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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 6./​7.1924/​25

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1./2. Januarheft
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1./2. Augustheft
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Michelson, Leo: Mit Corinth in Holland: die letzten Arbeiten des Meisters
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https://doi.org/10.11588/diglit.25879#0475

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Cörinth, Rudolf Rittner als Florian Qeyer. II. Fassung 1912

Um so seltsamer berührte es mich, wie der Mcister,
nur wenige Monate vorher — es war im April — beim
Malen seines großen Bildes „Ecce Homo“ Todesah-
n u n g e n aussprach. Und wer ihn kannte, wußte auch,
daß er damit nicht gern scherzte — er, der noch so viel
zu malen hatte.
Damals stand ich gerade als Christns Modell zu-
sammen mit Paeschke als Krieger und Grusemann—Pi-
latus, als Corinth sich sehr ermüdet setzte, Pinsel und
Palette hinlegte: „Dieses wird vielleicht mein 1 e t z t e s
B i 1 d , wäre fein, wenns so käme!“ ... Wir hätten es
beinahe glauben können; so bis zum Letzten verausgabt
und erschöpft saß er da. Stundenlang hatte er stehend,
wie im Fieber gearbeitet, ohne sicli selbst, noch Paesch-
ke, der sich in der schweren Rüstung kaum noch auf
den Beinen halten konnte, eine Pause zu gönnen. Aber
sein letztes Bild wurde es nicht — noch ein schönes
Selbstporträt, ein prachtvolles Gartenstück,
ein paar Bilder von d'homas, seinem Sohne, und ein Stil-
leben folgten, und dann entstand noch ein sehr seltsames
Bild, das an seine ersten Arbeiten stark erinnerte:
„Frau Imperia“, angeregt durch die Erzählung von
Balzac.
Seine 1 e t z t e n Arbeiten sind jene wundervollen
Aquarelle, die er in Amsterdam schuf.
Die Entstehung des „Ecce Homo“ liegt lange zurück.
Schon vor niehr als einem Jahr war diescs Bild geplant,
vielleicht auch noch früher. Denn Corinth sprach seine
Pläne nur selten und nur andeutungsweise aus: „Nun
könnten wir mal anfangen, „Icii meine Sie als Christus“,
überraschte er mich öfters. Und wenn ich bereitwillig
fragte, wann er anzufangen gedenke, vielleicht Morgen,
dann kam es schmunzelnd: „Nur nicht überstürzen -
es hat ja noch Zeit!“ . . . Bis es im April plötzlich nicht
schnell genug vor sich gehen konnte und er voller Unge-
duld auf die Dornenkrone und den roten Mantel wartete,

die ich zu besorgeu übernommen hattc. Nun stand das
große Bild fertig da. Scinc erste Befriedigung, im Be-
wußtsein, etwas Gutes geschaffen zu haben, war schon
dahin, aucli der iibliche Corinthsche Kater, die tiefste
Unzufriedenheit, die immer folgen mußten.
Dieses Auf und Ab, das jeder Schaffende kennt, war
bei ihm von einer beinah erschreckenden Intensität und
von einer wundervollen inneren Ehrlichkeit. Sicher liing
es damit zusammen, daß er dann immer vor der Natur
unbefangen und voller Frische stand, wenn er was Neues
zu malen anfing.
Anfang Juni begannen die Vorbereitungen für den
Sommer: neue Leinwände wurde bestellt, für das am
Geburtstag übliche Selbstporträt und die geplanten
Landschaften. Bis dahin sollte die Reise nach H o 1 -
1 a n d zu den alten Meistern führen, zu dem Ausgangs-
punkt seiner Malerei. Vor ungefähr vierzig Jahren war
Corinth in Hoiland und jetzt selinte er sich wieder nach
den ihm sicher verwandten Temperamenten Frans Hals
und Rembrandt. Besonders wichtig und der Mittel-
punkt der Reise sollte Haarlem werden und dabei
dachte er hauptsächlich an das Bild der Vorsteherinnen
des Armenhauses. Wir reisten iiber Düsseldorf. Hier
hatte Corinth eine Kollektion in dcr Ausstellung und
immer neugierig, seine Arbeiten in anderer Umgebung
wiederzusehen, stand er erfreut vor seinen Werken:
„Donnerwetter, die Susanne ist docli ein gutes Bild, hier
sehe ich sie erst richtig!“
Wir suchtcn Orte auf, wo er sich bei früheren Be-
suchen der Stadt wohlgefiihlt hatte, so saßen wir abends
mit cinigen Düsseldofer Herren im „Rosenkränzchen“,
wo vor Jahren gekneipt worden war. Dahinter steht an
einer Kirclie eine Kreuzigung, die Corinth aquarellieren
wollte. Leider hat er, zu dessen charakteristischsten
Eigenschaften gehörte, daß nichts hinausgeschoben wer-
den konnte, selbst das Geringste nicht, wenn es beschlos-
sen war, leider hat er es dieses Mal getan und später
während seiner Krankheit lebhaft bedauert.
Wir eilten nach Amste r d a m ; und wie neu be-
lebt, erkannte ich ihn kaum wieder: so sprudelnd und
frisch war er in dieser Atmosphäre seiner geliebten
Meister. Haarlem hat er nicht mehr gesehen. Ein
Trauerzug zog durch Haarlem auf dem Wege von
Zandvoort nach Amsterdam dicht am Frans Hals Mu-
seum vorbei — zwei Tage vor seinem Geburtstage.


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