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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 6./​7.1924/​25

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1./2. Januarheft
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1./2. Märzheft
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Schottmüller, Frida: Tierbronzen der italienischen Renaissance in Berliner Privatbesitz
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https://doi.org/10.11588/diglit.25879#0258

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Riccios oben erwähnter Kandelaber bietet für beide
Gruppen mittel- und unmittelbar ein reiches Vergdeichs-
material. Zudem mögen manche exotische Tiere da-
mals nur in diesem Stapelplatz des Orientshandels zu
sehen gewesen sein; und das Studium antiker Werke
war in Padua seit Squarcione bedeutungsvolle Tradition
und wenig später in Venedig selbstverständlich. Daß
neben der künstlerischen Gestaltung in jener Zeit auch
Naturabgüsse von Schlangen, Fröschen, Schildkröten
und ähniichem Getier in Aufnahme kamen, und beides
oft als Dekoration vereint wurde, sei nur erwähnt. Die
eingehende Untersuchung dariiber von einem Wiener
Kollegen ist leider noch nicht gedruckt.
Gegenüber den Pferden und Karnpfgruppen der
Gian Bologna-Schule sind die älteren oberitalienischen
Arbeiten schlichter, doch lebenswärmer in der Auffas-
sung. Statt durch akademische Formenschönheit wir-
ken sie durch Frische und Unmittelbarheit; Primitiver
ist ihre Technik, denn es fehlt jene raffinierte Ober-
flächenbehandlung, die die feinsten Erhebungen von
Muskeln und Sehnen artikuliert und zugleich durch sorg-
fältige Politur das Zusammengehörende zusammen-
schließt und die Schönheit der glatten Bronzehaut zur
vollen Wirkung bringt. Im Lauf des Cinquecento wird
indessen der Bronzestil Venedigs entschieden malerisch.
Im Gegensatz zu der präzisen Formgestaltung in Flo-
renz betont man hier den Reiz der Oberfläche und be-
vorzugt schwellende Formen, man charakterisiert das
flockige Fell der Ziege und das zottige Kicid
des Bären, sowie die üppige Form der Löwen-
mähne und deutet die zarte Zeichnung der Schlan-
genhaut durch feine Schuppen an. Auch am Türklopfer
der Sammlung des Grafen Pourtales (Abb. 3), die zu
Anfang des Weltkrieges in Petersburg ein trauriges
Ende nahm 13), bildet der rauhe Schlangenkörper einen
malerischen Kontrast zu den Flügeln aus weichem
Akanthuslaub und dem unheimlichen Kopf, dessen glatte
Haut sich straff und spiegelnd über wulstige Muskeln
und scharfe Knochenränder zieht.
Man darf auch andere Ungeheuer, die als Gefäße
oder Lampen dienen sollten, als venezianische Renais-
sance oder Frühbarock ansprechen. So die hockende
Sphinx mit aufgeblasenen Backen und mit Bockshörnern
am Helm in der ehemaligen Sammlung Karl von Hollit-
scher in Berlin 14). Im Typus ist sie den Unholdinnen
am Osterleuchter Andrea Brescianos in S. Maria della
Salute nahe verwandt. Die hockende Stellung uud der
bewegte Umriß nahm ihr die monumentale Ruhe, die
dem ägyptischen Urtyp eignet; und ebenso ist der Aus-
druck des individuellen Kopfes mit aufgeblasenen Bak-
ken denkbar verschieden von jenem. Die Chimäre ward

1:i) Der Palast der deutschen Botscliaft ward in Brand ge-
steckt, die größeren Kunstwerke wurden zerstört, die kleineren
vermutlich zum großen Teil gestohlen. Etliche sind im Handel
später wieder aufgetaucht. Eine reichere, aber weniger ausdrucks-
volle Variante des Türklopfers befand sich in der Sammlung Ne-
wall (Abb. Bode a. a. 0. III S. 16).
Abb. einer Replik in Florenz, Museo Nazionale bei Bode
a. a. 0. I Taf. 46 als Riccio, eine andere in der einstigen Sammlung
Pierpont Morgan (Abb. in Bodes Katalog I M. 56 Taf. XXXVIII.)

hier zur komischen Figur. Aehnliches gilt von der phan-
tastischen Lampe der Sammlung von Geheimrat Dr. E.
Simon in Berlin (Abb. 4). Der weiche, nach hinten stark
verjüngte Körper endet in zwei schlangenartigen Füßen,
während die vorderen wie Löwenpranken gebildet sind.
Dem bärtigen Haupt fehlt der als spitze Mütze geformte
Deckel, den die Variante im Victoria and Albert Museum
zu London besitzt. Das Gesicht ist ernster, fast leidend,
doch dieser Ausdruck nur angedeutet, wie gebändigt
durch die Konvention. Denn das Fabelwesen wurde als
Gerät gleichsam jum friedlichen Haustier; es fügte sich
der Sitte. Das entspricht der geistigen Einstellung jener
Tage. Aber es waren auch Unterströmungen vorhanden,
düstere Phantasien einzelner gewannen Form; und das
herannahende Barock fand für solche Nachkömmlinge
des Mittelalters, eine neue, eigne Ausdrucksweise. Es
gelang die Großartigkeit des Unheimlichen und Rätsel-
vollen darzustellen. Ein seltenes Beispiel dieser Rich-



Abb. 5. Venedig um 1550. Löwe
Sammlung Qeheimrat Dr. E. Simon, Berlin
tung ist der Tierkrug der ehemaligen Sammlung K. von
Hollitscher 15). Die phantastische Wirkung liegt nicht
im Motiv — dies Wort im gröbsten Sinn gemeint —.
denn ein schreiender Bock könnte ebenso gut genrehaft-
komisch wirken, wie andere Ziegen = Abbilder der Re-
naissance. Das Unheimliche liegt hier vielmehr in der
Jntensität leidvollen Ausdrucks bei einem so wunder-
lichen Fabelwesen. Es hockt wie ein feistes Nagetier
am Boden, besitzt statt der Vorderfüße kurze Flügei
und hat den Kopf init weit aufgerissenem Maul und lan-
gen Hörnern etnporblickend hintenüber gereckt. Dazu
ist jede Einzelheit naturalistisch durchgebildet. und

l5) Eine Wiederholung im Victoria und Albert-Museum in Lon-
don, deren Photographie ich durch Prof. Dr. Schnorr von Carols-
feld kennen lernte. Dieser h'at im Jahrbuoh für Kunstsammler
(1923) Montfaucons Stic’n des Tierkrugs (in L’Antiquite expli-
quee . . . Paris 1719—24 Bd. III Taf. 70) veröffentlicht, wie auch
die freie schöne Nachbildung desselben in Meißner Porzellan durch
.1. G. Kirchner. Tierkrug und Sphinx-Lampe sind im Hollitscher-
Katalog von Bode und Friedlaender, durch v. Falke im 3. Katalog-
Band der Bachstitz-Galleries und durch Frank E. Washburn Freund
in The Bachstitz Collection of Renaissance Bronzes veröffentlicht.

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