haben, daß wohl nicht selten die figürlichen Kompositionen land-
schaftliche Hintergründe zeigen, daß sie aber ihr letztes und
höchstes Ziel im Figürlichen sahen.
Diese letzte Vollendung ist wie so vielen anderen beachtens-
werten Künstlern auch Utrillo versagt geblieben, er hat meines
Wissens nie Figuren gemalt.
Aber vielleicht ist es irgend eine verschüttete Sehnsucht in
ihm, die nicht zur Entwicklung reifen konnte infolge irgendwelcher
Hemmungen und die nun seine Landschaften so menschlich spre-
chend, so dramatisch, so tragisch machen.
Diese Vorstadtgassen mit ihrer reichen Armseligkeit, den
bunten Türmchen und kleinen Leute-Bewohnern, hat Utrillo immer
wieder gemalt, aber auch Kirchen, die Notre dame, die schwer
und schwarz und grau gegen den grauen Himmel steht, bei aller
Simplizität von reicher Farbigkeit und reiner Harmonie, und ganz
klassisch in ihrem schweren, aber reinen und doch so unendlich
melodiösen Gefüge horizontaler und vertikaler Linien.
Kein seliger Rausch, aber wie heilende Frömmigkeit liegt
iiber diesen Kirchenbildern, und wie leuchtende Märchen liegen die
sternhellen Kuppeln der Eglise de Sacre Coeur über dem Fond
dunkler Gassen, als strahlende Sonnen über dunklen lastenden
Niederungen, wie Fata Morgana zu schauen von dem Grand
Boulevard aus.
Breitete sich über diese Landschaften nicht das Genie des
Kiinstlers, die verklärende Sonne Gottes, sie wären nur erschüt-
ternde Dokumente menschlicher Tragik.
Aber Gottes Geist ist ihnen.
Das Gefüge dieser Bilder ist straff, klar organisiert, ryth-
misch, farbig, ausdrucksvoll.
Eine große Anzahl Bilder nur in Fahlgelb und grau und doch
liegt zwischen diesen beiden dominierenden Farben ein Reich-
tum von Variationen.
Ganz einfach sind diese graugelben Bilder, aber welche Fülle
von Schönheit und Harmonie. Kann man Kunstwerke, Bilder, mit
Worten ausschöpfen, ausdeuten, wie armselig ist die Sprache,
das Wort, Farbe zu deuten oder Form.
*
Ossip Zadkine ist Russe, einfach, natürlich nicht der
überkultivierten Großstadt entstammend, sondern urgesunder
Scholle.
Neigt die Kunst des überfeinerten iibersensiblen Franzosen
Utrillo ins grazile und aristokratische, so Utrillo kompiiziert
Utrilio ins grazile und aristokratische, so zeigt sich Zadkines Kunst
als einfach und groß, ist Utrillo kompliziert so ist Zadkine ganz
unkompliziert, ist ganz und gar das Gegenteil von Utrillo.
Von seiner ersten bis zu seincr letzten Plastik führt ein ge-
rader, ldarer, übersichtlicher Weg, der konsequent beschritten
wurde.
Er ist kein Akrobat, kein Seiltänzer, keiner jener modernen
übergeschickten Alleskönner, eher ein Bauer, der keine andere als
die ihm bekannte Marschroute geht, erdschwer und behäbig.
Er lebt zwar seit 15 Jahren in Paris und ist doch kein Pariser
geworden, sondern ganz Russe geblieben.
Er ist in erster Linie Steinbildhauer, Architekturbildhauer,
und es gibt kaum ein Steinmaterial, dem er nicht voller Hingabe
seine geheimsten Reize abgewonnen hätte, vom gewöhnlichen
Kalkstein bis zum Porphyr, dem Pyrenäengranit, dem Marmor,
dem Zement, oder dein dunkelbraunen Eisenstein Pierre do Voloic
zur Terracotta und Fayence.
Aber auch Plastiken in Holz, braun nature, vergoldet, poliert,
polierter Bronce, poliertem Kupfer, da läßt er alle Register spielen
und bleibt doch in jeder Materie der materialechte Former.
Viele seiner früheren Plastiken, so der Prophet, der Sklave
von 1915 etc., ragen wie flammende Kultmale altvergangener Zeiten
ins Heute, etwas befremdlich vielleicht so im Ausstellungsraum,
denn Zadkins Plastiken gehören in den engsten Zusammenhang mit
der Architektur, gehören in unmittelbare Nähe der Wand.
Alle seine Plastiken sind keine eigentlichen 3 dimensionalen
oder Rundplastiken vielmehr Reliefs, auch seine Rundplastiken sind
zum Relief gemacht, sind flächig gedacht zweifellos, wie seine
Akt-Fassaden (wie ich seine Akte nennen möchte) zeigen.
Statt die Brüste einer Figur, die Arme oder die Finger der
Hände rund nach außen, also vorzuwölben, wölbt er sie nach
innen, tritt statt vor zurück, um flächig werden zu können und er-
reicht auch so die gleiche Wirkung, die Wirkung der Rundheit
der Formen.
Die Gesichte werden der Flächigkeit zuliebe etwas nach
innen eingedrückt.
Der 3 dimensionale Kubus wird so auf die 2 dimensionale
Fläche reduziert.
Dieses Flächigseinwollen ist keine bioße Laune, kein bloßes
Modern sein wollen, sondern entspringt bewußtem Wollen nach
Simplität, nach Architektur und größerer und leichterer Verständ-
lichkeit und tatsächlich hat diese Flächigkeit das eine für sich, daß
der Beschauer nicht erst die Plastik zu umkreisen braucht, um sie
zu begreifen und das andere, daß diese Art Relief ein angenehmes
Mehr von Volumen haben, als die uns unter dem bisherigen Begriff
Relief bekannten Plastiken.
Ist das noch Plastik? Was ist Plastik? Zadkine sagte mir,
das ist wirkliche Plastik, angewandte Plastik, Architektur.
Die letztvergangenen Entwicklungsperioden in der bildenden
Kunst haben ja so manchen überkommenen alterwürdigen, für ewig
feststehend scheinenden Begriff umgeformt, zum mindesten zeit-
weilig umgeformt. Also warum nicht etwa in der Plastik, Weg-
entwicklung von sich selbst, von der Plastik zur Fläche.
Entscheidend sind doch immer die Resultate solcher Be-
mühungen, ob sie nun im allgemeinen, oder im Falle Zadkine im
besondern wirklich positiv oder negativ sind, soll hier nicht end-
gültig entschieden werden.
Es wird sich ja im Laufe der Zeit, wenn wir etwas mehr
Distanz zu den Dingen haben, schon von selbst herausstellen, aber
jedenfalls sichert eine solche Flächenplastik ein schnelles um-
fassendcs Begreifen, ohne daß man erst den 3 dimensionalen Kör-
per zu umkreisen braucht, und es ist ganz naheliegend angesichts
dieser Plastiken an architekturale Flächen zu denken, an m o -
d e r n e Architekturen, an plastische Aufteilungen von Fassaden,
großflächigen Innenwänden, in verschiedenen, verschiedenfarbigen
Materialien, sichtbar für weite Entfernungen.
Ein genialer Architekt müßte meiner Meinung nach in diesem
Plastiker einen kongenialen Mitarbeiter finden.
G. S.
Römtfcbet’ Kunffbt’tcf-*)
Sehr wenig einheitlich, man möchte sagen etaws skizzenhaft,
aber teilweise doch recht amüsant wirkt die österreichische
Gruppe. M o p p ’ s Kolossalgemälde „Orchester“, das demnächst
in deutschen Städten ausgestellt werden wird, macht den kiihnen
Versuch, Musiktöne durch Farbeu und Linien hervorzuzaubern,
mehr Problem als Lösung, indessen mit anerkennenswertem Fleiße
komponiert. Klimt ist nicht glücklich repräsentiert. Kubin
besitzt nicht mehr die alte Kraft der Groteske. Dagegen offen-
bart sich die geistvolle Kunst Egon S c h i e 1 e s und Fel. Albrecht
H a r t a s im besten Lichte. Einen wenig guten Eindruck macht
die ös^erreichische Plastik mit dem Uebergewicht des phrasen-
haften Pathos Ambrosi’s.
Vcn den schweizer Kiinstlern hat nur einer, dieser indessen
sehr viel Bedeutendes zu. sagen: der Hodlerschüler Edouard Val-
1 e t. Desto trostloser sieht es in der polnischen Gruppe „Rytm“
au.s. Dieser RhjThmus tritt hier ausschließlich in aufdringlicher
Härte und schreiender Buntheit auf. Man darf ruhig sagen: völlig
kulturlos. Frankreich hat eine ngroßen Saal nur mit Corot-
gemälden gefüllt, also endlich retrospektiv. Es sind nicht einmal
die besten Werke des Kiinstlers darunter. Immerhin erkennt man
in ihm hier deutlich genug die großen Vermittler zwischen fran-
zösischem und italienischem Empfinden. Die cnglische Kunst ist
ebenfalls nur mit einer Sonderausstellung der delikaten illustrati-
ven Kleingraphik Edouard Gordon C r a i g s vertreten. Amerika
endlich mit einer großen Kollektion der Gemälde und Plastiken von
Maurice Sterne, die, stark vom französischen Expressionismus
*) Siehe „Der Kunstwanderer“ Mai-Doppelheft 1925.
358
schaftliche Hintergründe zeigen, daß sie aber ihr letztes und
höchstes Ziel im Figürlichen sahen.
Diese letzte Vollendung ist wie so vielen anderen beachtens-
werten Künstlern auch Utrillo versagt geblieben, er hat meines
Wissens nie Figuren gemalt.
Aber vielleicht ist es irgend eine verschüttete Sehnsucht in
ihm, die nicht zur Entwicklung reifen konnte infolge irgendwelcher
Hemmungen und die nun seine Landschaften so menschlich spre-
chend, so dramatisch, so tragisch machen.
Diese Vorstadtgassen mit ihrer reichen Armseligkeit, den
bunten Türmchen und kleinen Leute-Bewohnern, hat Utrillo immer
wieder gemalt, aber auch Kirchen, die Notre dame, die schwer
und schwarz und grau gegen den grauen Himmel steht, bei aller
Simplizität von reicher Farbigkeit und reiner Harmonie, und ganz
klassisch in ihrem schweren, aber reinen und doch so unendlich
melodiösen Gefüge horizontaler und vertikaler Linien.
Kein seliger Rausch, aber wie heilende Frömmigkeit liegt
iiber diesen Kirchenbildern, und wie leuchtende Märchen liegen die
sternhellen Kuppeln der Eglise de Sacre Coeur über dem Fond
dunkler Gassen, als strahlende Sonnen über dunklen lastenden
Niederungen, wie Fata Morgana zu schauen von dem Grand
Boulevard aus.
Breitete sich über diese Landschaften nicht das Genie des
Kiinstlers, die verklärende Sonne Gottes, sie wären nur erschüt-
ternde Dokumente menschlicher Tragik.
Aber Gottes Geist ist ihnen.
Das Gefüge dieser Bilder ist straff, klar organisiert, ryth-
misch, farbig, ausdrucksvoll.
Eine große Anzahl Bilder nur in Fahlgelb und grau und doch
liegt zwischen diesen beiden dominierenden Farben ein Reich-
tum von Variationen.
Ganz einfach sind diese graugelben Bilder, aber welche Fülle
von Schönheit und Harmonie. Kann man Kunstwerke, Bilder, mit
Worten ausschöpfen, ausdeuten, wie armselig ist die Sprache,
das Wort, Farbe zu deuten oder Form.
*
Ossip Zadkine ist Russe, einfach, natürlich nicht der
überkultivierten Großstadt entstammend, sondern urgesunder
Scholle.
Neigt die Kunst des überfeinerten iibersensiblen Franzosen
Utrillo ins grazile und aristokratische, so Utrillo kompiiziert
Utrilio ins grazile und aristokratische, so zeigt sich Zadkines Kunst
als einfach und groß, ist Utrillo kompliziert so ist Zadkine ganz
unkompliziert, ist ganz und gar das Gegenteil von Utrillo.
Von seiner ersten bis zu seincr letzten Plastik führt ein ge-
rader, ldarer, übersichtlicher Weg, der konsequent beschritten
wurde.
Er ist kein Akrobat, kein Seiltänzer, keiner jener modernen
übergeschickten Alleskönner, eher ein Bauer, der keine andere als
die ihm bekannte Marschroute geht, erdschwer und behäbig.
Er lebt zwar seit 15 Jahren in Paris und ist doch kein Pariser
geworden, sondern ganz Russe geblieben.
Er ist in erster Linie Steinbildhauer, Architekturbildhauer,
und es gibt kaum ein Steinmaterial, dem er nicht voller Hingabe
seine geheimsten Reize abgewonnen hätte, vom gewöhnlichen
Kalkstein bis zum Porphyr, dem Pyrenäengranit, dem Marmor,
dem Zement, oder dein dunkelbraunen Eisenstein Pierre do Voloic
zur Terracotta und Fayence.
Aber auch Plastiken in Holz, braun nature, vergoldet, poliert,
polierter Bronce, poliertem Kupfer, da läßt er alle Register spielen
und bleibt doch in jeder Materie der materialechte Former.
Viele seiner früheren Plastiken, so der Prophet, der Sklave
von 1915 etc., ragen wie flammende Kultmale altvergangener Zeiten
ins Heute, etwas befremdlich vielleicht so im Ausstellungsraum,
denn Zadkins Plastiken gehören in den engsten Zusammenhang mit
der Architektur, gehören in unmittelbare Nähe der Wand.
Alle seine Plastiken sind keine eigentlichen 3 dimensionalen
oder Rundplastiken vielmehr Reliefs, auch seine Rundplastiken sind
zum Relief gemacht, sind flächig gedacht zweifellos, wie seine
Akt-Fassaden (wie ich seine Akte nennen möchte) zeigen.
Statt die Brüste einer Figur, die Arme oder die Finger der
Hände rund nach außen, also vorzuwölben, wölbt er sie nach
innen, tritt statt vor zurück, um flächig werden zu können und er-
reicht auch so die gleiche Wirkung, die Wirkung der Rundheit
der Formen.
Die Gesichte werden der Flächigkeit zuliebe etwas nach
innen eingedrückt.
Der 3 dimensionale Kubus wird so auf die 2 dimensionale
Fläche reduziert.
Dieses Flächigseinwollen ist keine bioße Laune, kein bloßes
Modern sein wollen, sondern entspringt bewußtem Wollen nach
Simplität, nach Architektur und größerer und leichterer Verständ-
lichkeit und tatsächlich hat diese Flächigkeit das eine für sich, daß
der Beschauer nicht erst die Plastik zu umkreisen braucht, um sie
zu begreifen und das andere, daß diese Art Relief ein angenehmes
Mehr von Volumen haben, als die uns unter dem bisherigen Begriff
Relief bekannten Plastiken.
Ist das noch Plastik? Was ist Plastik? Zadkine sagte mir,
das ist wirkliche Plastik, angewandte Plastik, Architektur.
Die letztvergangenen Entwicklungsperioden in der bildenden
Kunst haben ja so manchen überkommenen alterwürdigen, für ewig
feststehend scheinenden Begriff umgeformt, zum mindesten zeit-
weilig umgeformt. Also warum nicht etwa in der Plastik, Weg-
entwicklung von sich selbst, von der Plastik zur Fläche.
Entscheidend sind doch immer die Resultate solcher Be-
mühungen, ob sie nun im allgemeinen, oder im Falle Zadkine im
besondern wirklich positiv oder negativ sind, soll hier nicht end-
gültig entschieden werden.
Es wird sich ja im Laufe der Zeit, wenn wir etwas mehr
Distanz zu den Dingen haben, schon von selbst herausstellen, aber
jedenfalls sichert eine solche Flächenplastik ein schnelles um-
fassendcs Begreifen, ohne daß man erst den 3 dimensionalen Kör-
per zu umkreisen braucht, und es ist ganz naheliegend angesichts
dieser Plastiken an architekturale Flächen zu denken, an m o -
d e r n e Architekturen, an plastische Aufteilungen von Fassaden,
großflächigen Innenwänden, in verschiedenen, verschiedenfarbigen
Materialien, sichtbar für weite Entfernungen.
Ein genialer Architekt müßte meiner Meinung nach in diesem
Plastiker einen kongenialen Mitarbeiter finden.
G. S.
Römtfcbet’ Kunffbt’tcf-*)
Sehr wenig einheitlich, man möchte sagen etaws skizzenhaft,
aber teilweise doch recht amüsant wirkt die österreichische
Gruppe. M o p p ’ s Kolossalgemälde „Orchester“, das demnächst
in deutschen Städten ausgestellt werden wird, macht den kiihnen
Versuch, Musiktöne durch Farbeu und Linien hervorzuzaubern,
mehr Problem als Lösung, indessen mit anerkennenswertem Fleiße
komponiert. Klimt ist nicht glücklich repräsentiert. Kubin
besitzt nicht mehr die alte Kraft der Groteske. Dagegen offen-
bart sich die geistvolle Kunst Egon S c h i e 1 e s und Fel. Albrecht
H a r t a s im besten Lichte. Einen wenig guten Eindruck macht
die ös^erreichische Plastik mit dem Uebergewicht des phrasen-
haften Pathos Ambrosi’s.
Vcn den schweizer Kiinstlern hat nur einer, dieser indessen
sehr viel Bedeutendes zu. sagen: der Hodlerschüler Edouard Val-
1 e t. Desto trostloser sieht es in der polnischen Gruppe „Rytm“
au.s. Dieser RhjThmus tritt hier ausschließlich in aufdringlicher
Härte und schreiender Buntheit auf. Man darf ruhig sagen: völlig
kulturlos. Frankreich hat eine ngroßen Saal nur mit Corot-
gemälden gefüllt, also endlich retrospektiv. Es sind nicht einmal
die besten Werke des Kiinstlers darunter. Immerhin erkennt man
in ihm hier deutlich genug die großen Vermittler zwischen fran-
zösischem und italienischem Empfinden. Die cnglische Kunst ist
ebenfalls nur mit einer Sonderausstellung der delikaten illustrati-
ven Kleingraphik Edouard Gordon C r a i g s vertreten. Amerika
endlich mit einer großen Kollektion der Gemälde und Plastiken von
Maurice Sterne, die, stark vom französischen Expressionismus
*) Siehe „Der Kunstwanderer“ Mai-Doppelheft 1925.
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