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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 26.1983

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Nr. 2
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Parthe, Franz: Nachdenken über zwei Oberstufenreformen, [2]: eine kritische Festrede zum Mitschülerfest des Kaiser-Heinrich-Gymnasiums in Bamberg 1980
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https://doi.org/10.11588/diglit.33083#0043

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längst widerlegten Hypothese von der gleichen Begabung aller Menschen9 und
der von Hegel ausgehende Erziehungspragmatist John Dewey mit der ebenfalls
umstrittenen antigymnasialen Theorie, daß Fähigkeiten, die an einem Stoff
erworben werden, sich nur in begrenztem Umfang auf andere Stoffgebiete
übertragen lassen.10 Diese Theorie impliziert — auf der einen Seite — die Hypo-
these von der Gleichwertigkeit aller Fächer und — auf der anderen Seite — die
Hypothese von der Unmöglichkeit der Aufstellung eines Bildungskanons mit
einer Fächerhierarchie wie sie am Typengymnasium erfolgreich war und in
der Mittel- und Unterstufe heute noch praktiziert wird.
Theodor Wilhelm hat 1967 diesen „großartigen Waffengang Deweys11 — ne-
ben Roth und Robinsohn — gegen den sog. „Idealismus“ und die „Theorie der
formalen Bildung“12 des deutschen Gymnasiums in die Reformdiskussion ein-
gebracht. Behaviorismus und Pragmatismus sind in dieser integrierten Oberstufe
mit ihren sehr unterschiedlichen, durchlässigen Abiturprofilen dominant ge-
worden. Sie sind ebenso die Theorie einer „umfassenden Gesamtschule“, die
auch die Universität mit einbeziehen will. Theodor Wilhelm fordert die Aner-
kennung der Tatsache, daß Schule und Universität im Zusammenhang einer
gemeinsamen Fehr- u. Fernaufgabe stehen.13 Er unterdrückt die differentia
specifica der Schularten und polemisiert in gleicher Weise gegen die „For-
schungsideologie der Universität“ wie gegen die „Bildungsideologie des Gym-
nasiums“.14 Er fordert statt eines Kanons der gymnasialen Kernfächer die
offene Enzyklopädie, neue Stoffe, neue Fächerkombinationen, die Abkehr
von der exemplarischen Didaktik des „non multa, sed multum“.15 Zur Aus-
lieferung an die Stoffe in größerer Beliebigkeit, Fülle und - in organisatorischer
Konsequenz - in völliger Separatheit kommt bei ihm noch die Anpassung
der Schüler an die Gesellschaft.16
9 B. Watson, Behaviorism, New York, 1930 - Dagegen: Arthur R. Jensen. How much
can we boost IQ and scholastic Achievement? Harvard, Educational Review 1969.
Ergebnis der Zwillingsforschung: 20% der Intelligenz entstehen durch Umwelt, 80%
sind erbbedingt. Watsons Hypothese führte zu der Forderung nach der einen Schule für
alle Schüler. Die unterschiedlich anspruchsvollen Abiturprofile in der Kollegstufe sollen
Watson doch noch recht geben.
10 Th. Wilhelm, Theorie der Schule, 1967, S. 157 und 367 - 11 a.a.O. S. 157
12 „Idealismus“ ist die philosophisch und humanistisch geprägte Persönlichkeitsbildung,
„Theorie der formalen Bildung“ meint den Primat der gymnasialen Kernfächer.
13 a.a.O. S. 220
14 Bildungsideologie ist nach Wilhelm die Auffassung, daß wenige Stoffe eines Fächer-
kanons für die Bildung des Menschen sowohl unerläßlich sind, weil sie das Selbst- und
Weltverständnis des Subjekts besonders fördern, als auch ausreichend, weil sie vieles
andere, was auch noch gut und nützlich zu wissen ist, repräsentieren. (— Oder über-
haupt erst zugänglich,machen! Diesen Aspekt übersieht Th. Wilhelm.) a.a.O. S. 207
15 a.a.O. S. 210 Vgl. die Individualisierung der Abiturprofile, an unserem Gymnasialtyp
sind allein 68 verschiedene Kombinationen im Abiturprogramm möglich. Vgl. auch
die angesaugten Stoffmassen!
16 „Die Schule, indem sie marktgängige Leistungsformen entwickelt und Gewohnheiten
des sittlichen Verhaltens (= Behaviorismus. Der Verf) einübt, befreit damit auch die
Öffentlichkeit von der Gefahr, mit jedem neuen Abiturienten einen neuen Unsicher-
heitsfaktor auferlegt zu bekommen.“ a.a.O. S. 75

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