Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 6./7.1924/25
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https://doi.org/10.11588/diglit.25879#0265
DOI issue:
1./2. Januarheft
DOI issue:1./2. Märzheft
DOI article:Bauer, Curt: Max Neumann
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.25879#0265
Merkmal bleibt nicht das Objekt an sich, sondern viel-
mehr die Art, wie er es überhaupt in jedem Falle ver-
steht, das Stoffliche mit dem Geistigen zu durchdringen.
Während wir den Grundzug strenger Sachlichkeit, die
sich auf Natur und Geschichte erstreckt, beobachten,
werden wir gelegentlich von einer machtvollen visionä-
ren Intuition mitgerissen, die uns wohltuend der Wirk-
lichkeit enthebt, ohne uns ihren Boden unter den Füßen
zu entziehen. Dies edle Maßhalten auf der Grenze zwi-
schen Einbildungskraft und objektiver Wahrheit ist
einer der wesentlichsten künstlerischen Vorzüge im
Schaffen Max Neumanns, das von einer überlegenen
menschlichen Reife zeugt und ilm vor jedem expressio-
nistischen Sprung ins Absurde bewahrt. Bei dieser in-
mitten unseres expressionistischen Zeitstroms so ge-
wissenhaft und einfach anmutenden Art dürfen wir von
seiner Kunst natürlich nicht immer die letzten Worte
erwarten. Immer wieder stoßen wir auf Versuche, in
denen er über eine vornehme Auffassung der Natur
nicht hinauskommt, als widerstände es ihm, mehr zu
erzwingen als die Stunde gewährt, oder innere Regun-
gen mit unzureichenden Mitteln auszudrücken, wie das
heute an der Mode ist. Nein, die Kunst, sich auf Kosten
der gesunden Sinnes-Vernunft anderer aufzublähen.
war ihm nicht zuteil. Daher vollzog sich seine Entfal-
tung in der Stille, nicht im geräuschvollen Kampf der
Parteiungen. Und daher auch berührt es so natürlich
und mitreißend, wenn hie und da einmal in seinen Ge-
mälden das Visionäre in den Vordergrund tritt, derge-
stalt, daß wir es aus der Natur herauswachsen sehen
und als Wirklichkeit empfinden.
Obwohl alle derartigen Intuitionen vollständig auf
Farbe basieren, brachte es Max Neumann auch in der
Illustrationskunst zu bedeutenden Leistungen. Und so-
gar hier bricht sich immer mehr eine leicht ins dämo-
nische spielende Grazie Bahn, die namentlich den dich-
terischen Werken Balzacs und E. T. A. Hoffmanns ange-
passt erscheint. Trotz der Zurückgezogenheit des
Künstlers hat sich seine Kunst bereits viele Freunde
und Anerkenner erworben und kürzlich sogar eine
wohlverdiente Würdigung durch den Ankauf einiger
Werke seitens der Berliner Nationalgalerie erfahren.
Aber Max Neumann geliört zu jenen Künstlern, denen
der äußere Erfolg keine Befriedigung verleiht. Sie
suchen nicht die Welt, sondern sich selbst: nämlich das
Verhältnis zwischen dem eigenen Ich und der Umge-
bung oder was wir in der Kunst eine Synthese zwischen
Ihusion und Wirklichkeit nennen dürfen.
r
Wilhelm Wagner, Amsterdam. Aquarell
Ausstellimg in der Galerie Rudolf Wiltschek, ehem. Kleine Galerie, Berlin
231
mehr die Art, wie er es überhaupt in jedem Falle ver-
steht, das Stoffliche mit dem Geistigen zu durchdringen.
Während wir den Grundzug strenger Sachlichkeit, die
sich auf Natur und Geschichte erstreckt, beobachten,
werden wir gelegentlich von einer machtvollen visionä-
ren Intuition mitgerissen, die uns wohltuend der Wirk-
lichkeit enthebt, ohne uns ihren Boden unter den Füßen
zu entziehen. Dies edle Maßhalten auf der Grenze zwi-
schen Einbildungskraft und objektiver Wahrheit ist
einer der wesentlichsten künstlerischen Vorzüge im
Schaffen Max Neumanns, das von einer überlegenen
menschlichen Reife zeugt und ilm vor jedem expressio-
nistischen Sprung ins Absurde bewahrt. Bei dieser in-
mitten unseres expressionistischen Zeitstroms so ge-
wissenhaft und einfach anmutenden Art dürfen wir von
seiner Kunst natürlich nicht immer die letzten Worte
erwarten. Immer wieder stoßen wir auf Versuche, in
denen er über eine vornehme Auffassung der Natur
nicht hinauskommt, als widerstände es ihm, mehr zu
erzwingen als die Stunde gewährt, oder innere Regun-
gen mit unzureichenden Mitteln auszudrücken, wie das
heute an der Mode ist. Nein, die Kunst, sich auf Kosten
der gesunden Sinnes-Vernunft anderer aufzublähen.
war ihm nicht zuteil. Daher vollzog sich seine Entfal-
tung in der Stille, nicht im geräuschvollen Kampf der
Parteiungen. Und daher auch berührt es so natürlich
und mitreißend, wenn hie und da einmal in seinen Ge-
mälden das Visionäre in den Vordergrund tritt, derge-
stalt, daß wir es aus der Natur herauswachsen sehen
und als Wirklichkeit empfinden.
Obwohl alle derartigen Intuitionen vollständig auf
Farbe basieren, brachte es Max Neumann auch in der
Illustrationskunst zu bedeutenden Leistungen. Und so-
gar hier bricht sich immer mehr eine leicht ins dämo-
nische spielende Grazie Bahn, die namentlich den dich-
terischen Werken Balzacs und E. T. A. Hoffmanns ange-
passt erscheint. Trotz der Zurückgezogenheit des
Künstlers hat sich seine Kunst bereits viele Freunde
und Anerkenner erworben und kürzlich sogar eine
wohlverdiente Würdigung durch den Ankauf einiger
Werke seitens der Berliner Nationalgalerie erfahren.
Aber Max Neumann geliört zu jenen Künstlern, denen
der äußere Erfolg keine Befriedigung verleiht. Sie
suchen nicht die Welt, sondern sich selbst: nämlich das
Verhältnis zwischen dem eigenen Ich und der Umge-
bung oder was wir in der Kunst eine Synthese zwischen
Ihusion und Wirklichkeit nennen dürfen.
r
Wilhelm Wagner, Amsterdam. Aquarell
Ausstellimg in der Galerie Rudolf Wiltschek, ehem. Kleine Galerie, Berlin
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