwandelt die Wunder der Offenbarung in
„wunderbare“ Bilder.
Bei der Betrachtung der Dürer-Apokalypse fällt
zunächst auf, daß der Bibeltext förtlaufend auf die Rück-
seite der Blätter gedruckt ist, olme eine optische Be-
ziehung zwischen dem Text und den zugehörigen Bil-
dern herzustellen. Das Bild soll als Vision wirken, und
der Betrachter nicht durch den Text abgelenkt werden.
Im Hinblick auf die Lösung des Raum-Zeitproblems,
dessen fundamentale Bedeutung für die Aufgabe wir
oben skizzierten, lassen sich die Blätter zu drei Gruppen
ordnen. Die erste Gruppe enthält die Schnitte, in denen
sich Reste addierender Komposition finden; es handelt
sich um die Blätter B. 65, B. 69, B. 74, B. 73. Die Über-
einanderordnung der Szenen in mehreren Stockwerken
deutet auf die mittelalterliche Vertikaladdition der
Szenen (Prototyp: Apokalypse der Hamburger Stadt-
bibliothek i. scr. 87). Das Besondere an diesen addie-
renden Dürer-Blättern ist nun aber, daß Dürer sowohl
die gegenwartsräumlichen Durchblicke als auch die
übereinandergeordneten Scenen einbindet in die Fläche.
Auf allen diesen Blättern spielen die Symmetrie, die
Mittelsenkrechte, die Bilddiagonalen und die Verzahnun-
gen der Bildteile untereinander in der Fläche eine den
Eindruck bestiimnende Rolle. Das Gegeneinanderspiel
von Gegenwartsraum, Übereinander, Vor- und Zurück,
denn die auf den gleichen Kompositionslinien gelegenen
Bildelemente sind durch den verschiedenen Maßstab

als verschiedenen Bildelementen angehörig gekenn-
zeichnet, dieses Gegeneinanderspiel führt iiber die ge-
meine Wirklichkeit hinaus und schafft die Wunder-
athmosphäre, in der eine Vision dargestellt werden muß.
B. 73 zeigt neben der Vertikaladdition der Szenen
einen Rest von Addition auf der Horizontalachse und
B. 66 zeigt eine Horizontaladdition im Gegenwartsraum.
Die zweite Gruppe der Schnitte bilden die Blätter
B. 62, B. 63, B. 64, B. 68, B. 71, B. 72 und B. 67. Auf
diesen Blättern stehen die Erscheinungen nicht im Ge-
genwartsraum, sondern vor dem weißen Papiergrund,
der den Goldgrund vertritt, oder im Dämmer der
schwarzen Strichelung, die alles umhüllt.


Die Verteilung der weißen
Gewänder und der Sternen-
fall. B. 65

Die vier Engel der Apo-
kalypse. B. 69


Die Babylonische auf denr
siebenköpfigen Ungeheuer.
B. 73


Der Löwe mit den Widder-
hörnern. B. 74

Auf den Blättern der dritten Gruppe sind die Vor-
gänge im Gegenwartsraum dargestellt; es handelt sicli
um die Schnitte B. 61, B. 70 iind B. 75. (B. 61 scheidet
für die Betrachtung aus, da es sich um die Darstellung
des Martyriums, eines realen Vorgangs, handelt.) Diese
aus den Illustrationsprinzipien gewonnene Gruppierung
der Blätter stimmt mit der stilanalytischen Gruppierung
(Wolfgang Stechow, Die Chronologie von Dürers
Apokalypse und die Entwicklung von Dürers Holz-
schnittwerk bis 1498, Dissertation Göttingen 1921), nicht
übereln. — Wir sehen in die Gruppierung der Sclmitte,
die sicli bei der Betrachtung ilires Verhältnisses zur
Vision ergibt, einen Hinweis auf die Fundamente,

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